Demokratieforum mit Michel Friedman

Zu viel Gefühl in den Medien? Wie Emotionen unseren Diskurs bestimmen

Stand
Autor/in
Laura Schindler
SWR-Reporterin Laura Schindler im Studio Mannheim-Ludwigshafen.

Corona, Klimawandel, Krieg in der Ukraine und in Nahost. Viele politische Debatten sind emotional aufgeladen. Auch die Medien nutzen die Macht der Gefühle, um Aufmerksamkeit zu erzeugen. Was macht das mit unserer Demokratie?

Gefühlt ganz Deutschland hat das Video von Sylt mit rassistischen Parolen zum Song L'Amour toujours gesehen, geteilt, viele haben ihre Meinung dazu geäußert und klar gemacht: In Deutschland ist kein Platz für Rassismus. Sehr betroffen waren viele Menschen nun auch von einem anderen Video, das schnell in den sozialen Medien kursierte. Es zeigt, wie ein Mann auf dem Marktplatz in Mannheim bei einer Veranstaltung der radikalen islamkritischen Bewegung Pax Europa (BPE) insgesamt sechs Männer mit Messerstichen verletzt hat. Eines der Opfer ist ein 29-jähriger Polizist, der später im Krankenhaus seinen Verletzungen erliegt.

Viele Debatten werden emotional geführt

Nachrichten wie diese bewegen, schockieren und lösen schnell emotionale Debatten aus, die sich gerade im Zeitalter digitaler Medien rasant ausbreiten. Aber auch nach Naturkatastrophen wie der Flut im Ahrtal werden Debatten etwa über eine mögliche politische Verantwortung in Medien oft emotional geführt - auch, weil Betroffene an die Öffentlichkeit gehen und Medien das immer wieder aufgreifen.

Demokratieforum: Zu viel Gefühl? Krisen im medialen Diskurs

Gibt es in politischen und gesellschaftlichen Debatten zu viel Gefühl? Wie viel Gefühl halten unsere Demokratie und der Diskurs aus? Und wie verantwortungsbewusst gehen Medienschaffende mit dem Faktor Gefühl um. Darüber diskutiert Moderator Michel Friedman beim nächsten Demokratieforum mit der rheinland-pfälzischen Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD), dem Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen und der "Welt"-Journalistin Anna Schneider am Dienstag, 11. Juni, auf dem Hambacher Schloss.

Emotionen können dann gefährlich für unsere Demokratie sein, wenn sie instrumentalisiert werden, um Ängste zu schüren und gesellschaftliche Spaltung zu erreichen. Dann ist es wichtig, diesen Tendenzen mit sachlichen Informationen entgegenzutreten und Aufklärung zu betreiben.

Das Bild zeigt Malu Dreyer, Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz, in einem lachsfarbenen Blazer vor hellem Hintergrund.
Die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) © SWR/Staatskanzlei RLP/Elisa Biscotti

Negative Nachrichten beeinträchtigen die Psyche

Gerade in der jetzigen Zeit, in der wir täglich mit Krisenmeldungen konfrontiert werden, merken viele Menschen, wie ihr Medienkonsum ihre Gefühlswelt beeinflusst. So belegen Studien mittlerweile, dass ein Übermaß an negativen Schlagzeilen Gefühle der Ohnmacht und Hilflosigkeit auslösen kann. So hat etwa die Berichterstattung über Corona die psychische Gesundheit beeinträchtigt. Psychologen nennen das den "headline stress disorder" oder zu deutsch: Schlagzeilenstress-Störung.

Mehr als jeder Dritte in Deutschland meidet Nachrichten bewusst

In Deutschland wenden sich vielleicht auch deshalb immer mehr Menschen von den etablierten Medien ab und entscheiden bewusst, sich vor übermäßigem Stress zu schützen, indem sie gezielt auf Nachrichten verzichten. Mehr als jede dritte Person gibt so im Digital News Report des Reuters Institute an, dass sie "oft oder gelegentlich" ganz bewusst Nachrichten vermeiden.

Grafik: Viele Internetnutzer meiden Nachrichten

Laut dem Leibniz-Institut für Medienforschung gehen viele Menschen vor allem bestimmten Themen und negativen Nachrichten wie etwa dem Ukraine-Krieg aus dem Weg. Dem "Digital News Report" zufolge wünschen sich mehr als die Hälfte der erwachsenen Internetnutzenden in Deutschland positive Nachrichten. Ähnlich hoch ist das Interesse an konstruktivem Journalismus: Nachrichten, die Lösungen vorschlagen, anstatt nur auf Probleme hinzuweisen, sowie an Nachrichten, die dabei helfen, komplexe Themen zu verstehen.

Viele Politiker, aber auch immer mehr Journalisten arbeiten nach dem Motto "zeigen, was schief gehen kann, dann läuft alles besser". Empörung kann natürlich auch positive Effekte haben, das sieht man an den Demonstrationen gegen die AfD. Trotzdem gibt es so etwas wie eine infektiöse Kraft des katastrophischen Denkens; ein Verunsicherungs-Ping-Pong, das letztlich dem spalterischen Sound der AfD den Boden bereitet. Je mehr die Gefahr durch die weltweite Pandemie, eines drohenden Gas-Blackouts oder einer Spaltung der Gesellschaft heraufbeschworen wird, umso stärker verselbstständigt sich dieser Eindruck im Bewusstsein der Menschen. Die Angst vor der Katastrophe verursacht dann die Katastrophe.

Das Bild zeigt Prof. Bernhard Pörksen, Medienwissenschaftler von der Uni Tübingen. Er trägt eine Nickelbrille und ein dunkles Jacket und steht vor einer Wand aus Betonquader.
Medienwissenschaftler Prof. Bernhard Pörksen © SWR

Die Frage ´Sollen Politiker Gefühle benutzen´ stellt sich für mich nicht, denn sie machen schließlich Politik für Menschen. Natürlich nutzen sie dabei Gefühle, denn Gefühle sprechen Menschen an und sind dadurch auch im politischen Diskurs wichtig. Was mich aber stört ist, dass so oft getrennt wird zwischen den guten und den bösen Gefühlen, also zwischen legitimen und illegitimen Gefühlen. Stichwort Wutbürger.

Das Bild zeigt die Journalistin Anna Schneider. Sie hat eine dunkle Lockenmähne und sitzt mit einem schwarzen Shirt bekleidet auf einer hellen Treppe.
Journalistin Anna Schneider (Chefreporterin Welt / Welt am Sonntag) © SWR/Nicole Heiling

Die Aufklärung, die Vernunft, das Argument ist unverzichtbar. Aber der Mensch ist primär ein emotionales Wesen. Oft können wir unsere Emotionen gar nicht bestimmen. Manchmal bestimmen sie uns. Die sozialen Medien sind dafür ausgerichtet, Emotionen, aber auch Kontrollverlust zu stärken. Wir verwechseln Gefühle mit Tatsachen. Und Meinungen sind nur Meinungen und werden nie zum Argument. Wenn wir uns daran gewöhnen, wird eine Streitkultur in Zukunft immer unmöglicher.

Das erwarten Journalisten und Bürger vom Journalismus:

Die Macht der Sprache beeinflusst Gedanken und Gefühle. Worte prägen Weltbilder und Verhalten. Journalisten sollten sich deshalb auch bewusst sein, wie ihre Wortwahl Emotionen bei den Lesern auslösen kann. Welche Erwartungen werden von unterschiedlichen Gruppen an den Journalismus gestellt? Diese Frage steht im Fokus der Studie "Journalismus und Demokratie" unter der Leitung von Prof. Dr. Michael Steinbrecher an der TU Dortmund.

Die Langzeitstudie befragt Medienschaffende, Nutzerinnen und Nutzer sowie Politiker und Politikerinnen zu ihren Erwartungen an den und Kritik am Journalismus in Deutschland.

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