Anne Gidion: Kirche soll starke ethische Stimme bleiben

Stand
Autor/in
Nela Fichtner

Soziales Engagement, geistliche Angebote und eine klare ethische Stimme - so skizziert Anne Gidion, die die evangelische Kirche in der Politik vertritt, die Zukunft ihrer kleiner werdenden Kirche.

TRIGGER-WARNUNG SUIZID

In dieser Episode geht es unter anderem um Sterbehilfe. Wenn dieses Thema Sie stark belastet, dann hören Sie sich diese Episode nicht oder nicht alleine an. Kontakt und Links zu Hilfsangeboten finden Sie am Ende des Artikels.

Der Modus Mitgliedschaft sei weder die einzig mögliche Weise Kirche zu sein, noch die einzige Weise zu glauben, sagt Anne Gidion, die Bevollmächtigte des Rats der Evangelischen Kirche für die Bundesrepublik und die EU. Auch wenn die Mitgliederzahlen weiterhin sinken, könne die Kirche ihren Aufgaben gerecht werden - wie, das beschäftige sie gerade auf allen Ebenen. Wichtig sei, sich weiterhin sozial zu engagieren – zum Beispiel in konkreten Projekten der Flüchtlingshilfe. Gidion verweist darauf, dass es schon immer zur biblischen Botschaft gehört habe, Schutzsuchenden Hilfe zu gewähren. Sie sieht ihre Kirche auf vielen Ebenen gefragt: von konkreten Sozialprojekten vor Ort bis hin zu politischen Debatten, in der die Kirche versucht, ihre Werte einzubringen.

Eine klare ethische Stimme sein

Ob es um die Kindergrundsicherung geht, um Krieg und Frieden oder Fragen zum Anfang und Ende des Lebens: Die evangelische Kirche bringt ihre ethischen Vorstellungen und Werte ins politische Berlin wie auch in Brüssel ein – ebenso wie die katholische Kirche, mit der sie zusammenarbeitet. Das können konkrete Gesetzentwürfe sein, zu denen die Leitungsgremien der evangelischen Kirche Stellung nehmen und die Anne Gidion dann Regierung und Parlamentsmitgliedern vermittelt. Es können aber auch schwebende Debatten sein, zum Beispiel zum Klimawandel oder zu Fragen der sozialen Gerechtigkeit.

Aktuelles Beispiel: Suizidbeihilfe

Nachdem das Bundesverfassungsgericht Ende 2022 das bestehende Verbot der geschäftsmäßigen Sterbehilfe gekippt hat, stehen jetzt drei Gesetzentwürfe im Raum, die noch vor der Sommerpause im Bundestag debattiert werden sollen. Im Vorfeld macht sich die evangelische Kirche für mehr Prävention stark. "Der Suizidwunsch entsteht in der Regel, wenn es keine Perspektive mehr gibt außer Schmerzen und Alleinsein. Und in diesen Fällen mehr Möglichkeiten aufzuzeigen, sowohl in guter Schmerztherapie als auch durch Besuchsdienste, das Gefühl, nicht allein zu sein in diesem Leid - das ist das, was den Kirchen das Wichtigste ist", betont Gidion. "Und das ist auch das, was sie in ihren Einrichtungen leisten."

Doch mit Prävention ist es nicht getan. Selbst bei viel Unterstützung wird es Menschen geben, die dennoch aus dem Leben scheiden wollen. Und denen hat das Bundesverfassungsgericht das Recht zugesprochen, sich dabei auf legale Weise Unterstützung holen zu können. Was heißt das für evangelische Pflegeinrichtungen? Müssen sie Sterbehelfer und -helferinnen zulassen?

Die Antwort von Anne Gidion: "Genau an diesem Punkt regt sich eben ein großer kirchlicher Widerstand, weil sie gerne ihren Einrichtungen die Sicherheit geben möchten, das im Ernstfall nicht zu müssen." Evangelische Heimleitungen und Mitarbeitende wollten ihre Bewohner und Bewohnerinnen vor dem Druck schützen, den der Suizid eines Zimmernachbarn auslösen könnte, so die Theologin: Daraufhin könnten sich alte Menschen verpflichtet fühlen, sich auch dafür zu entscheiden, um ihren Angehörigen nicht zur Last zu fallen.

Aktueller Handlungsdruck: Ablösung von Staatsleistungen an die Kirchen

Rund 550 Millionen Euro erhalten die Kirchen jährlich vom Staat als Ausgleich für Enteignungen von Kirchengütern während der Säkularisation vor rund 200 Jahren. Die Regierung ist laut Grundgesetz dazu verpflichtet, diese Dauerzahlungen abzulösen. Dazu haben Regierung, Ländervertretungen und Kirchen bereits Gespräche geführt, berichtet Anne Gidion. In einer nächsten, kleineren Gesprächsrunde solle ein Grundsätzegesetz vereinbart werden. In dessen Rahmen müssen dann die Bundesländer mit ihren Landeskirchen und Bistümern konkrete Ablösesummen und -modalitäten verhandeln.

Diese sollten dem Äquivalenzprinzip entsprechen, betont die Bevollmächtigte des EKD-Rats. Nur dann könnten die Kirchen einen Kapitalstock so aufzubauen, dass sie in der Lage seien, ihr soziales Engagement fortzuführen. Die Länder wüssten sehr wohl, betont Gidion, was die Kirchen in der Gesellschaft leisteten und hätten ein Interesse daran, dass sie dies auch weiterhin tun können.

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Nela Fichtner