Ein hoher Zaun, ein streng überwachter Eingang, große Wohnblocks: So sieht das Gelände der ehemaligen Kurpfalzkaserne in Speyer aus. Derzeit leben hier knapp 1.400 Menschen.
Doch in Zukunft soll die Flüchtlingsunterkunft voll belegt werden, teilte das Land vergangene Woche mit. Bis zu 1.700 Menschen sollen dann hier unterkommen - zur Not auch in Großzelten auf den umliegenden Wiesen.
Land will Kommunen bei Unterbringung von Flüchtlingen entlasten
Das Land will nach eigenen Angaben die eigenen Erstaufnahmeeinrichtungen füllen, um so die Kommunen zu entlasten. Denn im vergangenen halben Jahr sind etwa 6.000 Flüchtlinge in Rheinland-Pfalz angekommen. Die aus ihrer Sicht überlasteten Kommunen hatten sich bereits Anfang des Monats in einem Brandbrief an das zuständige Migrationsministerium gewandt. Sie seien an der Grenze der Belastbarkeit. Was heißt das für Erstaufnahmeeinrichtungen wie die Aufnahmeeinrichtung für Asylsuchende (AfA) in Speyer?
Volle Auslastung der AfA Speyer bedeutet, dass dort noch 300 Menschen mehr wohnen - auf entsprechend engerem Raum. Die zuständige Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion (ADD) räumt ein, dass es bei so großen Einrichtungen zu "Beschwerden" kommen kann. Der SWR konnte sich von den Zuständen vor Ort selbst kein Bild machen. Die ADD verweist auf personelle Engpässe, weshalb ein Besuch in der AfA nicht möglich sei.
Die Stituation in der AfA Speyer: Das sagen die Bewohner
In der Nähe der AfA wartet ein Mann aus der Türkei auf seinen Bus. Seit vier Monaten sei er inzwischen in der Einrichtung untergebracht, mit fünf anderen Männern in einem kleinen Raum, erzählt er dem SWR. In der Türkei werde er politisch verfolgt.
Das Bad und die Toilette werden mit Mitbewohnern auf dem gesamten Stockwerk geteilt. Es werde keine Rücksicht darauf genommen, dass verschiedene Ethnien, die untereinander verfeindet sind, Zimmer an Zimmer wohnen, sagt er. "Ganz viel entlädt sich hier in Gewalt", sagt der Mann. Auf den Gängen geraten ihm zufolge regelmäßig Menschen aneinander.
Geflüchtete in Speyer: Perspektivlosigkeit und fehlende Beschäftigung
Die Umstände, unter denen die Geflüchteten wohnen, seien schwer zu ertragen, berichten auch zwei junge Männer aus Afghanistan. Dazu komme die Perspektivlosigkeit der Menschen dort. Sie selbst seien seit sieben Monaten in der Speyerer AfA untergebracht. Alle drei Gesprächspartner erklären, sie seien frustriert darüber, dass sie zum Nichtstun verdammt sind.
Der türkische Asylsuchende bringt es auf den Punkt: "Eigentlich will ich kein Geld vom Staat, ich will mein Geld selber verdienen können." Er gehe regelmäßig in die Stadt, so entkomme er der Enge der Asylbewerberunterkunft. Das Nichtstun sei belastend. Außer den unregelmäßigen Angeboten von Deutschkursen werden nach seiner Aussage keine weiteren Beschäftigungsmöglichkeiten in der AfA angeboten.
Die ADD widerspricht dem: Nach Angaben der Behörde gibt es Sprachkurse, Integrationskurse, EDV-Angebote, Sportkurse, ein Schulangebot und eine Spielstube für Kinder.
AfA Speyer: In Sicherheit, aber wenig Privatsphäre
Auf der anderen Seite gibt es in der AfA auch viele Flüchtlinge, die sagen, dass sie sich dort wohl fühlen. So erzählt es eine syrisch-kurdische Familie. Die Eltern und ihre beiden Kindern seien froh, hier in Sicherheit zu sein. Seit einem Monat seien sie in der Speyerer AfA untergebracht. Als Familie haben sie ein eigenes Zimmer. In den anderen Zimmern bei ihnen seien auch Familien untergebracht.
Doch auch diese Familie hofft, dass sie schnell aus der AfA herauskommt: "Wir haben kein eigenes Bad", sagt die Frau. Das sei schon ein Problem.
AfA Speyer: Das beobachten Nachbarn
Die Nachbarinnen Irene Hanebutt und Angelika Zoll wohnen direkt neben der AfA in Speyer. Zwischen dem Zaun und ihrem Wohnhaus sind es gerade mal fünf Meter. In den vergangenen Wochen sei es immer häufiger vorgekommen, dass Bewohner der Unterkunft über den Zaun klettern, erzählt Irene Hanebutt. Sie würden dann durch den Garten und den Hof ihres Hauses laufen. Hintergrund sei, dass die Menschen sich nicht registrieren müssten, wenn sie das Gelände auf diese Weise verlassen.
Die ADD betont, dass es nicht notwendig sei, das Gelände auf diese Weise zu verlassen. Die Bewohner könnten das Gelände jederzeit verlassen und betreten, wie es ihnen beliebe. "Natürlich gibt es immer wieder Bewohnerinnen und Bewohner, die sich nicht an die Regeln halten", schreibt die ADD auf Nachfrage des SWR. Die Einrichtungsleitung sei im laufenden Austausch mit Anwohnerinnen und Anwohnern.
Angelika Zoll erzählt, dass die Lärmbelästigung immer stärker zugenommen habe. Sie beobachte außerdem, dass verbotenerweise Alkohol oder Kochplatten über den Zaun geschmuggelt würden. Sie habe als Reinigungskraft in der AfA gearbeitet und bestätigt die engen Zustände vor Ort.
Wohnen im Zelt: Nur Planen als Trennwand zu den Nachbarn
Bei der Führung über das Gelände seien den Nachbarn auch die Zelte gezeigt worden, die seit mehr als einem Jahr auf dem Gelände stehen. Derzeit sind die Zelte unbenutzt. Wenn es nach den Plänen des Landes geht, sollen diese aber künftig belegt werden. In den Thermozelten sind die Abteile für die Menschen nur noch durch Planen getrennt.
Konflikte, die entstehen, sollen zum Großteil vom internen Sicherheitsdienst geregelt werden. Doch am Zaun sei der Dienst kaum präsent, erzählen die beiden Anwohnerinnen.
Polizeieinsätze in der Erstaufnahmeeinrichtung
Das Polizeipräsidium Rheinpfalz geht nach eigenen Angaben nicht davon aus, dass eine Vollbelegung der AfA Speyer Auswirkungen auf polizeiliche Einsätze haben wird. Man könne auf alle denkbaren Szenarien kompetent reagieren.
In den Monaten April bis Juni gab es innerhalb der AfA laut Polizei rund 60 Einsätze von "strafrechtlicher Relevanz". In der AfA waren das laut Polizei unter anderem Körperverletzung, Beleidigung, Diebstahl oder Sachbeschädigung. Einen Anstieg habe das Präsidium nicht festgestellt.
Unterbringung von Geflüchteten: Kommunen am Limit
Am Ende sind die Kommunen dazu verpflichtet, die Geflüchteten aufzunehmen und unterzubringen. Unter anderem ist auch Speyer in der Pflicht. Die Stadt stößt bei der Unterbringung und Versorgung von Geflüchteten nach eigenen Angaben an ihre Leistungsgrenzen - und ist damit nicht alleine. Zusammen mit acht anderen Kommunen aus der Vorder- und Südpfalz hat die Stadt deshalb ein Schreiben an Ministerpräsidentin Malu Dreyer aufgesetzt.
Unter anderem fordern die Kommunen, die volle Kostenübernahme durch das Land und dass mehr Möglichkeiten zur Integration geschaffen werden. Daneben fordern die Kommunen, gemeinsam bürokratische Prozesse zu beschleunigen. Dazu gehört aus Sicht der Kommunen auch eine schnelle Entscheidung über eine "konsequente Rückführung". Daneben sollen Menschen, unabhängig von ihrem Aufenthaltsstatus, die Möglichkeit haben zu arbeiten.
Außerdem seien die Aufnahmestellen des Landes überlastet, es müsse mehr Einrichtungen wie die AfA in Speyer geben.
Stadt Speyer fordert bessere Integration und Unterkünfte
Die bisherigen Einrichtungen nur immer weiter auszulasten, sei der falsche Weg, so die Stadt Speyer auf Nachfrage des SWR. Es sei wichtig, dass die Geflüchteten in einer angemessenen Unterkunft wohnen können. Dazu brauche es aber Geld vom Land.
Das ganze Dilemma hat Folgen: In Speyer weiß die Stadt sich nicht mehr anders zu helfen, als ein Containerdorf für Flüchtlinge zu errichten. Der Vorschlag kommt von der Stadtverwaltung. Teile der Speyerer Bürger sehen diese Unterbringung als menschenunwürdig an. Für einige Flüchtlinge könnte das bedeuten, aus dem Sechsbettzimmer in der AfA in einen Container zu ziehen.