Soldaten in Schützengräben im Feld, in Kampfflugzeugen in der Luft oder in Schiffen und U-Booten zu Wasser - das ist das Bild, das man wohl normalerweise von der Bundeswehr im Einsatz hat. Wenn sie im sogenannten Cyber- und Informationsraum unterwegs sind, könnte man sich hingegen vorstellen, dass Soldatinnen und Soldaten in Uniform den ganzen Tag am Computer sitzen.
In Daun in der Vulkaneifel ist beides der Fall. Seit fast 60 Jahren wird dort Funkaufklärung betrieben. Bisher gab es dort Einheiten der Elektronischen Kampfführung und der Fernmeldeaufklärung. Seit gut einem Jahr sitzt aber auch das neue Kommando Aufklärung und Wirkung in Daun. Es ist dem Kommando Cyber- und Informationsraum (CIR) in Bonn unterstellt.
Dort beschäftigt man sich nicht mit Land, Luft oder See, sondern mit einem eher abstrakten, schwer zu fassenden Raum: dem Internet, Funkverbindungen, Satellitentechnik. Dieser Bereich wurde kürzlich von Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) zur vierten Teilstreitkraft ernannt.
Aber was genau wird darin gemacht und warum ist der Bereich so wichtig? Das CIR hat Pistorius einst als Nervensystem der Streitkräfte bezeichnet. Für Brigadegeneral Peter Richert, Chef des neuen Kommandos in Daun, ein treffendes Bild: "Insbesondere mit den IT-Services vernetzt die Teilstreitkraft CIR die Streitkräfte und stellt sicher, dass jede Information sicher dorthin kommt, wo sie hingehört. Wenn ich das übertrage, dann entspricht die Funkaufklärung den Ohren und die Satelliten sind die Augen. Hier im Kommando Aufklärung und Wirkung werden die Informationen zusammengebracht. Ich will eigentlich nicht sagen, dass das Kommando das Gehirn ist - aber ich glaube, das ist eine ganz gute Analogie in Bezug auf die Aufklärung."
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Cyberraum wird seit Jahren immer wichtiger
Um zu verstehen, was da in Daun vor sich geht, muss man einen Blick zurück in das Jahr 2017 werfen: Damals erkennt man, dass der digitale Raum, das Internet und alles, was damit zusammenhängt, in der modernen Kriegsführung eine immer größere Rolle spielen wird. Das CIR wird gegründet, damals noch als Organisationsbereich der Bundeswehr, so wie auch beispielsweise der Sanitätsdienst einer ist. 2016 hatte schon die NATO definiert, dass der Cyberraum ein neuer Operationsraum für das Militär ist. Ein Cyberangriff könnte den NATO-Bündnisfall auslösen.
Die deutsche Bundeswehr zählt nicht nur das Internet, sondern auch das elektromagnetische Spektrum - etwa Funkwellen, Radiofunk oder Mobiltelefonie - und die Informationen, die in der Gesellschaft, also in Gesprächen, Chats etc., kursieren, zum Cyber- und Informationsraum. Die Bundeswehr betreibt in diesem Raum "Aufklärung", "Wirkung", "Betrieb" und "Schutz". Derzeit wird das CIR bis 2025 noch einmal neu strukturiert.
Im Zuge dessen kam auch das neue Kommando Aufklärung und Wirkung in die Eifel. Aber warum ausgerechnet Daun? "Das hat natürlich damit zu tun, wie viel Infrastruktur hier bereits vorhanden war im Hinblick auf IT-Ausstattung, Antennenanlagen etc.", sagt General Richert. "Für die funkelektronische Aufklärung war Daun schon immer das Herzstück."
Dem Kommando, in dem schließlich alle Informationen zusammenlaufen, gehören neun Dienststellen in ganz Deutschland an, die sich mit Aufklärung und Wirkung beschäftigen. Viele dieser Aufgaben können aus Deutschland erledigt werden, sagt Richert. Teile der Kräfte werden aber auch bei Einsätzen von Heer, Luftwaffe und Marine mitgeschickt. Das Kommando verfügt über Flottendienstboote und zukünftig auch Luftfahrzeuge zur Aufklärung.
Hohe Qualifikation für Aufgaben im Kommando
Wer einen Job innerhalb des Kommandos machen möchte, muss also einiges drauf haben: Zum einen müssen alle üblichen Anforderungen an Soldaten erfüllt werden, die auch das Heer, die Luftwaffe und die Marine stellt. Zweitens müssen Bewerber ein hohes technisches Verständnis mitbringen, sagt Richert. Die Geräte, die die Bundeswehr einsetzt, seien komplex und sie müssten unter schwierigen Bedingungen und Zeitdruck bedient werden. "Und der dritte Punkt ist: Wenn Sie Aufklärung betreiben, dann treffen Sie auch auf Fremdsprachen, sodass die Soldaten auch über entsprechende Sprachkenntnisse verfügen müssen." Darunter zum Beispiel Arabisch und Russisch.
Was Aufklärung bedeutet, ist in diesem Fall vielfältig: "Funkwellen haben eine gewisse Reichweite, zum Teil breiten sie sich weltweit aus. Deswegen können wir aus dem Standort Daun und anderen Stellungen in Deutschland heraus weltweiten Funkverkehr aufnehmen, übersetzen, auswerten und daraus gewisse Bewertungen treffen."
Das Gleiche gelte, wenn Kräfte zum Beispiel des Heeres eingesetzt sind. Dann sei auch das CIR mit dabei, um Funkverkehr eines Gegners aufnehmen und auswerten zu können und die Informationen dem verantwortlichen Truppenführer zu geben: "Das geht so weit, dass entsprechende Übersetzungen direkt bereitgestellt werden, um damit neue Maßnahmen zu ergreifen. Das bedeutet für uns natürlich, dass wir nicht selten viele, viele Jahre in die Ausbildung investieren."
Aufklärung findet aber auch aus dem Weltraum und über das Internet statt: "Satelliten nehmen Bilder auf und wir können aus diesem Bildmaterial dann Bewertungen treffen, wo sich welche Kräfte befinden. Wir greifen auch auf Informationen zu, die im Internet verfügbar sind, bewerten diese Informationen, ob sie tatsächlich glaubhaft und wahr sind und ziehen Schlüsse." Grundsätzlich können auch in gegnerischen IT-Systemen Informationen gewonnen werden.
Das Wichtigste, was in Daun passiert, sei dann, dass alle diese Informationen zusammengeführt werden und ein Lagebild ergeben, das bewertet wird: "Was macht der potentielle Gegner? Wie ist die Lage? Was könnte passieren?"
Hacken in der Bundeswehr?
Der zweite Aufgabenbereich, die sogenannte Wirkung, ist ebenso wichtig und meint, dass auf gegnerische Systeme eingewirkt wird: Diese Kräfte können gegnerischen Funkverkehr oder auch Drohnen und Sprengfallen stören, sodass diese nicht ausgelöst werden können. "Und auch da wird deutlich, dass unsere Kräfte mit vor Ort sein müssen, wenn sie einen Heeresverband schützen sollen." Wirkung sei auch im Cyberraum möglich, die Kräfte im Zentrum Cyber-Operationen in Rheinbach, das dem Kommando in Daun unterstellt ist, können also gegnerische IT-Systeme beeinflussen, stören und lahmlegen.
Wer im Kommando arbeiten will, muss also hacken können? "Den Begriff 'Hacken' mag ich natürlich nicht, weil der nach meiner persönlichen Bewertung so ein bisschen belegt ist. Unser 'Wirken' unterliegt den gleichen rechtlichen Bedingungen wie auch die Land-, Luft- und Seestreitkräfte. Wir halten uns an das Grundgesetz, die Genfer Konvention und das Mandat, das wir für einen Einsatz erhalten", sagt Richert.
Aufwertung als Teilstreitkraft
Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius hat den Cyber- und Informationsraum nun zur vierten Teilstreitkraft neben Heer, Luftwaffe und Marine erklärt, er ist nicht mehr nur ein Organisationsbereich. Das ändert bei der Bundeswehr in Daun erst einmal nichts an den Aufgaben. Es ist aber eine Aufwertung, sagt General Richert: "Die Zeit und letztendlich auch der Angriff Russlands auf die Ukraine haben gezeigt, welche besondere Bedeutung der Cyber- und Informationsraum mittlerweile in der modernen Kriegsführung hat."
Und es bedeute neue Verantwortung: Zuvor waren die Kräfte des CIR vorwiegend unterstützend in den Räumen der bisher drei Teilstreitkräfte Heer, Luftwaffe und Marine unterwegs. Jetzt hat die Teilstreitkraft CIR die Verantwortung für den eigenen Raum, eben den Cyber- und Informationsraum. Und darin kann sie auch eigene Operationen durchführen, was vorher nur Heer, Luftwaffe und Marine vorbehalten war: "Damit wird unsere Arbeit seit 2017 gewürdigt und der besondere Stellenwert deutlich, den wir mittlerweile erreicht haben."
Wann immer es in Zukunft Einsätze oder Übungen der Bundeswehr gibt, sollen also auch Kräfte des CIR dabei sein. Zum Beispiel auch aus Gerolstein. Die Soldatinnen und Soldaten im Informationstechnikbataillon in der Eifelkaserne sind dafür zuständig, IT für Einsätze bereitzustellen. Also zum Beispiel einen Gefechtsstand in einem Zelt im Einsatzgebiet aufzubauen und dort Computer und Internet ans Laufen zu bringen.
Zusammenarbeit mit Kommunen
In Daun sind noch nicht alle der etwa 1.500 Stellen besetzt, weil das Kommando erst neu aufgebaut wurde. Die Bundeswehr am Standort Daun will deshalb in Zukunft auf Veranstaltungen in der Region präsent sein und führt Gespräche mit den Verbandsgemeinde-Bürgermeistern, sagt Richert: "Ich hätte fast gesagt, wir finden für jeden einen Arbeitsplatz. Wir brauchen den Kfz-Techniker, der schwere Fahrzeuge instandsetzt. Wir brauchen den ITler, der Fachsysteme programmieren kann. Wir brauchen den Sprachbegeisterten. Wir haben eine große Bandbreite an Aufgaben und das in einem regionalen Umfeld."
Ein Drittel der Dienstposten in Daun wird mit Zivilkräften besetzt, sagt Richert. Denn nicht jeder will Dienst an der Waffe machen. So wie auch nicht jeder der Bundeswehr gegenüber positiv eingestellt ist. General Richert möchte, dass sein Kommando in der Region präsent ist und mit den Menschen ins Gespräch kommt.
Er plant zum Beispiel auch einen Tag der offenen Tür zum 60-jährigen Jubiläum des Standorts im kommenden Jahr: "Die Zusammenarbeit mit der Stadt Daun und mit den Verbandsgemeinden ist mir enorm wichtig, weil ich einfach glaube, dass wir den Wandel, den wir hier vollzogen haben, hin zu diesem Kommando Aufklärung und Wirkung, auch in die Stadt transportieren müssen. Damit die Bewohner hier im Umkreis wissen: Was befindet sich tatsächlich hier?"
Folgen für Sicherheit in Daun?
Mehr Präsenz und dass Daun immer wichtiger in der modernen Kriegsführung wird, könnte aber auch bedeuten, dass sich die Bedrohungslage für den Standort ändert, sollte es tatsächlich mal zu einem Krieg kommen, oder?
General Richert meint, nein. Denn die Einrichtung besteht seit vielen Jahrzehnten und in Teilen sei auch sehr bekannt, was dort gemacht wird: "Entscheidender dabei ist tatsächlich, wie sich die sicherheitspolitische Lage insgesamt geändert hat. Wenn wir sehen, dass mittlerweile in Europa durch Russland Grenzen wieder gewaltsam verändert werden, hat sich auch die Bedrohungslage und die Sicherheitslage für Europa und für Deutschland geändert. Wichtig für uns ist, dass wir alle Maßnahmen treffen, die wir treffen können, um eine Sicherheit auch hier am Standort zu gewährleisten."