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Friends und Fight Club zensiert: Warum die Zensur-Debatte über China hinausgeht

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Autor/in
Franziska Gromann

In der Streaming-Version von „Friends“ wird die lesbische Ex-Frau von Hauptfigur Ross plötzlich mit keinem Wort mehr erwähnt und der anarchische Kult-Film „Fight Club“ endet mit dem Sieg der Ordnungskräfte? Die Schlagzeilen aus China klingen nach übereifrigen Regime-Zensoren. Doch nicht nur im Reich der Mitte gewinnt eine vorgeblich moralische Zensur immer stärker an Boden und könnte mittelfristig eine Umschreibung der Kulturgeschichte bewirken.

China: Auch eine harmlose Sitcom muss dran glauben

Vier Menschen Mittw dreißig in einem Raum, zwei Männer, zwei Frauen, alle schauen zu einem der Männer, der wild mit den Händen gestikuliert.
Auch eine Sitcom kann zum Politikum werden: „Friends“ erzählt von den Beziehungskisten einer New Yorker Freundesgruppe und machte nicht nur Jennifer Aniston und ihre Frisur (den „Rachel“) berühmt. „Friends“ ist Kult — auch in China. In mehreren chinesischen Großstädten gibt es von der Serie inspirierte Themencafés.

Es mag wenig überraschen, dass die Volksrepublik China Zensur anwendet — immerhin hat die regierende Kommunistische Partei auch kein Problem damit, Familien vorzuschreiben, wie viele Kinder sie haben dürfen. Bis vor wenigen Jahren hatten Zensurmaßnahmen in China nur selten für Schlagzeilen gesorgt. Doch inzwischen wird auch im Westen heiß über Fälle diskutiert, die über Social Media in Echtzeit auftauchen, zumal es sich dabei vermehrt um populäre, westliche Kulturerzeugnisse handelt, die nicht nur verboten, sondern teilweise sogar umgeschrieben werden.

Jüngstes Beispiel: die Sitcom „Friends“ aus den 1990ern war bis 2018 in der Volksrepublik online und auf DVD unzensiert verfügbar. In der seit Freitag, 11. Februar 2022, auf dem Streaming-Riesen Tencent verfügbaren Version sollen nun alle Hinweise auf LGBTQI-Charaktere entfernt oder umgeschrieben worden sein. Eine heftige (aber kurzlebige, weil bald selbst zensierte) Welle der Kritik brach auf der chinesischen Social Media-Plattform Weibo übers Wochenende aus.

Keine „abweichenden“ Kulturformen erlaubt

„Friends“ ist nur die Spitze des Eisbergs, denn in den letzten Jahren hat sich der Druck auf Filmschaffende und Medienmacher*innen im Land stark erhöht. Gezielt werden nicht nur politische Themen ins Visier genommen, sondern alle gesellschaftlichen und kulturellen Darstellungen, die dem widersprechen, was Präsident Xi Jinping als traditionelle Familienmodelle und Kultur propagiert: keine „abnormalen Ästhetiken“ und keine „verweichlichten Männer“.

„Fight Club“: Und die Staatsgewalt lebte glücklich bis in alle Ewigkeit

Eine Gruppe Männer steht in einem schlecht beleuchteten Raum im Kreis, in ihrer Mitte Brad Pitt, jung, mit freiem Oberkörper, er blutet am muskulösen bacuh. Er hat eine Zigarette im Mund und ein angeschwollenes Auge.
„Verweichlichte Männer“ ist nicht unbedingt das, was man mit dem Kult-Klassiker „Fight Club“ von David Fincher aus dem Jahr 1999 verbindet. Darin verbünden sich die Verlierer des Spätkapitalismus in losen Kampf-Gruppen, inspiriert von einem charismatischen Anführer, und hauen sich erst gegenseitig die Köpfe ein, bevor sie in einer finalen Aktion womöglich noch die Weltordnung umwerfen. — Szenenbild mit Brad Pitt

Kult-Film „Fight Club“ ging den chinesischen Zensurbehörden dann allerdings zu weit mit der schlagkräftigen Männlichkeit: Im Original organisiert das psychopathische Alter Ego des Erzählers (Edward Norton), gespielt von Brad Pitt, einen Aufstand, der die Welt ins Chaos stürzen soll. Die Schluss-Szene im Original zeigt symbolisch, wie der Erzähler aus einem Gebäude heraus die einstürzenden Hochhäuser der Stadt beobachtet. Der Plan scheint aufgegangen.

Beim Streaming-Release in China (wieder auf Tencent) im Januar 2022 wurde diese Szene jedoch flugs ersetzt durch eine Schrifttafel, die erklärte, dass die Behörden den finsteren Plan des Protagonisten erfolgreich durchkreuzen konnten und alle „Verbrecher“ ins Gefängnis oder in die Psychiatrie steckten. Inzwischen wurde nach weltweiter Kritik diese Änderung wieder rückgängig gemacht.

Fight Club-Autor: „Es wird erst zum Thema, wenn China das Ende eines Films ändert?“

Für den Autoren der Romanvorlage von „Fight Club“, Chuck Palahniuk, eine absurde Situation — „SUPER wonderful!“ kommentierte er gegenüber der amerikanischen Nachrichtenseite TMZ das chinesische Ende, das seiner Ansicht der Romanvorlage besser gerecht werde als die spektakuläre Fincher-Version. „Die bizarre Kehrseite ist, dass viele Verleger im Ausland mein Buch umgeschrieben haben, dass es wie im Film endet — ohne mich um Erlaubnis zu fragen“, erklärte er auf Substack.

Er habe sich schon lange mit Bücherverboten beschäftigen müssen, sagt Autor Palahniuk zu TMZ: „Was ich sehr interessant finde: Meine Bücher sind in den USA häufig verboten. Die Gefängnisverwaltung von Texas weigert sich, meine Bücher in ihren Bibliotheken zu führen. Viele staatliche Schulen und die meisten Privatschulen wollen meine Bücher nicht führen. Aber es wird erst zum Thema, wenn China das Ende eines Films ändert?“

USA: Puritanische Evangelikale und die Angst vor der Cancel Culture

Ein absurdes Phänomen ist es wirklich, das derzeit die Kultur-Szene in den USA im Griff hat: Einerseits beklagen sich konservativ-rechte Medien-Persönlichkeiten und Politiker häufig über die sogenannte Cancel Culture, die ihnen den Mund verböte. Sie sehen die Meinungsfreiheit in Gefahr durch Triggerwarnungen vor Filmen mit Gewaltdarstellungen, Minnie Mouse im Stella McCartney-Hosenanzug und Black-Lives-Matter-Protesten an Universitäten.

Gleichzeitig üben diese Kreise auf lokaler Ebene extremen Druck auf öffentliche Schulen und Bibliotheken aus, um deren Angebote entsprechend der extrem-religiösen, evangelikalen Werte anzupassen. In Ridgeland, Mississippi etwa droht ein Bürgermeister damit, die Finanzierung der Bibliothek so lange zurückzuhalten, bis diese Bücher zu LGBTQI-Themen aus ihren Regalen nimmt. Autor Jack Guiness, dessen Buch „The Queer Bible“ selbst auf dieser „Verbotsliste“ aufgeführt wird, hat nun mit einem Crowdfunding die „widerständige“ Bibliothek unterstützt.

Der Druck wird auf lokaler Ebene aufgebaut

In einem andere Fall organisierte ein Pastor und Trump-Unterstützer in Tennessee Anfang Februar 2022 eine Bücherverbrennung per Facebook-Live-Stream, wo er zusammen mit einer Menschenmenge „satanische Werke“ wie „Harry Potter“ oder die „Twilight“-Reihe von Autorin Stephenie Meyer in die Flammen warf.

Da diese Zensur auf Ebene der Gemeinden stattfindet, wird sie nur sporadisch größer in den Medien thematisiert. Bekannter wurde zum Beispiel der Fall des Schulaufsichtsrats (ebenfalls in Tennessee), der verbot, die mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnete Graphic Novel „Maus“ im Unterricht der achten Klasse (13-14 Jahre) zu besprechen.

Holocaust-Geschichte „Maus“ wegen acht Schimpfwörtern aus dem Programm genommen

Bild eines älteren Mannes an einem Rednerpult, neben ihm projiziert das Buchcover von 'Maus'. Es zeigt einen Art stilisierten Hitler als Maus in einem Hakenkreuz.
„Maus“ von Art Spiegelmann, erstmals erschienen 1980, erzählt wie Spiegelmans Eltern den Holocaust überlebten und kann deshalb unter anderem im Geschichtsunterricht eingesetzt werden. Illustriert ist die Geschichte mit Mäusen und Katzen.

Anlass für das Verbot gaben acht Schimpfwörter im Text, sowie die Zeichnung einer nackten Maus. Man erkenne den Holocaust zwar als schlimmes Verbrechen an, „Maus“ sei aber als Buch nicht geeignet für die Altersgruppe, wegen seines „unnötigen Gebrauchs von Schimpfwörtern, Nacktheit und der Darstellung von Gewalt und Suizid“.

Autor Art Spiegelman bezeichnete die einstimmige Entscheidung des Rats als „verrückt“. Er habe, so erklärte er im Interview mit CNBC, viele junge Leute getroffen, die aus dem Buch etwas gelernt hätten.

Spanien: Das Erbe der Zensur muss erst aufgearbeitet werden

Was passiert, wenn diese Eingriffe in die Kunstfreiheit nicht ausreichend thematisiert und rückverfolgt werden, erlebt derzeit Spanien. In dem EU-Land waren während der Franco-Diktatur viele Bücher und Filme nur zensiert in Umlauf geraten. Den Zensoren fielen alle Inhalte zum Opfer, in denen es um den Bürgerkrieg und die Diktatur ging, ebenso wenn Sexualität thematisiert wurde. Außerdem wurde sehr streng zensiert, was nicht den konservativ-katholischen Werten des Franco-Regimes entsprach.

Eine Aufnahme aus einem Film in schwarz-weiß mit James Stewart und Donna Reed vor einem Hauseingang. Stewart gestikuliert im Anzug und zeigt auf eine Austür.
Ruft James Stewart hier etwa zur Enteignung der Hausbesitzer und Revolution auf? Weit gefehlt, so etwas wäre auch 1946 in den USA nicht veröffentlicht worden. Trotzdem legte sind die meisten spanische Versionen von „It's a wonderful life“ bis heute zensiert.

Texte von Ernest Hemingway und James Baldwin wurden beispielweise in Teilen anders übersetzt — aus „lesbischen Frauen“ machte man „gute Freundinnen“ oder aus Filmen wie dem Weihnachtsklassiker „It's a wonderful life“ wurden Szenen, die Bezug auf eine Hausgemeinschaft (Achtung, Kommunismus-Gefahr!) nehmen, herausgeschnitten.

Auch 40 Jahre nach dem Tod des Diktators Francisco Franco sind viele Werke noch in diesen veränderten Fassungen im Umlauf, sie sind so in Fernseharchiven und Bibliotheken zu finden. Der Verein zur Wiedererlangung der Historischen Erinnerung hat nun Ende 2021 die spanische Regierung aufgefordert, hier nachzuarbeiten und überhaupt herauszufinden, welche Werke betroffen sind.

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Franziska Gromann