Debatte um frühes Abitur in RLP

Vorgezogenes Abitur in Rheinland-Pfalz - Chance oder Belastung?

Stand
Autor/in
Karolin Arnold

Seit 2001 beginnt in Rheinland-Pfalz die Abiturphase im Januar. Schüler- und Lehrervertreter kritisieren das jetzt in einem offenen Brief an das Ministerium. Wie sehen das zwei betroffene Abiturienten?

Lernen, büffeln, pauken - Stifte, fertig, los: Die Abiturprüfungen haben begonnen, der Stress ist schon länger da. So haben Schülerinnen, Schüler und Lehrkräfte den Übergang von den Vorabiklausuren bis zum Beginn der Abiturprüfungen erlebt. Das schreiben die Landesschüler*innenvertretung (LSV) und der Philologenverband Rheinland-Pfalz in einem offenen Brief an Bildungsministerin Stefanie Hubig (SPD). Sie sprechen sich darin gegen das vorgezogene Abitur aus. Sie beklagen eine hohe Belastung durch die frühen Abiturklausuren, die Grippewelle und die Corona-Pandemie.

Vorgezogenes Abitur seit 2001 in RLP

Nachdem die rheinland-pfälzische Landesregierung im Jahr 2001 das vorgezogene Abitur eingeführt hat, sind die schriftlichen Abiturprüfungen in den G9-Gymnasien und in den integrierten Gesamtschulen bereits im Januar angesetzt.

Realität: So viele beginnen im Sommersemester

Die Regelung habe den Vorteil, dass sie den Schulabgängern einen "erheblichen Zeitgewinn von rund einem halben Jahr beschert", wie das Bildungsministerium auf Anfrage des SWR mitgeteilt hat. So sei es möglich, bereits im Sommersemester mit dem Studium zu beginnen oder aber die Zeit nach dem Abitur für "Ausbildungs-, Berufs- oder Lebensplanung" zu nutzen.

Tatsächlich sind seit dem Jahr 2000 die Zahlen der Studienanfängerinnen und Studienanfänger zum Sommersemester gestiegen, das geht aus Zahlen des rheinland-pfälzischen Wissenschaftsministeriums hervor. Allerdings werden dort alle Studierenden erfasst - unabhängig davon, ob sie gerade Abitur gemacht haben oder aus welchem Bundesland sie kommen. Konkrete Zahlen dazu, wie viele rheinland-pfälzische Abiturientinnen und Abiturienten im Sommersemester beginnen, gebe es nicht, so das Ministerium.

Laut VBE: Studienstart im Sommer trotzdem eher die Ausnahme

Matthias Fehl vom Verband Bildung und Erziehung (VBE) teilte dem SWR mit: "Nur wenige Schüler nutzen das Sommersemester als Studienstart." Während der Schulzeit sei die Zeit für diese Entscheidung zu stressig. Viele würden die Zeit nach dem Abitur nutzen, um sich zu erholen und danach über ein Studium nachdenken. Er ergänzt zudem, dass auch die Ausbildungsberufe erst im Herbst starten würden.

Schüler und Lehrer - früherer Studienbeginn "Scheinargument"

Pascal Groothuis, Pressesprecher der LSV sagt: "Wir sollten diesen Unsinn mit dem verkürzten Abitur hinter uns lassen und zum regulären Abitur zurückkehren." Diese Forderung hätten sie auch vermehrt von Schülerinnen und Schülern gehört.

Im gemeinsamen offenen Brief argumentieren sie, dass nur wenige im Sommersemester mit dem Studium beginnen würden. Das rechtfertige nicht "die überwältigende Masse an Prüflingen und Lehrkräften, die dadurch mental an ihre absoluten Grenzen kommen." Den möglichen früheren Studienstart bezeichnen die LSV und der Philologenverband als "Scheinargument."

Das sagen zwei Prüflinge

Aber wie sehen das die Abiturientinnen und Abiturienten, die gerade mitten in den Prüfungen stecken? Wir haben mit zwei von ihnen gesprochen und sie nach ihrer Meinung zum Januar-Abitur gefragt.

Colin Haubrich und Rebecca Knaub stehen kurz vor ihrem Schulabschluss am Freiherr-vom-Stein-Gymnasium in Betzdorf-Kirchen (Landkreis Altenkirchen). Beide können dem vorgezogenen Abitur positive Aspekte abgewinnen. Aber ihre Pläne nach dem Abitur unterscheiden sich.

Haubrich, der selbst einmal Sprecher der LSV war, hat sich gegen einen Studienstart im Sommer entschieden. Er möchte im Wintersemester beginnen. "Das halbe Jahr zu nutzen, um zu schauen, was geht in der Welt, ist doch schon optimal, muss ich sagen." Ein ganzes Jahr auszusetzen sei ihm zu viel, aber die freien Monate, sehe er als "gewonnene Zeit" an.

Voller Tatendrang für ein Studium im Sommer ist hingegen Rebecca Knaub. Sie möchte Modedesign in Trier studieren. Mit der Möglichkeit auf einen früheren Studienstart erhofft sie sich bessere Chancen auf einen Studienplatz. Man höre schon hin und wieder, dass Schülerinnen und Schüler sich über die Belastung während des Abistresses beklagten, aber sie könne das schlecht einschätzen. "Das ist von Person zu Person unterschiedlich", so Knaub.

Die Entscheidung, wann man mit dem Studium beginne, hänge auch davon ab, welches Fach man studieren möchte, sagt die 18-Jährige weiter. Ein Studienstart im Sommersemester bedeutet aber auch immer, sich auch während der laufenden Schulzeit mit Bewerbungsprozessen auseinanderzusetzen. "Der Aufwand war auf jeden Fall sehr groß, aber es war meine persönliche Entscheidung, das neben der Schule zu machen", sagt die 18-Jährige.

Über einen Kompromiss diskutieren

Aktuell diskutiere man nur über die beiden "Extremforderungen", findet Haubrich. Er würde sich stattdessen Gespräche über einen Kompromiss wünschen. Zum Beispiel könne man das Abitur auch erst im Februar oder März schreiben. Gerade in Jahren mit kurzen Weihnachtsferien wie 2022 könnte ein etwas späteres Abitur die Lage entzerren, so Haubrich.

Und er geht noch weiter und sagt, man müsse sich fragen: "Woher kommen die Belastungen?" Zu dem Abiturstress kämen die Krisen der letzten Jahre hinzu. Er nennt hier die Corona-Pandemie, "die nie nachbereitet wurde" und den Krieg gegen die Ukraine. Ereignisse, die die Schülerinnen und Schüler noch immer beschäftigten und sich auch auf deren psychische Gesundheit auswirkten.

Ministerium zieht positive Bilanz

Trotz der Kritik zieht das Ministerium eine positive Bilanz des vorgezogenen Abiturs. Dort heißt es, "dass es aus den Reihen der Schülerschaft sowie der Elternschaft in den vergangenen Jahren praktisch keine kritischen Rückmeldungen gab." 

Kritik hatte es in den vergangenen Jahren aber immer wieder gegeben. Zuletzt hatte sich  die Vorsitzende des Philologenverbandes, Cornelia Schwartz, Anfang Januar im SWR geäußert und mitgeteilt, dass ihr Verband schon seit Jahren fordere, "wieder zum alten Abitur zurückzukehren."

Hoffnung auf offenen Austausch

Die LSV und der Philologenverband hätten jetzt gemeinsam einen Vorschlag gemacht, so Groothuis. Man müsse weg vom verkürzten Abitur. Nun hoffe er, dass sich gemeinsam mit den Eltern, Schülerinnen und Schülern, dem Philologenverband und dem Ministerium an den Tisch gesetzt werde, um sich offen darüber auszutauschen und die beste Lösung zu finden, so der LSV-Vertreter.

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