Vor einem Jahr hielt Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) seine Zeitenwende-Rede im Deutschen Bundestag. Nach dem russischen Angriff auf die Ukraine, so Scholz sinngemäß, ist nichts mehr, wie es war. Seine Regierung wolle 100 Milliarden Euro in die Hand nehmen, um die Bundeswehr auf Vordermann zu bringen.
Ich denke an den Satz "Auf den Kanzler kommt es an", der Unions-Slogan im Bundestagswahlkampf 1969. Gemeint war der bisherige Amtsinhaber Kurt Georg Kiesinger. In dem Satz steckt auch eine verfassungspolitische Tatsache: Laut dem Grundgesetz hat eine Bundeskanzlerin, ein Bundeskanzler weniger Macht, als es gemeinhin scheint. Er bestimmt die Richtlinien der Regierungspolitik, aber nicht die Regierungspolitik selbst.
Regierungserklärung zur Zeitenwende: Zögern und Zaudern?
Grundgesetz begrenzt Macht im Kanzleramt
Eine Frau oder ein Mann im Kanzleramt verfügt hauptsächlich über die Macht des Wortes. Der sozialdemokratische Bundeskanzler Helmut Schmidt nutzte diese Macht im Deutschen Herbst 1977, als Linksterroristen den Staat erpressten. Die christdemokratische Bundeskanzlerin Angela Merkel beruhigte mit ihren Worten Sparerinnen und Sparer in der Finanzkrise. Auch Olaf Scholz traf mit der Zeitenwende-Rede den richtigen Ton – zweifellos ein historisches Verdienst.
Danach kam bzw. kommt von ihm nichts Vergleichbares mehr. Nur Plattheiten wie "Wir handeln in enger Abstimmung mit unseren Verbündeten." Dass die Bundesregierung Panzer an die Ukraine liefert, gab er beiläufig, während einer Fragestunde im Bundestag, bekannt. Olaf Scholz, der Held für einen Tag, um mit David Bowie zu reden. Ich finde, das ist in diesem Amt zu wenig.