Ein Mann hält den ausgestreckten Mittelfinger aus dem Seitenfenster seines Autos. Aggressionen im Straßenverkehr scheinen sich seit der Corona-Pandemie zu häufen, so kommt es zumindest vielen Menschen vor.

Hupen, Drängeln, Rasen

Wenn Autofahrern der Kragen platzt - Erfahrungen aus Rheinland-Pfalz

Stand

Sie fahren dicht auf, geben Lichthupe, überholen gefährlich. Haben solche Aggressionen im Straßenverkehr sogar zugenommen? Für viele hat das den Anschein. Vor allem ein Personenkreis fällt negativ auf.

Nadine Schürdt manövriert konzentriert durch die Straßen von Hachenburg. Sie macht gerade ihren Anhängerführerschein. "Fahrschule" steht groß auf der Plane des Anhängers, der ans Fahrschulauto gekoppelt ist. Rücksicht nehmen die Leute deshalb trotzdem nicht mehr, sagt Schürdt.

"Ich finde, die Leute sind eher genervt und gereizt und bringen kein Verständnis für Fahrschüler auf", sagt sie dem SWR-Politikmagazin "Zur Sache Rheinland-Pfalz". Das stresse und mache nervös. Jetzt nach Corona seien die Leute noch aggressiver, findet sie.

"Zur Sache"-Reporter Enno Osburg im Gespräch mit SWR1-Moderatoren Birgit Steinbusch über aggressive Autofahrer:

Fahrlehrer: Aggressionen haben zugenommen

Zum rückwärts einparken haben sich Schürdt und ihr Fahrlehrer eine ruhige Stelle gesucht. Es gebe Plätze, da sei das Parken üben nicht erwünscht, sagt Fahrlehrer Fred Müller. "Bei der Mehrzahl der Leute hab ich das Gefühl, wir stehen denen im Weg."

Auch Müller ist der Ansicht, dass Aggressionen im Straßenverkehr in letzter Zeit deutlich zugenommen haben. Er als Fahrlehrer bekommt es damit regelmäßig zu tun. Es gebe Leute, die sich zwischen sein Fahrschulauto und den Motorradfahrschüler drängeln, der voran fährt. Oder: "Der Fahrschüler würgt am Kreisel das Auto ab und es wird sofort gehupt. Das war früher nicht. Jetzt ist das gang und gäbe. Auf Parkplätzen, wo man einparken will, wird einem der Parkplatz genommen."

Müller glaubt, dass es vor allem die Vielfahrer sind, die sich daneben verhalten. "Die meinen, sie fahren viel und können sich auch viel rausnehmen." Manche würden extra dicht auffahren, wenn sie einen Anfänger erkennen. Das führe zu weiteren Problemen: "Du willst als Anfänger nicht stören und auffallen. Dann fährst du auch schneller."

Allgemeiner Druck könnte Grund für Aggressionen sein

In zehn von zehn Fällen seien die Aggressoren Menschen, die dem Alter nach seit mindestens 20 Jahren im Besitz ihres Führerscheins sein müssten. Diese Erfahrung hat Joachim Einig, erster Vorsitzender des Fahrlehrer Verbands Rheinland, gemacht. "Wir haben 80 Millionen Bundestrainer und jeder kann es besser und so sieht es auf der Straße auch aus."

Einig führt die Aggressionen unter anderem auf den allgemeinen Druck zurück, unter dem die Menschen heutzutage stehen. Das Auto sei da eine Art Ventil. Komme dann ein Langsamfahrer in die Quere, könne das schnell in dichtem Auffahren oder Lichthupe enden.

Der pädagogische Teil der Fahrlehrerausbildung sei inzwischen ausgeweitet worden, damit schon im Unterricht gutes Verhalten bei Aggression vermittelt werden kann. Und für alle mit kurzer Hutschnur hat Fahrlehrer Einig noch einen Gedankenanstoß: "Auch der aggressive Verkehrsteilnehmer wird irgendwann langsamer, weil er älter wird. Und ich glaube nicht, dass er seinen Führerschein zurückgeben möchte, nur weil andere hinter ihm hupen."

Wilder Westen auf der Autobahn

Doch Aggressionen im Straßenverkehr sind nicht nur Fahrlehrer und ihre Schützlinge ausgesetzt. Jeder Autofahrer kennt vermutlich Situationen, in denen er bedrängt, angehupt, geschnitten, ausgebremst, beleidigt oder sogar bedroht wurde. In besonders schlimmen Fällen finden sich solche Situationen in den Schlagzeilen wieder.

In Böhl-Iggelheim (Rhein-Pfalz-Kreis) verprügelte im Juli ein 51-Jähriger einen 20-Jährigen bei einem Streit ums Ausparken. Im August kam es im Baustellenbereich der A61 bei Rheinböllen zu einem Kleinkrieg zwischen zwei Autofahrern, der mit Anzeigen für beide endete. Einen Tag später bedrohte ein Autofahrer einen Radfahrer in der Mainzer Innenstadt mit einem Baseballschläger. Ein Raser verursachte im September, bei dem Versuch andere rechts zu überholen, einen Unfall mit sechs Verletzten im Tunnel Mainz-Hechtsheim. Feuerwehrleute wurden bei den Bergungsarbeiten von anderen ungeduldigen Autofahrern beleidigt.

Unrechtsbewusstsein hat abgenommen

Stefan Gehring arbeitet bei der Autobahnpolizei Heidesheim. Er spricht von vielen Anzeigen, die wegen Nötigung und gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr eingingen. Auch wenn die Zahl seit 2019 leicht zurückgegangen sei. Viele Geschädigte würden jedoch aus Zweifel an den Erfolgsaussichten erst gar keine Anzeige erstatten.

Gehring und sein Kollege Michael Schauß fahren regelmäßig auf den Autobahnen rund um Mainz Streife. Das Unrechtsbewusstsein der Menschen habe abgenommen, sagen sie. Die Haltung sei oft nach dem Motto: "Ich bin unfehlbar. Ich kann keine Fehler machen. Das muss vom anderen Verkehrsteilnehmer ausgegangen sein." Zudem sinke die Hemmschwelle gegenüber der Polizei.

Verkehrserziehung auf eigene Faust

Auch die Autobahnpolizisten stellen fest: Betrachtet man den Personenkreis der Aggressoren und Respektlosen, handelt es sich in der Regel um erfahrene Autofahrer. Es seien dann Herrschaften mittleren Alters, die sich sehr sicher fühlen in dem, was sie sagen, beschreibt Gehring. "Ich fühle mich als rechtschaffender Bürger, ich habe gewisse Freiheiten und die lebe ich jetzt aus", sei deren Denkweise.

Mit ihrem aggressiven Verhalten würden diese Menschen Verkehrserziehung auf eigene Faust betreiben wollen, sagt Gehring. "Dass der eine den anderen durch ausbremsen, rechts überholen oder Mittelfinger zeigen, versucht zu tadeln und darauf hinzuweisen, dass sein Verhalten ihm gegenüber nicht angebracht war." Das sei natürlich der falsche Ansatz.

Problem: Aggressives Verhalten wird belohnt

In diesem Verhalten zeigt sich auch ein grundsätzliches Problem auf der Straße, wenn es nach Bernhard Schlag geht. Der Professor für Verkehrspsychologie an der TU Dresden sagt, dass im Verkehr Verhaltensweisen belohnt würden, die anderen schaden. Indem man sich aggressiv durchsetzt.

Schlag unterscheidet zwischen feindseliger und instrumenteller Aggression. Erste zielt darauf ab, Menschen zu schädigen. Bei der letzteren geht es darum, sich selbst Vorteile zu verschaffen. Vor allem die instrumentelle Aggression sei im Straßenverkehr zu beobachten. Eine Situation könne sich aber auch so aufschaukeln, dass instrumentelle in feindselige Aggression umschlage. Schlag rät, sich nicht anstacheln zu lassen, wenn man in so eine Situation gerät. "Nehmt euch auch fahrerisch zurück. Lasst den anderen rasen. Macht das nicht mit."

Dass Aggressionen im Straßenverkehr zuletzt zugenommen haben, lasse sich durch Fakten nicht belegen. Zumindest hat es laut Schlag keinen Anstieg bei Unfällen oder Punkten in Flensburg gegeben - Faktoren, die man mit Aggression in Verbindung bringen kann.

Mehr Verkehr aber nicht mehr Platz

Warum viele trotzdem das Gefühl haben, dass der Ton rauer geworden ist, kann er erklären. "Der Verkehr hat weiter zugenommen, der Verkehrsraum aber nicht. Es ist enger geworden", so Schlag. "Die Leute haben einen massiven Ressourcenkonflikt. Viele sind zur gleichen Zeit am gleichen Ort unterwegs und das muss zu Konflikten führen."

Auch die Corona-Zeit habe Auswirkungen gehabt. Zur Hochzeit der Pandemie waren deutlich weniger Menschen auf den Straßen unterwegs. Während dieser Phase sei auch die Zahl der Konflikte niedriger gewesen, vermutet Schlag. "Heute ist es wieder anders und man erlebt neu, dass der Straßenraum nicht beliebig verfügbar ist."

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Rücksichtnahme zahlt sich aus

Was könnte nun aber das Problem dauerhaft lösen? Ein Punkt ist das Tempolimit, sagt Schlag. Das Verkehrssystem müsse in Sachen Geschwindigkeit gleichmäßiger gestaltet werden. Im Mischverkehr müsse sich an schwächere Verkehrsteilnehmer angepasst werden.

Insgesamt müsse kooperatives und nicht aggressives Verhalten belohnt werden. Dabei hilft ein Blick auf andere Länder. Aus der Schweiz kommt das Konzept der Begegnungszonen mit Höchstgeschwindigkeiten von 20 km/h und Vorrang für Fußgänger. Das Konzept "shared space" aus den Niederlanden zielt auf gegenseitige Rücksichtnahme und die Gleichberechtigung aller Verkehrsteilnehmer ab.

Rücksichtnahme und moderate Fahrweise sei für alle ein Gewinn, sagt Schlag. Es gebe den paradoxen Effekt, dass alle besser durchkommen, wenn alle langsamer aber gleichmäßig unterwegs sind. Das mache das System robuster. "Am Ende ist die Rücksichtnahme des Einzelnen etwas, das ihm selbst auch zugute kommt."

Gau-Bickelheim

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SWR