Wacken Open Air

Heavy Metal im „Stadium der Verbürgerlichung“

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Interview
Daniel Stender

Im norddeutschen Örtchen Wacken beginnt das größte Heavy Metal Festival der Welt. Und dort zeigt sich, dass die Subkultur inzwischen im Mainstream angekommen ist. „Metal-Fans sind in die Jahre gekommen“, erklärt der Kulturwissenschaftler Jörg Scheller im Gespräch. „Sie haben Familien gegründet, sie haben Jobs, sie haben Geld und heute zeigt sich, dass Heavy Metal eigentlich ganz kompatibel ist mit der bürgerlichen Kultur.“

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Verschiedene Konfessionen wie im Christentum

Anders als beispielsweise der Punk habe Metal von Beginn an keine revolutionäre Agenda verfolgt und sei damit anschlussfähig für unterschiedlichste Schichten und Interessen. „Es gibt wirklich alles im Heavy Metal“, meint Scheller.

Das zeige sich deutlich im Wacken-Festival, „wo wir Yoga-Kurse haben, wo es eine Metal-Church gibt, ganz ernsthaft christliche Gottesdienste, aber eben auch Lesungen, die sich sehr kritisch mit der christlichen Religion auseinandersetzen, bis hin zu feministischen Panels.“

Heavy Metal richte sich an alle, sagt Scheller und insofern sei Heavy Metal vielleicht ein Nachfolger des Christentums, „also eine große Religion, die aber Platz bietet für verschiedene Konfessionen.“

Der Kern der Satanic Panic

Durch die häufig dubiose Symbolik biete Heavy Metal eine leichte Angriffsfläche für die sogenannte „Satanic Panic“, erklärt Scheller. „Wer einen angeblich gewaltverherrlichenden und perversen Gegner sucht, der findet ihn im Heavy Metal und übersieht dabei, dass Heavy Metal sich mit diesen Themen auseinandersetzt und sie nicht zwingend verherrlicht.“

Es gab und gibt auch radikale Metalbands, die in Norwegen in den 90er Jahren sogar christliche Kirchen angegriffen haben. Allerdings sei das nur ein kleiner Teil der Szene.

Hier quillt der Irrsinn nach oben

Insgesamt könne man den Umgang mit der Heavy Metal-Szene als Gradmesser für die Liberalität einer Gesellschaft deuten. „Autoritäre Systeme versuchen Reinheit und Purismus zu erzeugen“, meint Scheller. Heavy Metal hingegen bringe aufs Tapet, was man, freudianisch betrachtet, gerne ins Unbewusste verdränge.

„Im Heavy Metal quillt der ganze Irrsinn, der sich unter dem Deckmantel der Zivilisation verbirgt nach oben, deswegen wird er von autoritären Systemen bekämpft.“ Andererseits könne Metal selbst auch autoritär sein, sagt Scheller. „Es ist wie beim buchstäblichen Metall, es kann geschmolzen und in neue Formen gegossen werden.“

Wacken

Leben Stäbchen rein, Spender sein – Der weiche Kern der Heavy Metal Szene

Das kleine Dorf Wacken in Schleswig-Holstein ist legendär. Nicht nur für das Festival mit mehr als 80 000 Heavy Metall Fans. Tausende haben sich hier auch für die Deutsche Knochenmarkspenderdatei typisieren lassen.

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Buchkritik Jenny Hval – Gott hassen

Hätte dieses Buch einen Soundtrack, bestünde der aus E-Gitarrenklängen, repetitiven Schlagzeugbeats und dröhnendem Gesang. „Gott hassen“ von Jenny Hval ist nämlich ein Metalroman. Dabei deckt die Norwegerin auf: Metal, Männer und Macht sind sich näher, als man auf den ersten Blick meint.

Aus dem Norwegischen von Clara Sondermann
März Verlag, 240 Seiten, 22 Euro
ISBN 978-3-7550-0015-0

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