Anne-Frank-Tag 2024: Was kann der Schulaktionstag gegen Antisemitismus bringen?

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Autor/in
Katja Burck
Katja Burck steht vor dem Logo von SWR Aktuell.

Vor 95 Jahren wurde Anne Frank geboren- und sie wäre sicher eine interessante und kluge Frau geworden - wenn die Nazis sie nicht verfolgt, eingesperrt und getötet hätten. So wurde sie nur 16 Jahre alt. Sie ist aber unsterblich durch ihr berühmtes Tagebuch. Viele Schulen nehmen den Geburtstag zum Anlass, um über Antisemitismus aufzuklären. Über den Schulaktionstag hat SWR-Aktuell-Moderatorin Katja Burck mit Deborah Schnabel gesprochen, sie ist Direktorin der Bildungsstätte Anne Frank in Frankfurt.

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SWR Aktuell: Anne Frank hätte es vielleicht auch sinnvoll gefunden, dass dieser Tag zum Anlass genommen wird, junge Leute zu informieren.  Welche Fragen stellen Schülerinnen und Schüler heute, wenn es um jüdisches Leben geht?

Deborah Schnabel: Zunächst einmal muss jüdischen Menschen die Gelegenheit gegeben werden, ihre alltägliche Lebenswelt heute auch zu vermitteln. Schüler*rinnen kennen häufig nur die Historie, kennen häufig den Holocaust, kennen Anne Frank als ein wichtiges Opfer der Shoah. Aber jüdische Menschen in Deutschland struggeln einfach auch damit, die aktuelle Lebensrealität zu transportieren. Und wir versuchen, in unserer Arbeit diese Brücke zu schlagen, von der Vergangenheit in die Gegenwart - und auch sehr viele aktuelle relevante Themen aufzubringen: zum Beispiel auch Krieg und Frieden, Flucht und weitere Themen ins Spiel zu bringen, mit denen sich die jungen Menschen heute auseinandersetzen, und die eben eine Brücke zu Vergangenem schlagen können.

SWR Aktuell: Das heißt, es geht gar nicht mehr sehr so sehr um die Historie, also um die Person Anne Frank, sondern es geht darum sozusagen ein Ankommen im Alltag und – ja, wie soll ich es nennen - eine Normalisierung zu kreieren?

Schnabel: Ja, es ist beides. Natürlich müssen wir uns mit der Vergangenheit auseinandersetzen. Dafür sind natürlich historische Personen mit ihrem individuellen Schicksal sehr wichtig, weil sie eben auch sehr nahbar sind. Aber es ist schon auch sehr wichtig, den Blick auf die Gegenwart zu richten. Denn Diskriminierung ist aus unserem Alltag leider nicht verschwunden und ist immer noch sehr, sehr aktuell. Auch der Antisemitismus ist eben noch sehr, sehr aktuell. Und da müssen wir schon gucken, wie wir auch sehr gut sensibilisieren können für das, was Jüdinnen und Juden heute erleben müssen, was aber auch ihre Kultur im schönen Sinne ausmacht.

SWR Aktuell: Wie sehr gelingt Ihnen das in der Schule?

Schnabel: Ich glaube, es gelingt uns schon sehr gut. Wir haben ja auch einen außerschulischen Lernort, wo täglich mehrere Schulklassen kommen und sich einerseits mit Anne Frank, aber auch mit vielen zeitaktuellen Themen wie Rassismus, wie Flucht, wie Hate Speech im Netz auseinandersetzen. Und dabei durch Peer-Trainer*innen begleitet werden, also andere junge Menschen, die wir ausgebildet haben, um ins Gespräch zu kommen. Und da merkt man schon, dass die jungen Menschen sehr interessiert sind. Sie möchten sich mit diesen Themen auseinandersetzen, und sie fühlen auch einen eigenen Bezug, weil es oft auch Menschen sind, die vielleicht eigene Migrationsgeschichten haben. Oder die Eltern hatten Migrationsgeschichten, und sie können an viele Themen, die auch Anne Frank bewegt haben, anknüpfen.

SWR Aktuell: Wie hat sich diese Debatte geändert, seit es diesen „großen Elefanten im Raum“ gibt, nämlich den Überfall der Hamas auf Israel und den anschließenden Krieg?

Schnabel: Ja, das berührt natürlich die Schüler*innen enorm. Wir hatten es leider ja auch damit zu tun, dass über dieses Thema nach dem Oktober etwas zeitverzögert in den Schulen gesprochen wurde. Viele Lehrkräfte mussten erstmal Wege finden, darüber ins Gespräch zu kommen. Und jetzt nehmen wir schon wahr, dass die Schicksale der Opfer des 7. Oktobers und der Geiseln ein bisschen in den Hintergrund geraten. Jetzt ist natürlich auch der schreckliche Krieg in Gaza sehr präsent, und die Ereignisse sich so ein bisschen überlappen. Und es stellt natürlich auch eine Schwierigkeit dar, im Raum Schule für unterschiedliche Perspektiven zu sensibilisieren. Wir finden das aber unheimlich wichtig, dass das getan wird, und plädieren eben auch dafür, dass der Nahost-Konflikt auch die Region des Nahen Ostens und dieser sekundären und primären Betroffenheiten, die das auch auslöst, auch hier in Deutschland viel stärker auch im Schulkontext vorkommen müssen.

SWR Aktuell: Wie kriegen Sie das hin, dass das nicht abstrakt bleibt? Das ist ja schon für Menschen, die sich tagtäglich damit befassen, sage ich mal sehr schwierig…

Schnabel: Die Schüler*innen bringen das häufig selbst rein, weil es für die nämlich gar nicht abstrakt ist. Die sind häufig mehrere Stunden am Tag im Netz unterwegs. Wenn man sich anguckt, was auf TikTok los ist, dann muss man festhalten, dass dort der Krieg nahezu gebroadcastet wird. Man sieht Bilder und Videos und Inhalte, die sehr hautnah vermitteln, was dort passiert. Und oftmals bringen Schüler*innen das selbst rein in den Schulkontext. Wichtig ist nur, dass das dann aufgegriffen wird, und man darüber dann ins Gespräch kommen kann.

SWR Aktuell: Haben wir dazu genug befähigte Lehrkräfte, die das auffangen können?

Schnabel: Ich denke, wir haben da noch einen Weg vor uns. Wir müssen ja leider festhalten, dass der Nahost-Konflikt in der Lehrkräfteausbildung nicht institutionell vorkommt. Und dieses aktualitätsbezogene Arbeiten im Schulkontext, da haben wir auch nach was vor uns, und das wird uns immer mehr umtreiben. Globale Krisen und Konflikte schwappen immer mehr auch nach Deutschland und beschäftigen uns hier. Und da, glaube ich, muss sich der Raum Schule einfach auch noch anpassen. So ein bisschen weg von diesen formellen strukturierten Vorgaben hin zu aktuellen Bedarfen des gesellschaftspolitischen Geschehens.