SWR Aktuell: Drei Jahre ist jetzt der öffentliche Nahverkehr in Luxemburg kostenlos. Herr Minister Bausch, sind bei Ihnen in Luxemburg die Straßen wirklich leerer geworden?
François Bausch: Nein, sicher nicht. Das war auch nicht die Ambition. Es gibt natürlich Erfolge, wo die Qualität und der Ausbau gut sind. Das große Ziel ist es aber, das ganze Verkehrssystem umzukrempeln und stark in den Ausbau und die Qualität der öffentlichen Nahverkehrsmittel zu investieren. Wenn die Straßen dann leerer werden, ist das ein Nebeneffekt.
SWR Aktuell: Welche Beispiele fallen Ihnen für besondere Verbesserungen in Luxemburg ein?
Bausch: Die neue Stadtbahn, auch Tram genannt, die seit 2017 in Betrieb ist. Trotz des Corona-Lockdows fahren wir einen Rekord nach dem anderen ein. Wir haben mit etwa 15.000 Passagieren pro Tag begonnen. Danach wurde die Strecke weiter ausgebaut. Mittlerweile zählen wir mehr als 100.000 Passagiere täglich. Das ist ein Wahnsinns-Erfolg. Für die Passagiere ist es außerdem bequem, dass sie einfach ohne Ticket einsteigen können, ohne sich zu fragen, ob sie den richtigen Tarif, in der richtigen Zone gewählt haben. Der Gratis-ÖPNV hat da eine Hebel-Wirkung. Aber er ist nicht der Schlüssel zum Erfolg an sich.
SWR Aktuell: Das betrifft ja nicht nur Luxemburger, sondern auch Deutsche, also Pendler aus der Region Trier. Merken Sie da, dass mehr Menschen aus der Region Trier, die nach Luxemburg einpendeln, auf Bus und Bahn umgestiegen sind?
Bausch: Sicher. Aber die Menschen in Rheinland-Pfalz und im Saarland sind auch ein bisschen frustriert, weil der Luxemburger Teil des ÖPNV gratis ist und in Deutschland immer noch ein Ticket gekauft werden muss. Daher experimentieren wir mit Pilotprojekten. In Frankreich gibt es eine Busverbindung nach Thionville. Da haben wir den Gratisverkehr um fünf Kilometer über die Grenze hinweg ausgedehnt. Wir tragen dort auch auf der französischen Seite die Kosten und probieren aus, wie sich das auswirkt.
Debatte über Bus und Bahn
Der Gratis ÖPNV in Luxemburg macht eindeutig Druck auf unsere Nachbarregionen. Und vor allem gibt es eine Debatte, was bedeutet ÖPNV im Hinblick auf Qualität? Das hat man ja auf deutscher Seite auch gemerkt . mit dem Neun-Euro-Ticket oder dem geplanten 49-Euro-Ticket. Es löst eine Diskussion aus, wie bewege ich mich fort? Wir denken nach über Verhaltensweisen. Das ist das Wichtigste neben einer transparenten und einfachen Tarifstruktur.
SWR Aktuell: Aber würden Sie sich trotzdem mehr Entgegenkommen der Deutschen wünschen, dass eben nicht mehr dieses Problem besteht, dass man irgendwie täglich zehn Euro zahlt, um an die Grenze zu fahren und dann in Luxemburg nichts mehr zahlen muss?
Bausch: Ich bin immer ein bisschen frustriert, wenn ich sehe, wie lange Projekte in Deutschland benötigen. Zum Beispiel gibt es bei Ihnen die Weststrecke der Bahn. Dafür hat Luxemburg schon neue Züge gekauft. Die Strecke sollte eigentlich 2019 fertiggestellt sein. Wir schreiben mittlerweile aber das Jahr 2023. Die Strecke ist immer noch nicht bereit. Dabei wäre das für viele Menschen günstiger gelegen, etliche wohnen in der Nähe. Die Strecke hätte großes Potenzial. Mir geht das zu langsam.
Mehr Schnelligkeit für gemeinsame Projekte erwünscht
Damit wir gemeinsame Ausbauprojekte umsetzen können, müsste es auf deutscher Seite also schneller gehen. Luxemburg ist ja auch bereit, teilweise Projekte über die Grenze hinaus zu finanzieren. Und die Menschen erwarten eine einfache Tarifstruktur. Da ist das 49-Euro-Ticket eine prima Sache. Es gibt in Deutschland aber bisher einen viel zu großen Tarif-Dschungel, der für die Passagiere undurchsichtig ist. Da ist noch viel Luft nach oben. Und mehr Investitionen in einen guten Nahverkehr sind der Schlüssel zum Erfolg, damit die Menschen auf den ÖPNV umsteigen.
SWR Aktuell: Wie klappt denn allgemein die Zusammenarbeit im Verkehrsbereich mit Rheinland-Pfalz und der Region Trier im Besonderen?
Bausch: Wir haben sehr gute Beziehungen zu Rheinland-Pfalz und dem Saarland. Aber das Problem ist, dass die Länder und Regionen in Deutschland sehr vom Bund und dessen finanziellen Mitteln abhängig sind. Mir tut mein Kollege Wissing oft leid. Er hat den guten Willen, etwas umzusetzen. Aber der Finanzminister gibt ihm kein Geld. Und es werden auch falsche Prioritäten gesetzt: In Deutschland liegt die Hauptpriorität darauf, möglichst viele Autobahnen auszubauen. Dabei ist das doch ein Rückschritt ins vergangene Jahrhundert.
Neue Prioritäten bei der Verkehrsplanung
Ich bin grundsätzlich nicht gegen den Ausbau von Autobahnen. Wir bauen auch Autobahnen aus. Aber man muss den Fokus auf die Effizienz legen. Es bringt nichts, wenn ich eine verstopfte Autobahn um eine Spur erweitere und den Stau von zwei auf drei Spuren vergrößere. Es kommt drauf an, wie viele Menschen in den Autos sitzen. Wir wollen letztlich Menschen bewegen und nicht Fahrzeuge. Und da würde ich mir wünschen, dass Herr Wissing mehr Geld bekommt, um das Eisenbahnnetz auszubauen, so wie es jetzt die Franzosen tun. Die haben entschieden, hundert Milliarden Euro in regionale Bahnen und Bahnstruktur zu investieren. Das ist der Weg, den wir beschreiten müssen.
SWR Aktuell: Was sind denn bei Ihnen in Luxemburg die nächsten größeren Projekte im Verkehrsbereich?
Bausch: Wir haben einen "Nationalen Verkehrsplan 2035" ausgearbeitet. Das Verkehrssystem in Luxemburg soll sich damit grundlegend ändern. Unser Mobilitätssystem ist schrecklich ineffizient geworden. Deswegen muss man ein neues System aufbauen, welches verschiedene Verkehrsmittel miteinander verknüpft: Fußgänger, Radfahrer, Busse, Züge, Stadtbahnen wie die Tram. Und dabei muss man auch das Auto miteinbeziehen. Das nennen wir: multimodales Verhalten in der Gesellschaft erzeugen.
Projekt Stadtbahn soll Ballungsräume verbinden
Eines der großen Projekte darin ist die Stadtbahn, die wir gerade weiter ausbauen. Es ist eine Art S-Bahn um die Hauptstadt herum. Aber auch in der Hauptstadt wird das Netz ausgebaut. Dabei soll das Ballungsgebiet Zentrum mit dem Ballungsgebiet im Süden Luxemburgs verbunden werden, denn dort befindet sich die Universität und die Stahlindustrie. Das ist ein riesiges Projekt, das bis 2035 fertig sein soll.
SWR Aktuell: Was wäre dann für Sie in einer idealen Welt die Vision, die Sie vom Verkehr in der Großregion haben?
Bausch: Die besteht darin, dass ich immer vielfältige Möglichkeiten habe, mich fortzubewegen. Es kann sein, dass ich an einem Tag, weil es nicht anders geht, das Auto benutze. Aber größtenteils sollte es so sein, dass ich morgens überlege: "Was ist mein Alltag, welche Pläne habe ich?" Und dann kombiniere ich Verkehrsmittel nach Bedarf. Die letzte Meile lege ich auf dem Fahrrad zurück. Damit erreiche ich einen Bahnhof. Dort nutze ich einen Zug. Und danach nutze ich einen Bus oder einen Zug, der mich weiterbringt. Es kann auch eine Park & Ride-Anlage sein, um das Auto bequem abzustellen und dann den Großteil der Strecke mit dem Zug zurückzulegen. Damit man Verkehrsmittel so kombinieren kann, muss man sehr effiziente öffentliche Verkehrsmittel haben. Damit das Umsteigen und der Wechsel des Verkehrsmittels zeitsparend gelingen kann.