Mariano Lopez leitet die Kinder- und Jugendhilfe Sankt Hildegard in Bingen. Schon seit 16 Jahren arbeitet er dort. So viele Anfragen wie zur Zeit hatte er in all den Jahren nicht, sagt er: "Es melden sich Jugendämter aus ganz Deutschland bei uns, aus Flensburg oder Oberammergau zum Beispiel, weil sie händeringend einen Platz für Kinder suchen, die sofort aus ihrer Familien raus müssen", berichtet der Pädagoge.
Kinder werden häufiger aus Familien genommen
Doch weil im Kreis Mainz-Bingen die Lage ähnlich schlecht ist, wie fast überall in Deutschland, kann Lopez meist nicht aushelfen. Bundesweit ist die Zahl der so genannten Inobhutnahmen von Minderjährigen durch Jugendämter gestiegen. Das geht aus dem Kinder- und Jugendhilfereport 2024 hervor.
Inobhutnahme bedeutet, dass der Staat Kinder in Notsituationen schützt, indem er sie zu einer geeigneten Person oder in eine Einrichtung bringt. Weil Inobhutnahmen zunehmen, sind die Plätze in stationären Wohngruppen rar. Dazu gibt es immer weniger Pflegefamilien, die ebenfalls Kinder in Not aufnehmen könnten.
Im Kreis Mainz-Bingen ist das Jugendamt im vergangenen Jahr 688 Mal aktiv geworden und hat Familien aufgesucht, sagt Bardo Faust, Sprecher des Kreises. Darunter seien 39 Inobhutnahmen gewesen. Die Kinder sind dann in akuten Notsituationen und müssen in einer Wohngruppe untergebracht werden. "Zum Beispiel, wenn Gewalt im Spiel ist, wenn die Eltern Suchtprobleme haben oder ihre Kinder aus anderen Gründen vernachlässigen", erklärt Mariano Lopez.
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Platz wäre da - es fehlen aber Fachkräfte
Die Kinder- und Jugendhilfe Sankt Hildegard in Bingen hat etliche Einrichtungen, in denen Kinder und Jugendliche rund um die Uhr von Pädagogen betreut werden. Zum Beispiel in Oppenheim, Ingelheim, Ockenheim oder Bingen. Die Betroffenen sind zwischen 6 und 21 Jahre alt. "Manche bleiben nur wenige Jahre andere aber auch viele Jahre", erzählt Lopez. Räumlich hätte er sogar die Möglichkeit, mehr Kinder aufzunehmen, doch: Er hat zu wenig Personal.
Rund-um-die-Uhr-Betreuung schreckt offenbar ab
Es gebe zu wenige Erzieherinnen und Erzieher oder Pädagogen, die in diesem Bereich arbeiten wollen, sagt Lopez. Denn die Einrichtungen sind an 365 Tagen im Jahr rund um die Uhr besetzt. Für die Mitarbeitenden bedeutet das Schichtdienst - auch an Wochenenden und Feiertagen. "Wenn sich mehr Menschen für die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen in diesen Notsituationen begeistern könnten, könnten wir mehr Plätze anbieten", bedauert Lopez.
Folgen der Corona-Pandemie
Doch warum brauchen immer mehr Familien Hilfe vom Jugendamt? Einerseits zeigten sich immer noch Folgen aus der Corona-Zeit, sagt Lopez. Denn als Schulen, Kitas und andere Betreuungseinrichtungen geschlossen hatten, waren viele Familien auf sich allein gestellt. "Wenn es dann schon Probleme gab, haben sie sich in dieser Zeit nur noch verstärkt", so Lopez. Viele Familien seien schlichtweg überfordert und auf sich allein gestellt gewesen.
Es liege aber auch daran, dass die Gesellschaft genauer hinschaue und sich Nachbarn, Freunde oder Bekannte häufiger beim Jugendamt melden würden, wenn es Kindern nicht gut gehe, meint Lopez.
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