Friedengespräche in Duisburg

Nach "Clan"-Tumulten in NRW: Syrer aus der Eifel half bei Schlichtung

Stand
Autor/in
Eric Beres

Nach den tumultartigen Szenen in NRW im Juni trafen sich Vertreter zweier arabischer Großfamilien in Duisburg zu Versöhnungsgesprächen. Mit dabei war ein Syrer aus der Eifel. Im SWR-Interview versucht er den Eindruck zu zerstreuen, man agiere an der deutschen Justiz vorbei.

Gibt es unter arabischen Großfamilien eine Art Paralleljustiz? Wurde auch der Konflikt zwischen Mitgliedern einer libanesischen und einer syrischen Familie, der vor einigen Wochen in Castrop-Rauxel und Essen zu tumultartigen Szenen auf der Straße geführt hatte, vorbei an der deutschen Justiz gelöst? Das ARD-Politikmagazin "Kontraste“ hatte Ende Juni mit der Kamera ein Treffen der beiden Großfamilien in Duisburg dokumentiert. Zu sehen ist, wie Vertreter der beiden Familien Hände schütteln. Offenbar wurde der Streit an diesem Tag beigelegt. 

Vermittler aus Niederöfflingen

Im Interview mit dem Südwestrundfunk (SWR) versucht nun ein ranghoher Vertreter der syrischen Seite, die Bedeutung des Treffens herunterzuspielen. Jamil Al-Soliman, der mit seiner Familie in Niederöfflingen (Landkreis Bernkastel-Wittlich) wohnt, war nach eigenen Angaben bei dem Treffen in Duisburg dabei, habe dort eine Rede gehalten. Die Szene ist auch in einem Internetvideo zu sehen, auf dem sich Al-Soliman wiedererkennt. Im SWR-Interview sagt er: "Das Problem für beide Familien endet. Sie haben sich versöhnt, gegenseitig geküsst und es kann gut sein, dass die eine Familie die andere besucht, bei ihr isst und umgekehrt (…). Wir haben ein Prozent getan. Die restlichen 99 Prozent sind der Job des Staates."

Er sei im Clan eine angesehene Respektperson. Sein Vater sei in Syrien bereits als Streitschlichter bekannt gewesen. Er selbst habe bereits vor einigen Jahren in Oberhausen einen Konflikt gelöst. Vor einem Monat, berichtet er, sei er von einem Clan-Mitglied in Nordrhein-Westfalen kontaktiert worden. Dieser war von der Auseinandersetzung zwischen Mitgliedern der "Al-Busaraja" und einer libanesischen Großfamilie betroffen. "Der Mann sagte, ich will, dass dieses Problem ein Ende hat und dass meine Kinder weiter ihre Ausbildung machen können. Ich fragte ihn, bist du mit einer Versöhnung einverstanden? Er sagte: ‘Ja’. Sofort habe ich einige Personen angerufen, um mir zu helfen. Sie gingen dann zu der anderen, der libanesischen Gruppe. Und die hat der Versöhnung zugestimmt", erzählt Al-Soliman.

Clan-Mitglied Jamil Al-Soliman zuhause in Niederöfflingen
Jamil Al-Soliman floh 2015 wegen des Bürgerkrieges aus Syrien nach Deutschland. Seit knapp einem Jahr lebt er in Niederöfflingen.

Syrischer Schlichter: Polizei und Oberbürgermeister informiert

Konfrontiert mit der Frage, ob durch dieses Vorgehen Ermittlungen von Polizei und juristischen Verfahren vorgegriffen werde, sagt er, die Polizei sei bereits bei den ersten Auseinandersetzungen im Haus des betroffenen syrischen Vaters eingeschaltet worden. Von dem Treffen in Duisburg hätten zudem staatliche Stellen gewusst. Das habe ihm ein weiterer hochrangiger Teilnehmer auf syrischer Seite erzählt."Ich habe ihn darum gebeten, der Polizei Bescheid zu sagen. Er sagte mir: ‘Ich habe es mitgeteilt’. Er teilte es der Polizei in Duisburg und dem Bürgermeister mit und sagte ihnen, dass wir eine Lösung finden. Der Mann sagte mir, wenn der Polizeioffizier Zeit und keine anderen Verpflichtungen hätte, würde er an dem Versöhnungstreffen teilnehmen. Das alles haben wir mit dem Wissen des Staates gemacht."

Wussten Behörden von Friedensgesprächen?

Diese Aussage ist brisant vor dem Hintergrund, dass die Polizei in Nordrhein-Westfalen Friedensgespräche wie die in Duisburg eigentlich verhindern will. Auf SWR-Anfrage teilte ein Sprecher des Polizeipräsidiums Essen, das ein eigenes Kommissariat Clan-Kriminalität führt und im aktuellen Fall ermittelt, mit, man lehne etwa den Einsatz von so genannten "Friedensrichtern" ab. Dadurch werde das Rechtssystem "wissentlich missachtet". Und weiter: "Hätten wir in diesem Fall rechtzeitig Kenntnis von den Friedensgesprächen erhalten, wären wir konsequent eingeschritten und hätten dies verhindert."

"Hätten wir in diesem Fall rechtzeitig Kenntnis von den Friedensgesprächen erhalten, wären wir konsequent eingeschritten und hätten dies verhindert."

Erst bei einer Verkehrskontrolle in Essen, am Abend des Versöhnungsgesprächs, habe man einen ersten Hinweis auf das Treffen in Duisburg erhalten. Einen Tag später habe man dann in den Medien davon erfahren. Hätte die Polizei in Essen womöglich frühzeitiger von dem Treffen wissen können? Sowohl Polizeipräsidium als auch Stadtverwaltung Duisburg teilten auf SWR-Anfrage mit, man habe im Vorfeld keine Informationen über das Friedensgespräch gehabt.

Einfluss auf Zeugenverhalten?

Die Polizei in Essen teilte dem SWR mit, grundsätzlich zeige die Erfahrung, dass nach Friedensgesprächen potentielle Zeugen ihre Aussagen revidieren könnten, wenn es zu Gerichtsverfahren komme. Gegen wie viele Beschuldigte aktuell ermittelt wird, wollte die Behörde nicht mitteilen. Nur so viel: Die Polizei habe die Personalien "von über 130 Personen" festgestellt. Die Staatsanwaltschaft Dortmund, die die Vorgänge in Castrop-Rauxel bearbeitet, spricht von neun Ermittlungsverfahren mit 49 Beschuldigten. Es gehe unter anderem um versuchten Totschlag, schweren Landfriedensbruch, Angriff auf Vollstreckungsbeamte und den Verstoß gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz, teilte die Behörde dem SWR mit. 

"Wir haben in unserem Clan kein eigenes Gericht"

Jamil Al-Soliman streitet ab, dass durch das Versöhnungsgespräch in Duisburg Einfluss auf die Justiz oder das Verhalten von Zeugen genommen wird. "Wir haben in unserem Clan kein eigenes Gericht. Solche Sachen haben wir nicht," sagte der 46-Jährige.  

Nach den Tumulten sieht sich der "Al-Busaria"-Clan zudem mit Vorwürfen konfrontiert, einzelne Mitglieder seien in Drogengeschäfte und Schleuserkriminalität verwickelt. Im Interview streitet Al-Soliman das rundweg ab. Viele Mitglieder seien in Deutschland rechtschaffene Ärzte und Ingenieure. Allerdings sind auf Kanälen wie TikTok Videos zu finden, die mutmaßliche Schleuser zeigen sollen, die sich selbst als Mitglieder des Clans bezeichnen. Damit konfrontiert, entgegnet Al-Soliman: "Dieses TikTok schadet den Menschen. Es wird nicht kontrolliert. Also wenn ich jemanden diskreditieren will, gehe ich einfach auf TikTok."

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