Den Kredit fürs Häuschen nicht mehr abbezahlen können, weil man den Job verloren hat oder weil die knappe Rente nicht mehr reicht, nach der Trennung vom Partner fast mittellos mit einem Haufen Schulden dastehen – das sind häufige Gründe, warum Menschen sich an eine der neun Schuldnerberatungen des Diakonischen Werks der Pfalz wenden. Und es werden seit Jahren immer mehr, die dort Hilfe suchen.
Laut Diakonischem Werk Pfalz gab es allein im Jahr 2022 rund 8.800 Beratungsgespräche in den neun Schuldnerberatungsstellen, im vergangenen Jahr wurde diese Zahl bereits im Sommer erreicht, so dass 2023 erneut mit einem starken Anstieg zu rechnen sei.
Speyer: Viele Selbstständige wenden sich an Schuldnerberatung
Woran das liegt, erklärt sich der Leiter der Schuldnerberatungsstelle der Diakonie in Speyer, Bernhard Guttenbacher, mit den Folgen der Corona-Pandemie und der Inflation: "Wir haben auffällig viele Anfragen von Menschen, die mal eine Selbstständigkeit hatten, die dann nicht mehr funktioniert hat." Das mache inzwischen rund 10 Prozent der Hilfesuchenden in Speyer aus. Außerdem wirke sich der allgemeine Preisdruck vor allem auf Menschen mit geringem Einkommen aus.
525 Gespräche hatten Bernhard Guttenbacher und seine beiden Kolleginnen der Schuldnerberatungsstelle des Diakonischen Werks in Speyer 2022 geführt. Die Zahlen für das vergangene Jahr liegen noch nicht vor. Es seien aber nochmals deutlich mehr gewesen.
Vor allem Bürgergeld-Empfänger in der Schuldenfalle
Die Hilfesuchenden kommen aus allen Teilen der Gesellschaft, sagt der Sozialpädagoge: "Das sind Angestellte, Lehrer, ehemals erfolgreiche Unternehmer, Pfarrer, Handwerker, Menschen, die aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr arbeiten können, Alleinerziehende, Bezieherinnen von Grundsicherung, also es sind wirklich alle vertreten."
Dennoch: rund 40 Prozent der Menschen, die bei der Schuldnerberatung in Speyer 2023 Hilfe suchten, waren auf Bürgergeld und andere staatliche Hilfen angewiesen, so Guttenbacher. "Also diese Nähe zur Armut, die ist natürlich schon da. Das bedeutet auch, dass jemand, der keine Möglichkeiten hat, finanzielle Ressourcen aufzubauen, bei Problemen schneller mitgerissen wird in diesen Strudel von Überschuldung, wo dann zunächst gar nichts mehr geht."
Zahl der Senioren bei Schuldnerberatung steigt
Meist seien es Menschen zwischen 30 und 40 Jahren, die sich an die Schuldnerberatung wenden. Aber es gebe einen neuen Trend, so der langjährige Schuldnerberater aus Speyer: Immer mehr Senioren, denen die Rente nicht mehr reicht, um ihre Altschulden etwa für das Häuschen zu tilgen, landen bei ihm. Und Guttenbacher macht noch etwas deutlich: Die augenscheinlich reiche Stadt Speyer liege inzwischen bei der Quote der überschuldeten Menschen bei 8,67 Prozent und damit deutlich über dem bundesweiten Durchschnitt.
Überschuldung heißt Leidensdruck, Scham und Ohnmacht
Viele der Menschen, die zur Schuldnerberatung nach Speyer kommen, hätten einen großen Leidensdruck, verbunden mit Gefühlen der Scham und Ohnmacht, so der Schuldnerberater. In Speyer setze man trotz der vielen Anfragen alles daran, den Betroffenen innerhalb von zwei bis vier Wochen einen Termin für ein erstes Beratungsgspräch zu ermöglichen. Oft müssten die Berater auch ganz dringend handeln, um Schlimmes zu verhindern.
"Es gibt in der Regel ja konkrete Auslöser, warum man anfragt: Konto ist gesperrt, Inhaftierung droht, drohende Energiesperre und anderes. Und da ist es wichtig, dass man zeitnah reagieren kann und das tun wir auch", sagt der Leiter der Schuldnerberatung.
Der erste Schritt aus der Schuldenfalle sei, alle Einnahmen und Ausgaben auf den Tisch zu legen, Tabula Rasa zu machen, um wieder handlungsfähig zu werden, so Guttenbacher. Man schaue gemeinsam, was eigentlich für den Betroffenen und seine Familie wichtig sei, was er zum Leben brauche, etwa für Miete und Energiekosten, aber auch für soziale Teilhabe, wie etwa mal einen Ausflug mit der Familie oder einen Theaterbesuch. Und dann schaue man, was eigentlich noch übrig bleibe, um die Schulen zu tilgen.
Wartezeiten bis zu einem Dreiviertel Jahr
Die kurze Wartezeit gelte aber nur für das Erstgespräch. Wenn es darum gehe, in Verhandlungen mit den Gläubigern einzusteigen oder in das langwierige Verfahren der privaten Insolvenz, da gebe es im Moment eine lange Warteliste und Wartezeiten bis zu einem dreiviertel Jahr. Die Zahl der Insolvenzverfahren liege in Speyer bei etwa zehn Prozent der Hilfesuchenden, sagt der Leiter der Beratungsstelle. Der Bedarf sei aber größer.
Der Grund: Die drei Beraterinnen und Berater mit gerade mal zwei Vollzeitstellen kämen einfach nicht mehr hinterher bei der Masse an Anfragen. Sie bräuchten dringend mehr Mitarbeiter, zumindest, was den Papierkram betrifft, so Guttenberger.
Landesdiakoniepfarrer mahnt: Betroffene brauchen mehr Hilfe
Ähnlich sieht es in den anderen acht Schuldnerberatungsstellen aus, sagt der Vorstandschef des Diakonischen Werks der evangelischen Kirche der Pfalz und Landesdiakoniepfarrer Albrecht Bähr. Die Schuldnerberatung stehe finanziell miserabel da. Zwar bezahle die evangelische Kirche zehnProzent der Kosten aus Kirchensteuereinnahmen, so Bähr. Aber auch hier gingen die Einnahmen ja zurück. Bähr kritisiert in diesem Zusammenhang, dass die Landespolitik ihre Zuschüsse seit Jahren nicht erhöht habe. Auch die Unternehmen, die an den Schulden der Menschen verdienen, müssten mehr in die Pflicht genommen werden.
Es sei wichtig, die Schuldnerberatungsstellen ausreichend zu finanzieren, bzw. neue Stellen zu schaffen, damit die Menschen aus ihrer Misere herauskommen, so Bähr. Er warnt: "Schaffen sie es nicht, kommen Folgeprobleme wie Sucht, wie Gewalt in häuslichen Beziehungen. Und wir haben doch eigentlich die Absicht, Menschen wieder stark zu machen auch im Blick auf die Volkswirtschaft, dass sie arbeiten können und ihr Leben selbst gestalten können und es wird schlicht und einfach viel zu wenig getan."