Alarmierende Zahlen bei Krebsbehandlungen

Klinikum Ludwigshafen: Mehr Krebspatienten nach Corona erwartet

Stand
Interview
Birgit Baltes

Während der Corona-Pandemie ist die Zahl der Krebsbehandlungen im Klinikum Ludwigshafen zurückgegangen. Keine gute Nachricht, so der Chefarzt der Onkologie Peter Paschka im SWR-Interview.

SWR Aktuell: In der Corona-Zeit ist die Zahl der Krebsbehandlungen in den Krankenhäusern ist 2021 laut Statistischem Bundesamt im Vergleich zum Vor-Corona-Jahr 2019 um mehr als elf Prozent zurückgegangen. Wie sieht es im Klinikum Ludwigshafen aus?

Prof. Dr. Peter Paschka: Wenn man quasi unser gesamtes Haus betrachtet, dann ist in der Tat zu sehen, dass es im Jahr 2020 einen Rückgang an Krebsbehandlungen und Krebsoperationen gibt. Und dieser Trend hat sich auch im Folgejahr 2021 - das ja auch durch die Corona-Pandemie geprägt war - fortgesetzt.

SWR Aktuell: Können Sie auch Zahlen nennen?

Paschka: Das sind nur ungefähre Zahlen. Wenn wir alle Behandlungsfälle mit der Hauptdiagnose bösartige Erkrankung nehmen, die in allen unseren Abteilungen behandelt wurden - sei es medikamentös, systemisch oder operativ -, so liegen wir sicher in einer Größenordnung von mehr als zehn Prozent. Und das würde ungefähr auch dem entsprechen, was die Daten des Statistischen Bundesamtes hergeben. 2019 hatten wir noch um etwa 9.500 Patienten mit der Hauptdiagnose Krebs in stationärer Behandlung, 2020 dann etwa 1.000 weniger. Dieser Trend hat sich auch 2021 fortgesetzt.

SWR Aktuell: Wie erklären Sie sich diesen Rückgang?

Paschka: Wir hatten auch am Klinikum wegen Corona-Ausbrüchen auf den Stationen immer wieder Lockdowns. Da konnten wir Patienten nicht in dem Ausmaß aufnehmen wie vor Corona. Außerdem musste das Klinikum Ludwigshafen ausreichende Bettenkapazitäten für die Covid-Infizierten vorhalten. Bei den Mitarbeitern gab es auch Ausfälle und man kann ja nur Patienten betreuen, wenn auch ausreichend Personal da ist. Außerdem wurden auch während der Pandemie Nachsorgeuntersuchungen nach einer Krebsbehandlung von den Patienten zurückhaltender wahrgenommen. Das ist aktuell immer noch so, dass Patienten besorgt sind, dass sie sich im Krankenhaus anstecken könnten. Hinzu kommt, dass wir aktuell für die stationäre Aufnahme des Patienten erst einmal einen negativen Covid-19-PCR Test benötigen. Das heißt, der Zugang ins Krankenhaus ist für die Patienten umständlicher.

SWR Aktuell: Waren denn eher die Fälle betroffen, in denen die Diagnose noch nicht ganz so klar war oder in einem frühen Stadium?

Paschka: Ich glaube, das ist ein wichtiger Punkt. Es ist in der Tat so, dass insbesondere Vorsorgeuntersuchungen zu Beginn der Pandemie und während der Lockdowns nicht wie empfohlen wahrgenommen wurden. Zum einen, weil der Zugang ins Krankenhaus und in die Praxen nicht so einfach möglich gewesen ist. Die Leute hatten natürlich auch ein bisschen Angst, sich anzustecken. Und es ist auch so, dass im ersten Lockdown zeitweise sogar das Mammografie-Screening ausgesetzt wurde, so dass Tumore in Frühstadien unter Umständen nicht frühzeitig erfasst wurden. Also diese Sachen spielen sicherlich eine Rolle.

Das Klinkum Ludwigshafen
Das Klinikum Ludwigshafen.

SWR Aktuell: Mussten Sie auch Operationen im onkologischen Bereich absagen oder verschieben?

Paschka: Es ist natürlich so, dass eine notwendige Operation auf jeden Fall durchgeführt werden muss. Aber bei elektiven Eingriffen, bei denen der Patient nicht akut gefährdet ist, musste während des Lockdowns unter Umständen individuell abgeschätzt werden, ob und wie lange die OP verschoben werden könnte. Das ist nicht immer einfach. Auf der anderen Seite wissen wir bei den Krebserkrankungen ganz genau, insbesondere bei hämatologischen Krebserkrankungen, also zum Beispiel bei Lymphdrüsenkrebs oder Leukämie, dass gerade diese Patienten im Falle einer Covid-19-Infektion ein hohes Risiko für einen schweren Verlauf haben. Und dass eine effektive Behandlung mit guter Kontrolle einer der wichtigsten Faktoren ist, um den Patienten davor zu schützen. Das war natürlich dann alles mit einer Impfung abgemildert worden. Und wir sehen inzwischen noch weitere Möglichkeiten, um die Patienten zu schützen. Umso wichtiger ist es, Krebspatienten, den Zugang zum Krankenhaus zu ermöglichen.

SWR Aktuell: Hat sich 2022 schon etwas Entspannung abgezeichnet? Haben Sie da wieder einen Anstieg bei den Krebspatienten bemerkt?

Paschka: Ich glaube, es ist jetzt noch keine massive Erholung zu sehen. Aber grundsätzlich sieht man in der Onkologie solche Effekte mit einer gewissen Verzögerung. Zum Beispiel bei nicht wahrgenommenen Vorsorgeuntersuchungen zeigt sich das häufig nicht innerhalb von wenigen Monaten. Wenn man zum Beispiel keine Darmspiegelung durchgeführt hat, wächst so ein Darmtumor ja nicht von heute auf morgen. Diese Patienten werden möglicherweise erst 2023 und 2024 kommen.

Was man vielleicht aber sagen kann, ist, dass sich zumindest im hiesigen Brustzentrum eine gewisse Erholung bei der Diagnostik abzeichnet, also bei diagnostizierten Frühstadien eines Brustkrebses. Und man sah auch 2022 keine Zunahme von allzu fortgeschrittenen Tumorstadien mehr, so dass im Brustzentrum die Vorsorgeuntersuchungen jetzt möglicherweise wieder regulär wahrgenommen werden.

SWR Aktuell: Hausärzte haben berichtet, dass jetzt mehr Patienten mit schweren Erkrankungen zu ihnen kommen. Können sie das auch im Bereich der Onkologie so bestätigen?

Paschka: Es ist ein Effekt, den wir jetzt mit einer gewissen Verzögerung erwarten, wenn Erkrankungen verschleppt wurden. Insbesondere bei Patienten, die immer noch nicht ihre regelmäßigen Nachsorgeuntersuchungen, wie empfohlen, wahrnehmen. Ich könnte mir vorstellen, dass wir in diesem und im kommenden Jahr eine Zunahme an Krebspatienten mit etwas höheren Tumorstadien sehen werden. Momentan können wir das noch nicht mit Zahlen unterlegen. Ich appelliere insbesondere an die Patienten, dass sie jetzt auch empfohlene Vorsorgeuntersuchungen wahrnehmen! Jetzt können wir das wieder einfacher umsetzen, die Beschränkungen sind quasi fast weg.

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Birgit Baltes