Bundespräsident Steinmeier hat in der kommenden Woche eine wahrhaft staatstagende Rolle: er muss nach der Vertrauensfrage entscheiden, ob er das Parlament auflöst. Eine Ausnahmesituation in der Bundesrepublik - aber "nicht das Ende der Welt", wie Steinmeier betont.
Der Bundespräsident macht gerade einen Spagat. Er ist der erste Repräsentant Deutschlands auf einer Reise in Afrika - aber er ist auch ein deutsches Verfassungsorgan, so sperrig das klingt - und er muss in wenigen Tagen eine staatstragende Entscheidung treffen. Wenn der Kanzler die Vertrauensfrage am Montag im Bundestag verliert, muss der Bundespräsident entscheiden, ob er das Parlament auflöst. Das ist eine Ausnahmesituation in der Bundesrepublik. Seit fast zwanzig Jahren hat es das nicht mehr gegeben.
Kein Grund zur Verunsicherung
Frank Walter Steinmeier versteht, dass das Menschen beunruhigen kann und bemüht sich im ARD Interview der Woche als Garant für Stabilität aufzutreten: "Ich glaube, es ist auch die Aufgabe des Bundespräsidenten, in dieser Situation ein bisschen Beruhigung und Entschärfung der gewachsenen Konflikte der letzten Monate zu betreiben. Will sagen, das Ende einer Koalition ist außergewöhnlich, aber es ist nicht das Ende der Welt. Wir haben funktionierende Institutionen." Er sieht es als Problem, dass Politik zuletzt nur noch als Streit wahrgenommen wurde. Steinmeier will deshalb jetzt mit Ruhe und Sorgfalt handeln. "Wir sollten jetzt nicht huddeln. Die Hektik der Tagespolitik und die Schlagzahl der Medien gibt jetzt nicht das weitere Verfahren vor, sondern die Verfassung und ihre Regeln."
Bundespräsident lädt in der nächsten Woche Fraktionen und Gruppen im Bundestag zu Gesprächen ein
Vor einer möglichen Entscheidung über die Auflösung des Bundestags will der Bundespräsident ab nächster Woche mit den Fraktionen und Gruppen sprechen. Im ARD Interview der Woche sagt er: "Bevor die Entscheidung darüber zu fällen ist, werde ich ganz sicher, das ist die gute Staatspraxis in Deutschland, da eine Auflösung des Bundestages, nicht nur einige wenige, sondern alle Abgeordneten betrifft, die Gespräche mit den im Bundestag vertretenen Parteien und Gruppierungen aufnehmen und danach entscheiden."
In den Gesprächen gehe es darum, auszuloten, ob sich möglicherweise Mehrheiten für eine andere Regierung finden lassen, die Stabilität versprechen. Steinmeier erwartet das jedoch nicht: "Ich werde nicht überrascht sein, wenn sich diese Möglichkeit in den Gesprächen mit den Fraktionsvorsitzenden und Vorsitzenden der Gruppierungen nicht zeigt. Aber die Gespräche sind abzuwarten."
Appell an Wahlkämpfer und an Wählerinnen und Wähler
Klare Positionen in der Sache und Fairness im Umgang, das wünscht sich der Bundespräsident für den Wahlkampf, der ja bereits begonnen hat: "Von den Wahlkämpfern wünsche ich mir, dass sie die Positionen, die Parteien vertreten, zu den unterschiedlichen Fragen, sei es das Thema Infrastruktur, sei es das Thema Steuern, sei es das Thema Gesellschaftspolitik, sei es die Zukunft, der Arbeitsmarkt und Rentenpolitik, dass sie ihre Unterschiede deutlich machen. Dass sie aber einen Stil pflegen, bei dem sie berücksichtigen, dass man möglicherweise mit dem politischen Gegner, der im Wahlkampf bekämpft wird, nach einer Neuwahl und nach einer Regierungsbildung wieder zusammenarbeiten muss. Das verlangt, dass man den Ton mindestens kontrolliert und einen politischen Stil pflegt, der dieser Republik und ihrer Demokratie angemessen ist, nämlich Kooperationsbereitschaft und Fähigkeit zur Zusammenarbeit aufrecht zu erhalten."
Die Wählerinnen und Wähler bittet er, die Weihnachtstage auch zum Nachdenken über ihre Stimme zu nutzen: "Wir sind in einem besonderen Jahr: 35 Jahre friedliche Revolution und Mauerfall. Wir erinnern uns, dass Tausende auf die Straßen gegangen sind, um für freie Wahlen zu kämpfen, die wir in ganz Deutschland haben. Und das sollten wir nicht ohne weiteres wegwerfen oder für gering achten. Und jeder sollte seine Stimme so abgeben, als sei seine Stimme die Entscheidende, die für die Zusammensetzung einer nächsten Bundesregierung relevant ist."
Regierungsbildung in "vertretbaren Zeiträumen"
Wenn dann tatsächlich Neuwahlen stattgefunden haben, rechnet Steinmeier damit, dass es nicht einfach werden könnte, eine Koalition zu bilden. Schon einmal, 2017, musste er einschreiten, als die Verhandlungen zur Jamaika Koalition geplatzt waren, und sich so recht keine Regierungspartner finden wollten, weil die SPD keine Lust auf eine weitere große Koalition hatte. Steinmeier: "Ich kann nicht ausschließen, dass wir in ähnlich schwierige Entscheidungen auch wieder kommen". Eine zeitliche Befristung für Koalitionsverhandlungen schließt er im ARD Interview der Woche jedoch aus: "Ich hoffe, dass wir der Tradition früherer Wahlen und Regierungsbildungen folgen und in vertretbaren Zeiträumen eine stabile Regierung zustande bekommen."
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