Auch die Medien in der DDR berichteten über die Reaktorkatastrophe in Tschernobyl. Sie fühlten sich dem großen Bruder verpflichtet und hielten sich an die offiziellen Mitteilungen der sowjetischen Regierung. Die Berichterstattung der westlichen Medien sei aufbauschend und irreführend.
Amt für Atomsicherheit und Strahlenschutz beruhigt
Wie in der Bundesrepublik vermeldete auch die DDR am Abend des 29. April 1986 das Unglück von Tschernobyl. Der Sprecher des staatlichen Amtes für Atomsicherheit und Strahlenschutz in der DDR, Dr. Wolfgang Rüder erklärte beruhigend:
"Im Gebiet der DDR erfolgt kontinuierlich eine ständige Überwachung der Radioaktivität in der Umwelt. Der Präsident des staatlichen Amtes für Atomsicherheit und Strahlenschutz, Prof. Dr. Sitzlack, hat bereits in einer Pressemitteilung betont, dass diese Messungen mit äußerster Gründlichkeit erfolgen. Die Ergebnisse zeigen, dass im Zusammenhang mit der Havarie im sowjetischen Kernkraftwerk Tschernobyl keine Gesundheitsgefährdung für Bürger der DDR besteht. Es muss weiter darauf verwiesen werden, dass in der DDR ein ganz anderer Reaktortyp zum Einsatz kommt als in Tschernobyl. Ich kann versichern, dass die Einhaltung der für die Kernkraftwerke in der DDR geltenden strengen Sicherheitsvorschriften durch das staatlichen Amt für Atomsicherheit und Strahlenschutz ständig kontrolliert und strikt durchgesetzt wird."
Wissenschaftler: Kritik an Sowjetunion ist üble Hetzkampagne des Westens
Es folgt ein Gespräch der DDR-Wissenschaftler Prof. Dr. Günther Flach (Direktor des Zentralinstituts für Kernforschung) und Prof. Dr. Karl Lagius (Direktor des Instituts für Hochenergiephysik an der Akademie der Wissenschaften in der DDR) im Radio DDR 1 am 30. April 1986. Die Wissenschaftler sprechen im Interview über den Zustand der sowjetischen Atomkraftwerke. Sie gehen in ihrer Beurteilung der Katastrophe von der offiziellen Mitteilung der sowjetischen Regierung aus. Komplexe Systeme unterlägen immer einem Risiko, der Reaktortyp sei "im Prinzip" sicher.
Beide Wissenschaftler äußerten absolutes Unverständnis an der westlichen Kritik an der Sowjetunion und betrachteten die Forderungen nach mehr Information und Aufklärung als "üble Hetzkampagne".
Kommentar zur Berichterstattung westlicher Medien
Am 2. Mai 1986 warf Klaus Dieter Kröber in Radio DDR 1 einen Blick in die westliche Presselandschaft. Die Berichterstattung sei unglaubwürdig, übertrieben und verleumderisch. Besonders die bundesdeutsche Zeitung "Bild" bekam ihr Fett weg:
"Hier sehen Sie, gewissermaßen wie in einem Prisma, zugegeben in einem besonders üblen Blatt, aber eben mit riesen Auflage, hinter dem Vorwand von Sorge um Menschen und ihre Gesundheit, die billige Absicht von Brunnenvergiftern, die man leider nicht nur in der bundesdeutschen Massengazette "Bild" findet."
Jugendaustausch mit Baden-Württemberg abgesagt
In den Nachrichten des Berliner Rundfunks vom 7. Mai 1986 geht es um die Absage eines Jugendaustauschs.
Die DDR nutzte jede Gelegenheit für einen Propagandaschlag gegen die BRD: Nach dem Reaktorunglück sagte das baden-württembergische Kultusministerium einen Jugendaustausch mit der DDR ab. Das, so der DDR-Rundfunk, bekräftige den Eindruck, dass führende Kreise der BRD nicht an einer Verbesserung des Ost-West-Verhältnisses interessiert seien.
Reaktorunglück von Tschernobyl
28.4.1986 Das Reaktorunglück in Tschernobyl wird bekannt
28.4.1986 | Am 26. April 1986 explodierte um 1.24 Uhr Ortszeit einer der vier Reaktorblöcke im Kernkraftwerk Tschernobyl nahe dem Ort Prypjat in der Ukraine. Bei der Explosion wurden radioaktive Stoffe rund 1.200 Meter hoch in die Luft geschleudert. Drei großen Wolken verteilten die radioaktiven Partikel in den darauffolgenden Tagen über Europa. Die Öffentlichkeit war bis zum Abend des 28. April 1986 ahnungslos.
29.4.1986 Erste internationale Reaktionen auf den Reaktorunfall in Tschernobyl
29.4.1986 | Nach Bekanntwerden des Reaktorunfalls in Tschernobyl war das Informationsbedürfnis der westlichen Staaten groß. Das Korrespondentennetzwerk der ARD lieferte Informationen aus allen von der Radioaktivität betroffenen Ländern.
6.5.1986 Was darf man nach Tschernobyl noch essen? Live-Sendung aus Schifferstadt
6.5.1986 | In den zwei Wochen nach der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl war die Verunsicherung groß. Was kann die Giftwolke anrichten? Es wurde davor gewarnt, bei Regen rauszugehen oder Kinder im Sandkasten spielen zu lassen. Auch Salat und Blattgemüse sollten lieber nicht gegessen werden. Und dann war ja gerade Spargelzeit – darf der Spargel geerntet und verkauftet werden? Am 6. Mai 1986 brachte der Südwestfunk eine Live-Sendung aus Schifferstadt, in der Hörerinnen und Hörer ihre Fragen stellen konnten.
14.5.1986 Bundestagsdebatte zu Tschernobyl und Atomkraft
14.5.1986 | Die Reaktorkatastrophe von Tschernobyl ist am 14. Mai 1986 Thema im Bundestag. Die Debatte ist für 2 Stunden angesetzt und dauert mehr als doppelt so lang. Sie zeigt, welche Zäsur das Ereignis bedeutete. Auf der einen Seite Union und FDP, die sich durch Tschernobyl nicht davon abbringen ließen zu beteuern, dass in Deutschland die sichersten Atomkraftwerke der Welt stehen und sich auch sonst Umweltprobleme am besten mit Technik lösen lassen – Helmut Kohl spricht gar von umweltfreundlichen Autos. Er meint die mit Katalysatoren. Auf der anderen Seite die Grünen, die sich durch Tschernobyl in ihrer Anti-Atom-Haltung bestätigt sehen, und die SPD, die, wie die Rede des damals noch jungen Gerhard Schröder zeigt, nun auch auf diesen Kurs einschwenkt. | Helmut Kohl: 01:22
14.5.1986 Stellungnahme von Gorbatschow nach dem Reaktorunglück in Tschernobyl
14.5.1986 | In der ersten öffentlichen Stellungnahme der Sowjetunion nach dem Reaktorunglück in Tschernobyl reagierte Michail Gorbatschow auf die Kritik des Westens. Er forderte zur internationale Zusammenarbeit in Kernenergiefragen auf.
18. und 19.5.1986 Demonstration gegen die Wiederaufarbeitungsanlage in Wackersdorf
18./19.5.1986 | An Pfingsten 1986 demonstrieren Zehntausende gegen den Bau der Wiederaufarbeitungsanlage in Wackersdorf. Der Rundfunkjournalist Ulrich Böken war mit dem Mikrofon vor Ort. Sein Rohmaterial zeichnet ein Stimmungsbild der Demonstranten im Taxöldener Forst. | Kernenergie
4.6.1986 Erster Bundesumweltminister: Walter Wallmann vor Amtsantritt im Interview
4.6.1986 | Infolge des Reaktorunglücks von Tschernobyl in der Sowjetunion schuf die Bundesregierung eine neue Behörde: das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit. Erster Bundesumweltminister wurde Walter Wallmann (1932 - 2013) von der CDU. Ein Interview im Hessischen Rundfunk vom 4. Juni 1986.
12.12.1986 Psychoanalytiker Horst-Eberhard Richter: Umgang mit der Angst nach Tschernobyl
Am 12.12.1986 gab der Psychoanalytiker Horst-Eberhard Richter ein Interview im NDR. Er sprach über den Umgang mit der Angst nach der Reaktorkatastrophe. Er warnte vor dem Glauben, alle Gefahren mit dem Fortschritt der Technik beherrschen zu können.
8.5.1996 In Gorleben eskalieren Castor-Demonstrationen: Statements von Angela Merkel und Jürgen Trittin
8.5.1996 | 1995 rollte der erste Castor-Transport ins Zwischenlager Gorleben. Der Atommüll kam damals vom Kernkraftwerk Philippsburg bei Karlsruhe. Schon gegen diesen ersten Castor-Zug gab es Proteste, sie waren noch vergleichsweise gemäßigt. Im Folgejahr änderte sich. Es ist der 8. Mai 1996 – die Reaktorkatastrophe von Tschernobyl liegt ziemlich genau 10 Jahre zurück. Die Stimmung ist aufgeheizt, als nun die ersten Atommüllbehälter aus der französischen Wiederaufbereitungsanlage La Hague in Gorleben ankommen. 19.000 Polizisten sichern den Transport. Wir hören ein Statement der damaligen Umweltministerin Angela Merkel (CDU) und vom Grünen Jürgen Trittin. Doch zunächst der Bericht von den Ausschreitungen. | Kernenergie