SWR2 lesenswert Kritik

Buchi Emecheta – Second-Class Citizen

Stand
Autor/in
Sonja Hartl

Wiederentdeckung eines Klassikers der Schwarzen Literatur: Die glänzende Neuübersetzung von Buchi Emechetas (1944-2017) autofiktionalem Roman „Second-Class Citizen“ lädt ein zu einer neuen Beschäftigung mit Alltag und Erfahrungen Schwarzer Immigranten in Großbritannien.

„Buchi Emecheta ist die Urmutter der Schwarzen Frauenliteratur.“ Dieses Zitat der Man-Booker-Preisträgerin Bernadine Evaristo steht vorne auf dem Cover von Buchi Emechetas „Second-Class Citizen“.

Sicherlich könnte man einwenden, Emechta sei nur eine dieser Urmütter gewesen. Aber im Kern trifft dieser Satz die Bedeutung der nigerianischen Autorin: Sie ist wichtige Vorläuferin und Inspiration für viele inzwischen auch bei uns bekannte Autorinnen wie Zadie Smith, Chimamanda Ngozi Adichie und natürlich auch Evaristo selbst.

Selbstermächtigung einer jungen Nigerianerin

Bereits 1974 in London veröffentlicht, erzählt „Second-Class Citizen“ mit offensichtlichen biographischen Parallelen zu Buchi Emechtas eigenem Leben von der Selbstermächtigung einer Schwarzen Frau und Schriftstellerin.

Geboren während des Zweiten Weltkriegs in Nigeria, lernt Hauptfigur und Erzählerin Adah schon früh zwei Dinge: Als Mädchen ist sie in Nigeria ein Mensch zweiter Klasse. Und sie kann sich nur auf sich selbst verlassen. Als sie ungefähr acht Jahre alt ist, beginnt sie von einem Leben im Vereinigten Königreich zu träumen – einer Kolonialmacht, die in Nigeria vor der Unabhängigkeit 1960 nahezu mythisch verklärt wird.

Adah erkämpft sich eine Schulbildung, heiratet mit 16 Jahren den Studenten Francis, wird kurz hintereinander zweimal schwanger. Es ist ihr Geld, das sie mit ihrer Stelle in der Bibliothek des amerikanischen Konsulats verdient, das Francis ermöglicht, von Lagos nach England zu gehen und sein Studium fortzusetzen. Gegen den Willen seiner Familie folgt sie ihm mit den gemeinsamen Kindern nach.

Als „Second-Class Citizen“ in England

Das Leben in England ist anders, als Adah es sich erhofft hat: Bereits bei ihrer Ankunft erklärt Francis ihr, dass sie in England fortan ein „Second-Class Citizen“ sei – jeder Schwarze sei dort zweitklassig. Deshalb dürfe sie auch nicht auf andere nigerianische Einwanderfamilien herabblicken, die aus einer niederen Schicht stammen.

In einfachen, direkten Worten erzählt Adah von ihrem Leben: zu viert in einem Zimmer, Francis misshandelt und vergewaltigt sie. Dennoch gibt Adah nicht auf. Sie sucht sich eine Anstellung, verdient das Geld für die Familie, bekommt drei weitere Kinder.

Als sie bei ihrer Arbeit in einer Bibliothek der Literatur Schwarzer Autoren wie James Baldwin begegnet, beginnt sie, viele ihrer Erfahrungen besser zu verstehen und sie in Worte zu fassen, sie aufzuschreiben in einer Sprache, die nah am Gesprochenen und unmittelbar ist. Hier schreibt jemand, der viel erlebt hat – und nun endlich gehört wird.

Dadurch nimmt man Anteil an Adahs Versuchen, die Gewalt ihres Mannes zu verstehen, ihrer verzweifelten Suche nach Empfängnisverhütung und ihrem Kampf dagegen, dass die ständige Erniedrigung ihr Selbstwertgefühl zerstört. Oft reagiert sie mit trockenem Humor auf die Gewalt, den Rassismus und die Diskriminierungen, beschönigt die Gewalt und benennt manches umso wirkungsvoller, indem sie es auslässt:

„Was folgte“, so ist zu lesen, „ist zu schrecklich, um gedruckt zu werden.“ Diese nüchterne Distanz ist wesentlicher Teil des oftmals fast dokumentarischen Stils dieses eindringlichen Romans, in dem eine klare Stimme zu vernehmen ist.

Die politische Seite des autofiktionalen Schreibens

„Second-Class Citizen“ ist ein autofiktionaler Roman, erschienen, bevor es diesen Begriff gab. Am Beispiel von Adah erzählt Buchi Emecheta eine Lebensgeschichte, die zuvor kaum erzählt wurde, und beansprucht dafür schon 1974 einen Platz in der (literarischen) Öffentlichkeit. Und mehr noch: Sie zeigt, dass das Private und das Häusliche nicht nur politisch, sondern auch Stoff für herausragende Literatur ist.

Buchi Emechta war 27 Jahre alt, als „Second-Class Citizen“ in England erschien, eine alleinerziehende Mutter von fünf Kindern – es war ihr zweiter Roman. Sie legt mit diesem Buch die schwierigen Bedingungen offen, unter denen ihre Literatur entstanden ist.

Die glänzende Neuübersetzung von „Second-Class Citizen“ durch Marion Kraft ist hoffentlich nur der Anfang einer Neuausgabe des Werks der 2017 verstorbenen Buchi Emecheta und anderer Schwarzer Autorinnen. Emecheta hat sich selbst nicht als Feministin bezeichnet, aber ihr Werk hat dazu beigetragen, die lange unsichtbare Perspektive der Frauen vom afrikanischen Kontinent und afrikanischen Diaspora in die Literatur einzubringen. Und „Second-Class Citizen“ ist ein lebendiges und wichtiges Zeugnis von weiblicher Unabhängigkeit.

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Autor/in
Sonja Hartl