Bistum Mainz zur Missbrauchsstudie

Distanz zu Kardinal Lehmann wächst

Bischof Kohlgraf von Missbrauchs-Studie "zutiefst erschüttert"

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Der Mainzer Bischof Kohlgraf hat sich erstmals ausführlich zu der Studie zu sexuellem Missbrauch im Bistum geäußert. Er kritisierte dabei seinen Vorgänger Kardinal Lehmann scharf.

Zu Beginn der Pressekonferenz am Mittwoch sagte Bischof Peter Kohlgraf, er empfinde die Schilderungen des mehr als 1.100 Seiten umfassenden Berichts als zutiefst erschütternd. Die Gutachter sprechen darin von mindestens 400 Opfern sexueller Gewalt im Bistum Mainz seit 1945, Opfer waren zumeist Kinder und Jugendliche. Kohlgraf stellte klar, es habe in der katholischen Kirche ein systemischen Versagen gegeben. "Eine solche Kirche will ich nicht mehr."

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Kohlgraf: Missbrauch immer mit Machtausübung verbunden

Kohlgraf sprach von schrecklichen Schilderungen, die er in den vergangenen Tagen gelesen habe. "Solche Taten sind für mich im Grunde im Namen des Evangeliums unvorstellbar - und doch sind sie geschehen. Ich finde es geradezu unaussprechlich widerwärtig, wenn derartige Verbrechen von Tätern religiös begründet werden. Damit wird im kirchlichen Kontext Glauben zerstört", sagte der entsetzte Bischof.

Er legte den Finger tief in die Wunde: Missbrauch sei immer verbunden mit Machtausübung, einer bestimmten Sexualmoral und dem kirchlichen Umgang mit ihr. Mit "männerbündischen Netzen und auch der priesterlichen Lebensform und deren Selbstverständnis".

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Distanz zu Vorgänger Kardinal Lehmann

In sehr persönlichen Worten ging er auch auf seinen Vorgänger Kardinal Karl Lehmann (1936-2018) ein, der viele Jahre auch Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz war. "Er verkörpert im Umgang mit Missbrauchsbetroffenen eine Kirche, die abgrenzt und sich ihrer Verantwortung nicht stellt", kritisierte Kohlgraf.

Menschen würden von Kardinal Lehmann "als moralische Lichtgestalt" sprechen. "Sie erfahren jetzt, wie ich, dass es auch eine andere Seite seiner Amtsführung gab. Besonders im Hinblick auf den Umgang mit von Missbrauch Betroffenen." Lehmann habe ihnen gegenüber "eine unglaubliche Härte und Abweisung" gezeigt, zudem hatte er wiederholt die systemische Verantwortung der Kirche und des Bistums für Missbrauchstaten bezweifelt, bedauerte Kohlgraf.

Um künftig solche Taten zu verhindern, haben nach Angaben des Bischofs im Bistum bereits 20.000 Haupt- und Ehrenamtliche eine Präventionsschulung absolviert. Im Bistum fände ein Kulturwandel statt, und "dieser Weg ist unumkehrbar", stellte Kohlgraf klar.

Weihbischof Bentz: Bild von Lehmann zerbrochen

Weihbischof Udo Markus Bentz ergänzte anschließend, er sei durch die Studie "in erschreckendem Maße" bestätigt worden. "Das hat mich aufgewühlt." Bentz sprach von einem gefährlich fahrlässigen Handeln. Vieles sei schwer erträglich, etwa "der Graben zwischen öffentlicher Rede und internem Handeln". Viele hätte ihm in den vergangenen Tagen gesagt, das Bild von Lehmann sei zerbrochen. "Mir ergeht es ähnlich", so Bentz.

"Für mich ist auch ein Bild zerbrochen."

Dank an die Opfer für Mitwirkung an der Studie

Auch die Bevollmächtigte des Generalvikars für die Missbrauchsaufarbeitung, Stephanie Rieth, äußerte sich kritisch zu Lehmann. "Kein Mensch gehört auf ein Podest", so Rieth. Überhöhung habe dazu beigetragen, Missbrauch in diesem Ausmaß möglich zu machen.

Die Ordinariatsdirektorin bedankte sich ebenso wie Bischof Kohlgraf bei allen Opfern, dass sie bei der Erstellung der Studie mitgewirkt haben. Sie sagte, es sei "Unrecht geschehen, das zum Himmel schreit". Dabei hätten die Opfer zweimal leiden müssen: Durch den Missbrauch selbst und wie damit in den vergangenen Jahren umgegangen worden sei. Rieth sprach von Verbrechen Einzelner und vom Versagen von Institutionen. Das Bistum sei bereit, individuelle Hilfen für die Betroffenen zu finanzieren, zum Beispiel Therapiemaßnahmen.

Kohlgraf: Dankbar, dass Wahrheit ans Licht kommt

Das Ergebnis der vom Bistum beauftragten Studie "Erfahren - Verstehen - Vorsorgen" (EVV) zeigt, das im Bistum Mainz jahrzehntelang Fälle von sexueller Gewalt nicht konsequent verfolgt, teils verschwiegen und verharmlost wurden. "Das Bistum als verantwortliche Institution hat durch unangemessenen Umgang und mangelnde Kontrolle in vielen Fällen sexuellen Missbrauch begünstigt", sagte der vom Bistum mit der Studie beauftragte Regensburger Rechtsanwalt Ulrich Weber. Kohlgraf sagte in der Pressekonferenz, er sei dankbar, dass die Wahrheit nun ans Licht komme.

Es sei wichtig, bei der Bewertung des Lebens von Bischöfen wie Albert Stohr, Hermann Kardinal Volk und Karl Kardinal Lehmann das Versagen nicht auszusparen, hatte Kohlgraf bereits am vergangenen Freitag bei der Vorstellung der Studie gesagt. "So wichtig ihre Verdienste in vielen Bereichen waren, so unmissverständlich haben wir auch gehört: Ihnen war der Schutz von Tätern und Kirche wichtiger als die Not von Betroffenen, auch wenn es in der Amtszeit von Kardinal Lehmann unterschiedliche Phasen des Umgangs gibt."

Betroffenenvertreter: Jetzt beginnt die Arbeit für das Bistum

Der Betroffenenvertreter in der unabhängigen Aufarbeitungskommission im Bistum, Jürgen Herold, erwartet, dass nun die Aufklärung weiter aktiv vorangetrieben wird. Jetzt beginne die Arbeit für das Bistum, sagte er am Mittwochmorgen im SWR. So müsse bei den Präventionsmaßnahmen noch mehr passieren.

Vor allem sollten rückwirkend diejenigen zur Verantwortung gezogen werden, die insbesondere unter Kardinal Lehmann beim Abwehren, Vertuschen und Täuschen geholfen hätten. Da habe es ein ganzes Netzwerk an Mitarbeitern gegeben, die teils heute in leitenden Positionen seien.

Schwachpunkte der Studie

Der Schwachpunkt der Studie sei, dass sie auf Daten beruhe, die im Bistum zur Verfügung gestellt wurden, sagte Herold. Es sei nicht aktiv versucht worden, Betroffene zu finden, die sich äußern. Im Rahmen der unabhängigen Aufarbeitungskommission müsse man da weiter gehen. Herold erwartet dabei auch massive Unterstützung durch Bischof Kohlgraf.   

25.000 Seiten Akten, 246 Gespräche

Im Rahmen der Studie waren rund 25.000 Seiten an Akten- und Archivmaterial untersucht und 246 persönliche, schriftliche oder telefonische Gespräche geführt worden. Für "hoch plausibel" halten es die Studienautoren, dass es mindestens 181 Beschuldigte und mindestens 401 Betroffene gibt.

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