SWR2 Hörspiel

Gibt es überhaupt Thomas Pynchon? Geschichte eines Rechteerwerbs

Stand
Autor/in
Thomas Pynchon
Klaus Buhlert

Das Ende des Zweiten Weltkriegs – von den V2-Nazi-Raketen auf London bis zur deutschen Kapitulation und dem Atombombenabwurf – als Paranoia-Drug-Sex Road Movie-Hörspiel nach dem Roman von Thomas Pynchon.

Geschichte eines Rechteerwerbs

James Joyces „Ulysses“, Marcel Prousts „Recherche“, Thomas Manns „Doktor Faustus“, David Foster Wallaces „Unendlicher Spaß“ … Manche Romane der Weltliteratur gleichen einer Berg-Besteigung von 8000ern. Sie sind nicht einfach zu beschreiten, führen Schutthalten von Sekündärliteratur mittlerweile mit sich, die es bei ihrer Erstveröffentlichung nicht gab, und lassen viele Versuche bereits nach den ersten Schritten scheitern, da die Erwartungen ans Werk und an sich zu groß sind. Zu Unrecht. Diese Werke sind eigentlich gut lesbar, nur eben ungewöhnlich, voller Humor – nur muss man muss bereit sein, sich darauf einzulassen. Der Lohn des Weges, die auch mal eine Durststrecke überstehen muss, ist unvergleichlich; ein Blick herab auf die Welt ist es, der mitten in die Welt führt, die wir bewohnen.

Thomas Pynchons 1973 in den USA erschienener Roman Die Enden der Parabel gehört zu diesen 8000ern, die sich nicht wegschmökern lassen, aber am Ende des Weges den Leser mehr als reichlich beschenken. Der Roman ist eine Auseinandersetzung mit dem Ende des II. Weltkriegs, wie sie nur einem Amerikaner mehr als 25 Jahre danach gelingen konnte. Die Handlung reicht von Ende 1944, mit den V2 Angriffen auf London, bis in den September 1945, also nach dem Abwurf der ersten Atom-Bombe. Erzählt wird eine Geschichte, die einem Spionagethriller gleicht. Sie handelt von der Jagd der englischen, amerikanischen und sowjetischen Geheimdienste nach den Bauplänen der V2-Rakete aus dem Geiste der Postmoderne und des Pop: anarchisch, respektlos und mit absurder Komik. Und natürlich mit Nazis. Pynchons Trip führt in die Abgründe der Waffentechnik und humanbiologischer Konditionierung. Die Auflösung menschlicher Identitäten und Freiheiten im Netzwerk globaler Überwachungssysteme ist sein Thema, das heute aktueller nicht seien könnte.

Zurück zum Berg-Bild. Das Hörspiel kann Auf- wie Einstiegsmöglichkeiten für diese 8000er der Weltliteratur anbieten. Doch zuerst muss ein Basis-Lager errichtet werden, was nicht ohne Sherpas geht. In unserem Falle ging es um den Erwerb der Rechte vom bis heute mysteriösesten und öffentlichkeitsscheusten lebenden Autor der Welt, der jegliche Fotos von sich verboten hat (bis auf ein nicht 100% verbürgtes als junger Mann mit schiefen Zähnen), der nur mit einem Sack über dem Kopf bei den Simpsons auftrat, von dem es kaum Interviews gibt und der alle Anfragen auf Bearbeitungen seines Hauptwerkes ablehnte.

Die erste Anfrage 2005 - Funkstille...

Ich lese Pynchons Werke seit 1981. Aber auch Studententräume möchten Wirklichkeit werden. So fragte ich erstmalig als Dramaturg 2005 beim Rowohlt Verlag an. Damals arbeitete dort in der Lizenzabteilung Renate Koch. Sie lachte, versprach sich dennoch zu erkundigen und winkte anschließend ab. Let it be. No chance.

Es wurde ein „running gag“ jedes Jahr.
Irgendwie erhielt ich 2013 die Mailadresse von Pynchons Agentin, die auch seine Ehefrau ist. Ich mailte ausführlich, was der öffentlich-rechtliche Rundfunk als Non Profit Organisation sei, was „Hör! Spiel“ ist etc. – keine Error Meldung im Email-Account, aber auch keine Antwort.

Weihnachten 2014. Same procedure as every year, ergänzt um Audiofiles u. a. vom Joyce-Hörspiel, einem in Englisch produzierten Transgender-Stück des DJs Terre Thaemlitz und Becketts „Words and Music“. Zwei Tage später zeigte mein Account an: „files downloaded“. Immerhin. Frau Koch und ich amüsierten uns über die Schönheit des Phänomens „love labour‘s lost“.

Weihnachten 2015: Die Kinder mussten am späten Abend unbedingt doch noch den neuen „Ego Shooter“ spielen. Also Laptop aufgeklappt in dieser Kakophonie von kriegerischen Digital-Geräuschen und menschlichen Urlauten. Ich bot dieses Mal ein SWR2-Radioevent an, zum 75. Jahrestag des Endes von WWII, einen Koproduzenten, dazu Hörbuchveröffentlichung und später Wiederholung im Radio in Einzelfolgen.

5. January 2016: Dear Manfred Hess, Thank you for this query. We are interested in exploring this with you … P.S.  I contacted Rowohlt yesterday about this and in principle they were enthusiastic.

Ich stand nicht mehr allein in der Wand, war angeseilt. Ich bedankte mich bei Renate Koch und beim Programmleiter Belletristik von Rowohlt, Thomas Überhoff. Ohne sie wäre dies nicht möglich gewesen und ohne sie auch nichts mehr weiter gegangen.

16. February 2016: Dear Manfred, we are fine with proceeding.

Die Gefährten

Beim Sender SWR2 wurde die Idee sofort unterstützt. Mit Klaus Buhlert wurden erste Konzeptgespräche geführt, mit Sabine Küchler vom Deutschlandfunk Köln eine Koproduzentin gewonnen und mit Johannes Stricker von Hörbuch Hamburg eine Kooperation vereinbart, um das Pynchon angebotene Paket auch tatsächlich abzusichern. Ohne selbständig agierende Partner geht eben gar nicht.

Das Pynchon-Paket enthielt die Zusicherung, keine Teile oder Längen für das Hörspiel vorzugeben, also mit keiner einengenden Formatierung an die Arbeit zu gehen, vielmehr aus der Logik des Romans die Bearbeitung zu entwickeln. Darüber hinaus die Zusage, keine Zensur so genannter obszöner Passagen vorzunehmen und nicht zuletzt, dass die Adaption den Wortlaut der deutschen Übersetzung nicht ändert oder Passagen hinzuschreibt. Pynchon im „deutschen Original“ sollte es werden. Gekürzt für den Transfer ins Akustische. Natürlich, es ist schließlich keine Lesung.

Aber der Autor Pynchon ist eben Thomas Pynchon. So mussten langwierig viele Vertragsdetails geklärt werden. Dann kam plötzlich das Verbot, die berühmten Limericks - die potenziellen Songtexte in „Gravity‘s Rainbow“ - nicht musikalisch vertonen zu dürfen. Mr. Pynchon habe da seine eigenen musikalischen Vorstellungen, und die seien nicht kongruent mit fixierten Songs. Was uns zuerst als herber Verlust erschien (die Texte eigenen sich hervorragend für Songs - und Klaus Buhlert als Komponist sah schon freudig der Herausforderung entgegen), erwies sich im Laufe der Arbeit am Hörspiel als großer Gewinn. Der Autor weiß es eben besser. Es gibt im zeitlich voranschreitenden nur einen Zeit-Vektor kennenden Akt des Hörens kein flüchtiges überfliegendes Zurückblättern. Ein Song fordert immer Autonomie ein, vielleicht sogar eine vom Zusammenhang her ausgekoppelte Rezeption a la „the best of“. Zumindest, so gut er auch sein mag, erschwert er gerade im Akustischen die ohnehin schon schwierige Handlungsorientierung in Gravity’s Rainbow. Pynchons Empfehlung, diese Texte zu streichen, sind wir größtenteils nachgekommen und haben diese Passagen, wenn wir einige nutzten, nur lesen lassen. Der Vorteil: So konnte Klaus Buhlert das Konzept freier und kreativer darauf anlegen, mit Musik und Atmo-Settings ein „akustisches Gesamtlayout“ zu entwerfen. Dies war gerade an den Stellen stärker einzusetzen und wichtig, an denen der Hörer den Überblick verlieren könnte (und wir zu Beginn der Arbeit auch machmal verloren hatten).

Wie beim Opernlibretto, das auch nicht immer vollständig verstanden werden muss, wie selbst ein Hofmannsthal es einst als Librettist von Strauß vermerkte - wie dort sollten Hörerinnen und Hörer über die im Hörspiel mögliche akustisch-musikalische Suggestivität dazu verführt werden, selbst bei Irritationen trotzdem weiter „dran“ zu bleiben und lustvoll zumindest eine Ahnung davon zu gewinnen, wovon diese Passagen handeln. Und nicht zuletzt gehört es zum offenen Konzept von „Gravity’s Rainbow“, nicht alles in den Begriff und Eindeutigkeit aufzulösen.

Vom "Basislager" zum "Gipfelkreuz"

Am 5. Dezember 2017 zeichnet Thomas Pynchon in New York den Vertrag zu „Gravity‘s Rainbow“. Erstmalig erlaubte er, was er bisher verwehrte. Das Basislager stand. Wie dann Klaus Buhlert das Hörspiel als Gipfel-Kreuz setzen konnte, das ist wiederum eine ganz andere Geschichte. Vielleicht ist hier ein Wendung des Komponisten Hans Eislers treffend, der den Prozess künstlerischer Arbeit einmal so umschrieben hat: Idee, Umsetzung, Überprüfung, Verzweiflung, neuer Versuch, Korrektur, Weitermachen; Idee, Umsetzung, Überprüfung …

Hörerinnen und Hörer sind auf unserem Gipfel jedenfalls herzlich willkommen.

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