Die Demos in den vergangenen Wochen, in Rheinland-Pfalz unter anderem in Koblenz, Kusel, Mainz, Pirmasens und Trier, schienen der Auftakt einer Demo-Serie gewesen zu sein, die bis heute anhält. Alles Wichtige dazu im Überblick:
- Wer demonstriert da eigentlich?
- Wer organisiert die Demos?
- Was sind die Hauptmotive der Demonstrierenden?
- Wie ist die Atmosphäre bei den Demos?
- Zeigen die Demos konkrete Auswirkungen?
- Wie reagiert die AfD?
- Sind die Demos Auftakt einer größeren Bewegung?
Wer demonstriert da eigentlich?
Genau erhoben wurde das bislang nicht. Beobachter, Demonstrierende und Organisatoren allerorts berichten allerdings von sehr heterogenen Massen: Junge und alte Menschen, Familien mit Kindern, Demo-Erfahrene, Demo-Neulinge, organisierte Gruppen, aber auch Einzelpersonen demonstrierten Seite an Seite.
"Von A bis Z war da alles dabei", berichtet beispielsweise Christopher Bündgen von den Grünen Koblenz, die Ende Januar eine Demo in Koblenz organisiert haben. Auch Landwirte hätten vorgehabt - wie bei den Bauernprotesten Anfang Januar - mit ihren Traktoren mit zu demonstrieren. "Weil auf dem Münzplatz zu wenig Platz ist, wurde das aber nicht genehmigt", so Bündgen.
"Man kann von der berühmten bürgerlichen Mitte sprechen, die sich versammelt", analysierte der Mainzer Politik-Professor Kai Arzheimer Ende Januar im SWR und sprach von einer "Graswurzel-Bewegung". Auf die Straße gingen aktuell "nicht nur Menschen, die sich regelmäßig politisch engagieren, sondern Leute, die jetzt Gesicht zeigen möchten".
Wer organisiert die Demos?
Ungewöhnlich ist, dass die jüngsten Demos in Rheinland-Pfalz nicht nur Verbände oder Parteien organisierten, sondern auch Privatpersonen.
Beispiel Mainz: Hier taten sich befreundete Studierende spontan zusammen und stellten die erste große Demo im Januare mit letztlich mehr als 7.000 Teilnehmenden auf die Beine. Zwei Wochen später riefen der Verein "Rheinhessen gegen Rechts" und der DGB Rheinhessen-Nahe zur zweiten großen Demo auf. Dabei wurden sogar rund 10.000 Teilnehmende gemeldet.
Beispiel Kusel: Die Grünen-Politikerin Katja Daish meldete die Protestaktion im Januar (mehr als 300 Demonstrierende waren hier dabei) ebenfalls ziemlich kurzfristig an – "als Privatperson", wie sie betont: "Weil mir wichtig war, dass das keine parteipolitische Veranstaltung wird, sondern alle – auch Konservative –, die auf demokratischen Füßen stehen, gemeinsam demonstrieren."
Der Mainzer Politologe Arzheimer vermutet, dass die nächsten Demos eher von organisierten Gruppen angemeldet werden: Kirchenverbände, Vereine, NGOs oder Parteien beispielsweise. Die Vergangenheit habe gezeigt, dass es bei Aktionen "gegen rechts" ein Netzwerk gebe, was "relativ schnell reaktiviert wird".
Was sind die Hauptmotive der Demonstrierenden?
Die aktuellen, deutschlandweit stattfindenden Aktionen werden oft mit "Demos gegen rechts" überschrieben. Was genau "gegen rechts" heißt, ist allerdings nicht genau definiert. "Gegen Rechtsextremismus", "gegen die AfD", "für Demokratie", "für Toleranz", "für Vielfalt" oder "Niewieder#33" sind mehrfach vorkommende Mottos, unter denen Demos in Rheinland-Pfalz angemeldet werden.
Auch an Plakaten der Demonstrierenden lassen sich ähnlich lautende Demo-Motive ablesen. Darunter mischen sich schärfer formulierte Slogans wie "AfD-Nazis abschieben" oder "Nazis deportieren". Diese zielen auf Inhalte des vom Recherche-Netzwerk Correctiv geleakten Geheimtreffens von AfD-Politikern mit Rechtsextremen in Potsdam vergangenen Herbst ab. Der Tenor aus Gesprächen mit Demonstrierenden: Die Veröffentlichungen setzten bei vielen den Impuls frei, auf die Straße zu gehen.
Tabubrüche der AfD habe es zwar bereits zuvor mehrere gegeben, erläutert Politologe Arzheimer. Dass sich Politiker der Partei in einem Hotelzimmer mit Rechtsextremen treffen, sei aber "etwas sehr Konkretes" und mit der Besprechung von Deportationsplänen von Menschen mit Migrationsgeschichte eine Tabu-Schwelle überschritten worden.
Der Bericht habe einerseits "Angst und Hilflosigkeit" bei ihm ausgelöst, erzählt der Mainzer Demo-Organisator Till Walter, aber auch "ein Gefühl: Da muss man jetzt was machen".
Auch die Kuselerin Katja Daish brachte die Correctiv-Recherche zum ersten Mal überhaupt in ihrem Leben dazu, eine Demo zu organisieren. "Ich beobachte schon lange, wie sich rechtes Gedankengut widerspruchslos ausbreitet. Spätestens jetzt will ich das aber nicht mehr hinnehmen." Der Koblenzer Demo-Organisator Bündgen schlägt in dieselbe Kerbe: "Wir wollen zeigen, dass wir mehr sind."
Für Politologe Arzheimer liegt darin der große gemeinsame Demo-Nenner: "Die Menschen sehen die Demokratie bedroht, vor allem durch das Erstarken der AfD", erläutert er. "Die Demokratie und das Grundgesetz zu verteidigen, ist das zentrale Thema, das derzeit viele Leute antreibt." Dass dieses Jahr Europawahlen und mehrere Landtagswahlen stattfinden, verstärke das Bedürfnis zu demonstrieren.
Wie ist die Atmosphäre bei den Demos?
Die bisherigen Aktionen in Rheinland-Pfalz verliefen durchweg friedlich. Teilnehmende allerorts berichten von fröhlicher bis feierlicher Atmosphäre. Vereinzelt war von "Aufbruchstimmung" die Rede. Eine Demonstrantin in Mainz sprach von einem "Ventil, durch das man die Sorgen vor einem Rechtsruck rauslassen kann". Es tue gut, "zu sehen, dass so viele die Sorgen teilen".
Zeigen die Demonstrationen konkrete Auswirkungen?
Bei den Veranstaltungen in Rheinland-Pfalz schwingen bislang zwei große Hoffnungen mit. Zum einen, dass die AfD bei den kommenden Wahlen an Zuspruch verliert. "Wer 2017 schon AfD gewählt hat, wird sich von den Demos nicht umstimmen lassen", dämpft Arzheimer diese Erwartung. Wer laut jüngster Umfragen in Erwägung gezogen habe, zum ersten Mal AfD zu wählen, "könnte jetzt noch mal darüber nachdenken".
Arzheimer verweist aktuell auf zwei Umfragen, in denen die AfD bundesweit knapp unter 20 Prozent gerutscht sei. "Ob das an den Demos liegt oder an der langen öffentlichen Debatte oder an beidem, das lässt sich seriös nicht sagen." Allerdings sei es naiv zu erwarten, dass sich die AfD nach drei Wochen Demonstrieren in den Umfragen halbiere.
Ein anderes Ziel, das auf den Demos immer wieder formuliert wird: die Prüfung eines AfD-Verbotsverfahrens. Die rheinland-pfälzische Landesregierung lehnt das bisher ab. Die Demos dürften daran auch nichts ändern, vermutet der Mainzer Politikwissenschaftler.
Wie reagiert die AfD?
"Am Anfang waren sie wohl etwas verschreckt und konnten das nicht richtig einordnen", sagt Arzheimer. Inzwischen kämen die Verschwörungserzählungen, dass das alles von der Regierung gesetzt und bezahlt sei. "Im Prinzip streitet sie ab, dass es sich bei den Demonstrationen um eine Massenbewegung handelt."
Sind die Demos Auftakt einer neuen, größeren Bewegung?
Immer wieder wurde zuletzt in Rheinland-Pfalz demonstriert, sowohl in Kleinstädten, beispielsweise in Ahrweiler, Bingen, Boppard, Ingelheim, Neuwied und Worms, als auch in größeren Städten wie Kaiserslautern oder Ludwigshafen und erneut auch in Mainz. Selbst in einem kleinen Dorf in der Pfalz sind Menschen auf die Straße gegangen.
Politologe Arzheimer vermutete zuletzt, dass die Demo-Welle in ein paar Wochen zunächst abebben wird, "da der konkrete Anlass - die Enthüllungen über das Geheimtreffen in Potsdam - in den Hintergrund geraten wird und andere Dinge die öffentliche Aufmerksamkeit auf sich ziehen werden." Gibt es weitere Enthüllungen oder sollte die AfD weitere Anlässe geben, könnte das allerdings zu einer fortlaufenden Bewegung führen, vermutet Arzheimer. Vor den Europawahlen im Juni und den Landtagswahlen in Brandenburg, Sachsen und Thüringen im Herbst rechnet der Politik-Professor hingegen mit weiteren Demo-Wellen.
Ob daraus eine größere Bewegung entsteht, hänge zudem davon ab, "wie breit der Konsens der Demonstrierenden tatsächlich ist", sagt der Politologe. Dabei bezieht er sich auch auf kritische Stimmen auf Demos gegen Politiker von CDU und FDP, "die Begriffe der AfD übernehmen". Sollten sich Demonstrierende "auseinanderdividieren lassen", würde der Konsens bröckeln.