„G7 sind wichtiger denn je“ – Völkerrechtsexperte über Gipfel in Italien

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Florian Rudolph
Porträt Florian Rudolph

In einem Luxus-Hoteldorf in Apulien treffen sich die Staats- und Regierungschefs der wichtigsten demokratischen Industriestaaten. Italien lädt zum G7-Gipfel. Wie zeitgemäß ist ein Format wie die G7 überhaupt noch? Was legitimiert diesen exklusiven Club und was ist der Ertrag? Darüber hat SWR-Aktuell-Moderator Florian Rudolph mit Lars Brozus von der Stiftung Wissenschaft und Politik gesprochen. Er ist Experte für globales Regieren.

SWR Aktuell: Wir beobachten, wie die Welt erneut in Blöcke zerfällt. Sind die G7 als formaler Zusammenschluss der zu ihrer Gründung vor 50 Jahren bedeutendsten Industriestaaten überhaupt noch zeitgemäß?

Lars Brozus: Ich würde sagen: fast wichtiger denn je, und zwar in erster Linie zur Abstimmung und Koordinierung der Politik von sieben führenden Industrienationen sowie auch der EU. Das darf man nicht vergessen. Die EU ist inzwischen regelmäßig auch Gast der G7-Gipfeltreffen. Erstens gibt es viel mehr wichtige Mitspieler in der internationalen Politik. Dazu gehören Staaten wie China oder Indien, die viel relevanter sind als noch vor 50 Jahren. Aber auch Unternehmen etwa aus der Tech-Branche, denken wir nur an Elon Musk, sind wichtiger geworden - und natürlich gesellschaftliche Organisationen wie Fridays for Future oder Amnesty International. Zweitens sind die globalen Herausforderungen sehr viel deutlicher geworden. Und dazu gehören der Klimawandel, politische Herausforderungen wie Migration, soziale Ungleichheit oder bewaffnete Konflikte, und auch die zukunftsweisenden Fragen, etwa die Regulierung von künstlicher Intelligenz oder Fake News, Informationsmanipulation: Alles neue Herausforderungen, die dazugekommen sind. Drittens, vielleicht der wichtigste Grund, ist die Globalisierung in eine tiefe Krise geraten, dazu nur drei Stichworte: Covid zeigt, dass globale Produktions- und Lieferketten schnell zusammenbrechen können, wenn ein wichtiges Land wie China die Grenzen schließt, dann auch die Vorstellung, dass politische Annäherung durch wirtschaftliche Verflechtungen gefördert wird, hat gezeigt, hat sich durch Russlands Aggressionskrieg gezeigt, dass das nicht in jedem Fall stimmen muss. Und Trump schließlich steht für politischen Nationalismus und „my country first“- Politik und ist damit erfolgreich.

SWR Aktuell: Aufgaben gibt es auf jeden Fall genug für dieses Format. Trotzdem die Frage: Was legitimiert eigentlich Deutschland, Frankreich, Italien, Japan, Kanada, Großbritannien und die USA heute noch genau in diesem Format globale Politik zu machen?

Brozus: G7 ist nach wie vor ein wichtiges Forum, vielleicht sogar wichtiger, wie ich gerade sagte. Denn in diesem Umfeld, das von der Globalisierung geprägt ist, wird es wichtiger, sich miteinander abzustimmen und dann miteinander Politik zu koordinieren. Das ist an sich schon legitim, wenn die Ergebnisse, die dabei herauskommen, so sind, dass internationale Politik tatsächlich vorangebracht wird. Dazu kommt aber eine ganz andere Ebene, die bei den G7 viel stärker ausgeprägt ist als bei anderen vergleichbaren Clubs von Regierungen, die man auch „Government Clubs“ nennt. Die G7 sind sehr viel beteiligungsoffener als andere Gruppierung. Beispielsweise gibt es bei den G7 zahlreiche Engagementgruppen, die wirtschaftliche, aber auch gesellschaftliche Akteure einbinden, und auch die Wissenschaft. Das ist etwas, was wirklich ziemlich außergewöhnlich ist. Wir haben hier eine Gruppe von wichtigen Industriestaaten, die aber unterstützt werden in dem, was sie machen, durch Input, der von ganz unterschiedlichen Seiten kommt, und von ganz unterschiedlichen politischen Akteuren selbst beigesteuert wird. Und das ist wirklich etwas sehr, sehr Ungewöhnliches, was es so kaum gibt.

SWR Aktuell: Und trotzdem ist es doch so, dass die von den G7 getroffenen Entscheidungen Auswirkungen auch auf viele kleine Player, kleine Länder haben, die dann an diesem Prozess gar nicht beteiligt waren. Ein Club der Reichen befiehlt, die Kleinen haben zu hüpfen…

Brozus: Das klappt ja so auch nicht. Und die G7 reagieren auch darauf. Es gibt regelmäßig Einladungsrunden an Staaten, die hinzugezogen werden, um bestimmte Punkte mitzudiskutieren. Indien und Brasilien beispielsweise sind regelmäßig bei den G7 -Treffen mit dabei, werden also eingebunden. Das ist auch wichtig, damit die G7 eben nicht isoliert dastehen, sondern beispielsweise auch die G20 mit einbinden können. Bei dem Gipfel jetzt in Italien sind, glaube ich, fast die Hälfte aller G20-Staaten eingeladen, daran teilzunehmen, und werden auch zum ganz großen Teil da sein. Es ist nicht so, dass die G7 Staats- und Regierungschefs da ganz allein ihre Entscheidung treffen, sozusagen im stillen Kämmerlein, abgehoben von der restlichen Welt. So ist es nicht. Es gibt einerseits die Öffnung zu nichtstaatlichen Akteuren, wie ich gerade gesagt habe. Andererseits werden wichtige andere Staaten eingebunden, die im Regelfall demokratisch sind. Das ist der große Unterschied, sowohl zu Brics als auch zu G20.

SWR Aktuell: Schauen wir auf das, was dieses Format tatsächlich bewirken kann in der Welt. Sind sie da eher so ein erweiterter Unterstützerkreis von Nato und Vereinten Nationen?

Brozus: Mit Blick auf die Ukraine würde ich sagen, dass die G7 eigentlich die konsistenteste Unterstützung für die Ukraine beigesteuert hat in den letzten Jahren. Insofern haben Sie völlig Recht: G7 ist zusammen mit Nato und EU die wichtigste Gruppe, die die Ukraine unterstützt. Die Nato organisiert die militärische Unterstützung. Die EU fördert die politische Stabilität durch den Beitrittsprozess der Ukraine, und die G7 organisiert die politische und wirtschaftliche Unterstützung, etwa durch Diskussionen darüber, wie mit den eingefrorenen Vermögenswerten Russlands umgegangen werden kann. Das wird jetzt beim Gipfel in Italien eine wichtige Rolle spielen. Das ist eine klare Unterstützung der Ukraine, die da stattfindet. Gleichzeitig wird auch der ukrainische Präsident jetzt wieder erwartet beim Gipfel der G7 in Italien, wie schon beim G7-Gipfel in Japan. Das gibt ihm die Gelegenheit, direkt mit den G7-Mitgliedern zu sprechen, aber eben auch mit den Staats- und Regierungschefs der eingeladenen Länder. Brasilien und Indien werden wieder mit dabei sein in Italien. Die haben auch die Chance. Im letzten Jahr haben sie das in Japan auch genutzt, direkt mit Selenskyj zu sprechen. Das könnte sogar Auswirkungen haben auf den direkt an den G7-Gipfel anschließenden sogenannten Friedensgipfel in der Schweiz.

SWR Aktuell: Um gerade so eine Konkurrenz dieser Formate, dieser Blöcke, Brics und G7, zu überwinden - ist da nicht der G20-Zusammenschluss der wichtigsten Industrie- und Schwellenländer eigentlich das bessere Format, um globale Politik zu betreiben?

Brozus: Ich glaube, die G7 sind da auf einem ganz guten Weg. Wie gesagt, jetzt werden fast die Hälfte der G20-Mitglieder auch beim G7-Gipfel dabei sein. Da gibt es einen klaren Outreach. In der Notsituation der Finanzkrise 2008 haben die G20 sehr, sehr gut funktioniert. Das war aber tatsächlich krisendominiert. Für das reguläre Politikmachen, wenn es darum geht, Zukunftsfragen beispielsweise zu behandeln, da zeigen sich die Dissonanzen zwischen den G20 Mitgliedern allerdings viel, viel stärker. Und das muss man auch sagen: Es wäre überhaupt nicht gut, wenn die Differenzen zwischen Brics auf der einen Seite und G7 auf der anderen Seite in den G20 ausgetragen würden und dort die Arbeit vollständig lahmlegten - nicht zuletzt auch mit Blick darauf, dass wir es ja eigentlich mit der großen multilateralen Organisationen, über die wir noch gar nicht gesprochen haben, nämlich mit den Vereinten Nationen zu tun haben, die aber zum Teil auch blockiert sind durch diese Widersprüche zwischen den verschiedenen Gruppen.

SWR Aktuell: Ihr Fazit: Die G7 sind weiterhin unverzichtbar?

Brozus: Aus meiner Sicht wichtiger denn je.