Klingt komisch, ist aber so. Wenn am 9. Juni in Rheinland-Pfalz gewählt wird, gelten für die beiden Wahlen unterschiedliche Altersvorgaben. So dürfen bei der Wahl des Europaparlaments in Deutschland zum ersten Mal junge Menschen ab 16 ihre Stimme abgeben. Dagegen darf bei der Kommunalwahl in Rheinland-Pfalz, die am selben Tag stattfindet, erst ab 18 gewählt werden.
16- und 17-Jährige können also die künftige Politik in Europa mitbestimmen, aber nicht die in ihrem Heimatort oder in ihrem Landkreis. Also, Stimme für den Bürgermeister in die Urne: Nein, Stimme für den Europaparlamentarier: Ja.
Landesschüler:innenvertretung fordert Wahlalter 16 in RLP
Bei vielen jungen Leuten im Land kommt das unterschiedlich geregelte Wahlalter nicht gut an. Es sei zwar ein wichtiger Schritt, dass die jungen Menschen bei der Europawahl schon ab 16 Jahren wählen dürften, heißt es von der Landesschüler:innenvertretung (LSV) Rheinland-Pfalz. "Es ist trotzdem für viele absolut unverständlich, wie es sein kann, dass wir Politikerinnen und Politiker wählen dürfen, die wir noch nie gesehen haben, aber nicht die Bürgermeisterin oder den Bürgermeister in unserem eigenen Wohnort."
Die LSV verweist darauf, dass 16- und 17-Jährige oft schon in ihren Gemeinden aktiv sind. So stellten sie Projekte wie Weihnachtsmärkte auf die Beine, dürften aber nicht mitbestimmen, wer in wichtige Ämter gewählt werde. "Die Frustration, dass die Kommunalwahlen immer noch denen vorbehalten sind, die 18 Jahre alt sind, ist riesig", so Emma Lucke, Pressereferentin der LSV Rheinland-Pfalz. Es werde Zeit, "dass wir auch endlich über das mitentscheiden dürfen, was direkt vor der Haustür passiert".
Deshalb ist das Wahlalter nicht einheitlich
Wenn es um Wahlen auf kommunaler Ebene geht, ist Rheinland-Pfalz zwar kein Einzelfall, aber es gehört inzwischen zu einer Minderheit. In 11 von 16 Bundesländern wurde das Wahlalter mittlerweile von 18 auf 16 herabgesetzt. In Rheinland-Pfalz aber bisher eben nicht.
Ab welchem Alter bei Kommunal- und Landtagswahlen gewählt werden darf, kann jedes Bundesland für sich entscheiden. Für Bundestags- und Europawahlen ist dagegen der Bundestag zuständig. Im November 2022 hat der Bundestag beschlossen, das Mindestwahlalter für das aktive Wahlrecht bei den Wahlen zum Europäischen Parlament auf 16 Jahre zu senken.
Nur in wenigen EU-Staaten darf ab 16 gewählt werden
Damit gehört Deutschland wiederum zu einer Minderheit in der Europäischen Union. Nur in fünf der 27 Mitgliedsstaaten dürfen 16- und 17-Jährige bei der Europawahl - einer der größten demokratischen Wahlen der Welt - im Juni abstimmen. Außer in Deutschland ist das nur in Belgien, Österreich, Griechenland und Malta möglich.
Wählen mit 16: Ampel-Koalition in RLP scheitert mit Initiativen
Die Ampel-Regierung in Rheinland-Pfalz hat schon mehrere Versuche gestartet, das Wahlalter bei Kommunalwahlen auf 16 zu senken - aber bisher ohne Erfolg. "Jetzt haben wir die Situation, dass für Europa junge Menschen wählen können, aber für ihre Dörfer und Städte nicht", beklagt Grünen-Fraktionschefin Pia Schellhammer.
Für eine Absenkung des Wahlalters müsste in Rheinland-Pfalz die Verfassung geändert werden. Weil dafür eine Zweidrittelmehrheit nötig ist, sind SPD, Grüne und FDP im Landtag auf die Stimmen der CDU angewiesen. Die CDU macht dabei aber bisher nicht mit. "Die möchten jungen Menschen bei den Kommunalwahlen das Wahlrecht vorenthalten", so der Vorwurf von Philipp Fernis, dem FDP-Fraktionsvorsitzenden.
Abstimmung im Landtag über Wählen mit 16 Opposition dagegen - Jugendliche in RLP dürfen nicht früher wählen
Es bleibt dabei: Jugendliche in Rheinland-Pfalz dürfen 2024 das EU-Parlament mitwählen, aber nicht an den Kommunalwahlen teilnehmen. Die Opposition verhindert das Wählen mit 16.
Opposition will Wahlalter weiter an Volljährigkeit koppeln
Das Alter von 16 bis 18 sieht für junge Leute jede Menge Regelungen vor, die etwa dem Jugendschutz dienen sollen. Fürs Autofahren sind 16-Jährige demnach noch zu jung. Einen kleinen Motorroller dürfen sie wiederum fahren. Auch Bier und Sekt kaufen geht, Zigaretten sind bis 18 verboten. Um einen Handyvertrag abzuschließen, brauchen Jugendliche bis 18 die Eltern, weil sie vorher nicht geschäftsfähig sind.
Die Opposition in Rheinland-Pfalz will daran festhalten, auch das Wahlalter weiterhin an die Volljährigkeit zu koppeln. Im Landtag haben CDU, Freie Wähler und AfD deshalb mehrmals gegen eine Absenkung des Wahlalters auf 16 gestimmt. "Wir haben da gute Gründe für, weil wir denken, dass Rechte und Pflichten zusammengehören und es für willkürlich halten, wenn man jetzt das Wahlalter isoliert betrachtet, ohne auch über andere Altersgrenzen zu diskutieren", so der CDU-Abgeordnete Matthias Reuber.
Auch der Parlamentarische Geschäftsführer der Freien Wähler, Stephan Wefelscheid, ist der Meinung, "man kann durchaus darüber diskutieren, die Volljährigkeitsgrenze abzusenken".
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Welche Partei würde von jungen Wählern profitieren?
Dass die Diskussion um das 'Wählen mit 16' die rheinland-pfälzischen Landtagsfraktionen in zwei Lager spaltet, betrachtet Politikwissenschaftler Uwe Jun von der Universität Trier als klassische Auseinandersetzung - progressiv gegen traditionell. Vor allem in rot-grünen Kreisen werde es als progressiv wahrgenommen, das 'Wählen mit 16' zu fordern. "Auch die Jugendorganisationen der beiden Parteien pushen das seit längerer Zeit", sagte Jun dem SWR.
Die SPD kann davon laut Jun aber wenig profitieren, weil sie schon seit einiger Zeit Schwierigkeiten habe, überhaupt noch junge Leute zu erreichen. "Die einzige Partei in Rheinland-Pfalz, die daraus aktuell Vorteile ziehen könnte, sind die Grünen, weil die bei jüngeren Leuten relativ populär sind."
CDU, AfD und Freie Wähler vertreten aus Sicht des Politikwissenschaftlers dagegen traditionelle Werte und die konservative Haltung: "Lasst uns beim alten bleiben, das ist doch gut so." Das pralle jetzt wieder aufeinander, so Jun.
Politikwissenschaftler Jun rät zu breiter Debatte
Der Politikwissenschaftler der Uni Trier hält es für sinnvoll, eine breite gesellschaftliche Debatte zu führen, welches Wahlalter angemessen sein könnte, bevor der Gesetzgeber eine Entscheidung trifft. "Es kann sein, dass auch schon junge Menschen mit 14 oder 16 Jahren dazu in der Lage sind", so Jun. Er rät, auch wissenschaftliche Erkenntnisse bei der Debatte zu berücksichtigen. "Das Wahlalter 18 hat sich bewährt, ob ein geringeres Mindestalter am Ende besser für unsere Demokratie ist, darüber sollten wir erst argumentativ streiten und dann entscheiden."