Welche Posten bekommt die AfD und welche nicht? Diese Frage stellt sich immer wieder: in Parlamenten, Ausschüssen oder Gemeinderäten. Die anderen Parteien ringen damit. Nicht zuletzt deshalb, weil die AfD in Baden-Württemberg vom Verfassungsschutz als rechtsextremistischer Verdachtsfall beobachtet wird. In einigen anderen Bundesländern gilt sie gemäß der Einstufung der jeweiligen Verfassungsschutzämter als gesichert rechtsextrem.
Die AfD zieht mitunter vor Gericht, wenn sie sich benachteiligt fühlt. Erst Mitte September hat das Bundesverfassungsgericht klargestellt, dass die Partei keinen automatischen Anspruch darauf habe, die Stelle eines Vorsitzenden in Ausschüssen des Bundestags zu besetzen.
Aber wie ist die Lage im Land? Wo ist die AfD vertreten und wo bleibt sie außen vor? In Baden-Württemberg wird die Partei vom Verfassungsschutz beobachtet.
SWR Aktuell hat drei Beispiele recherchiert:
- AfD-Politiker als Ausschussvorsitzende im Landtag
- AfD-Kandidaten für Kuratorium abgelehnt
- AfD darf keinen stellvertretenden Bürgermeister stellen
Fall 1: AfD-Politiker als Ausschussvorsitzende im Landtag
In den Ausschüssen des Landtags ist die AfD vertreten, in zwei Ausschüssen stellt sie sogar den Vorsitzenden. "Der Ausschussvorsitz ist klar geregelt", sagt der AfD-Abgeordnete Rüdiger Klos mit Wahlkreis Tuttlingen-Donaueschingen. Dieser sei objektiv zu führen. Als Vorsitzender des Verkehrsausschusses leitet Klos seit drei Jahren durch die Sitzungen, legt die Tagesordnungen mit fest und führt die Delegation bei Ausschussreisen an.
Die Geschäftsordnung des Landtags sieht aktuell vor, dass alle vertretenden Fraktionen einen Ausschuss leiten sollen. Daran hatten sich die Fraktionen auch gehalten und zwei Ausschüsse der AfD zugestanden, darunter den wichtigen Verkehrsausschuss. Klos erhielt bei der Wahl 2 von 22 Stimmen. Neben ihm sitzt noch ein weiterer AfD-Abgeordneter im Ausschuss. Der Rest der Stimmen waren Enthaltungen. "Wir geben denen eine Chance", sagt der FDP-Abgeordnete Hans-Dieter Scheerer in Bezug auf AfD-Abgeordnete als Ausschussvorsitzende. "Aber wir beobachten das sehr, sehr genau."
Parlament als "Kampfarena", Ausschüsse für die Sacharbeit?
Auch Scheerer sitzt im Verkehrsausschuss. Dort verhält sich Klos seiner Meinung nach professionell. "Im Ausschuss bemüht er sich, formal alles korrekt zu machen und hält sich mit inhaltlichen Statements zurück", sagt Scheerer. Das hat einige Ausschussmitglieder überrascht, sie kennen Klos ganz anders aus dem Plenum.
Dort tritt Klos ganz anders auf als im Ausschuss. "Es sind tatsächlich zwei unterschiedliche Gesichter, die wir da erkennen", sagt Scheerer. Klos selbst begründet das mit seinen unterschiedlichen Rollen: Einmal spricht er für die Fraktion, einmal als objektiver Ausschutzvorsitzender. "Das sind wirklich zwei Welten", sagt er. "Das Parlament ist die Kampfarena, hier in den Ausschüssen erfolgt die Sacharbeit." Bis jetzt sei er mit seinen Reden im Plenum "immer an der Grenze geblieben", versichert der AfD-Politiker und meint damit, dass er noch keinen Ordnungsruf erhalten hat.
Politologe: Ausschussvorsitzende können abgewählt werden
Aus Sicht des Politologen Volker Best an der Universität Halle sollten AfD-Abgeordnete so weit wie möglich formal gleichberechtigt werden - auch im Hinblick auf den Vorsitz in Ausschüssen. Ausschussvorsitzende hätten ohnehin nur eine organisatorische und moderierende Rolle, sagt Best. Außerdem weist er darauf hin, dass sie im Zweifelsfall auch wieder abgewählt werden könnten. "Insofern muss man aus meiner Sicht keine große Vorsicht walten lassen, sondern kann es darauf ankommen lassen."
Fall 2: Abgelehnte AfD-Kandidaten für Kuratorium
Die AfD-Fraktion im baden-württembergischen Landtag versucht schon seit längerer Zeit einen Vertreter ins Kuratorium der Landeszentrale für politische Bildung zu entsenden. Bisher ist das am Widerstand der anderen Fraktionen gescheitert, die die AfD-Kandidaten jedes Mal durchfallen ließen. "Durch die Nicht-Wahl der von uns vorgeschlagenen Kandidaten für das Kuratorium der Landeszentrale für politische Bildung ist das Gebot der Überparteilichkeit derselben zum jetzigen Zeitpunkt nicht gewahrt", teilt Anton Baron auf SWR-Anfrage mit.
In der Satzung des Kuratoriums ist festgehalten, dass es die Überparteilichkeit der Landeszentrale für politische Bildung sicherstellen soll. "Es muss aber nicht jede Fraktion im Landtag bedacht werden", erklärt der Politologe Volker Best von der Universität Halle. Die Überparteilichkeit sei dennoch gegeben.
Alle anderen Fraktionen im Kuratorium vertreten
Das Kuratorium besteht aus 24 Mitgliedern, 17 davon sind Abgeordnete im Landtag. Bisher waren die Fraktionen entsprechend ihrer Stärke im Kuratorium vertreten. Demnach stünden der AfD-Fraktion zwei Sitze zu. Das Kuratorium darf bei den Arbeitsschwerpunkten und bei der Aufstellung des Haushaltsplans der Landeszentrale für politische Bildung mitreden. Außerdem kann es sich vom Direktor der Landeszentrale regelmäßig über die laufende Arbeit der Einrichtung informieren lassen.
In der vergangenen Legislaturperiode saßen Abgeordnete der AfD im Kuratorium der Landeszentrale. Damals hatten die Grünen der AfD vorgeworfen, Einfluss auf die Finanzierung von politischer Bildungsarbeit gegen Rechts nehmen zu wollen.
SPD-Politiker attestiert AfD "Geschichtsvergessenheit"
Der parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Landtagsfraktion, Sascha Binder, befürwortet, dass die AfD im Kuratorium nicht mehr vertreten ist. "Die AfD hat mehrmals im Landtag versucht, die finanzielle Unterstützung für Gedenkstätten zu reduzieren oder zu streichen. Das zeigt uns, dass da ziemlich große Geschichtsvergessenheit innerhalb dieser Fraktion vorhanden ist", sagt Binder dem SWR. Deshalb seien die AfD-Abgeordneten die wohl am wenigsten geeigneten Personen, um im Kuratorium einer so wichtigen Institution zu sitzen.
Binder hebt in diesem Zusammenhang einen für ihn wichtigen Unterschied hervor. Die AfD sei an allen parlamentarischen Gremien beteiligt, sagt er. Als Beispiel führte er die Ausschüsse des Landtags an. Das sei auch ihr Recht, so Binder weiter. "Aber mir als Abgeordneter kann niemand vorschreiben, wen wir in Gremien außerhalb des Landtags wählen."
Monatelanger Streit über AfD-Kandidaten AfD scheitert mit Klage zur Landeszentrale für politische Bildung
Immer wieder scheitert die AfD mit Kandidaten für ein Gremium der Landeszentrale an den anderen Fraktionen im Landtag. Eine Klage dagegen wies der Verfassungsgerichtshof nun zurück.
AfD-Klage vor Verfassungsgerichtshof scheitert
Im Februar wies der Verfassungsgerichtshof Baden-Württemberg eine Klage der AfD-Fraktion im Hinblick auf die Besetzung des Kuratoriums zurück. Die AfD hatte argumentiert, durch die Ablehnung der Kandidaten werde ihr Recht auf Gleichbehandlung als parlamentarische Minderheit verletzt. Die Richter sahen das anders. In der Urteilsbegründung verwiesen sie darauf, dass das Recht auf Gleichbehandlung nicht für außerparlamentarische Gremien wie dem Kuratorium der Landeszentrale für politische Bildung gelte. Dort würden primär keine parlamentarischen Aufgaben wahrgenommen.
Fall 3: AfD-Kandidaten für Bürgermeister-Vertreter fallen durch
Die Grünen-Gemeinderätin Dorothee Granderath aus Lahr (Ortenaukreis) findet es richtig, dass in Ausschüssen eines Landtags auch gewählte AfD-Abgeordnete vertreten sind. Dort sieht sie die Chance, dass sich Vertreter der AfD auch beweisen müssen: "Sie sollen arbeiten und ihre Ideen vorstellen. Man möchte schließlich mal hören, ob sie etwas Konstruktives beizutragen haben." Ihrer Meinung nach sollte es aber keinen Freifahrtschein der AfD für alle Posten geben. Dabei denkt sie auch an ihre eigene Gemeinde.
Im Juli fielen in Lahr zwei vorgeschlagene AfD-Kandidaten für den Posten des stellvertretenden Bürgermeisters durch. Der AfD-Stadträtin Christine Amann-Vogt, die bereits zuvor im Gemeinderat saß, fehlte im zweiten Wahlgang nur eine Stimme. Die AfD ist im Gemeinderat Lahr zwar zweitstärkste Kraft. Trotzdem müssen für Amann-Vogt rein rechnerisch auch Politiker anderer Fraktionen gestimmt haben. Der Fraktionsvorsitzende der Freien Wähler, Eberhard Roth, erklärt im Gespräch mit dem SWR: "Vor der Wahl der stellvertretenden Bürgermeister war festgelegt worden, dass es künftig sechs Stellvertreter des Oberbürgermeisters gibt, damit hätte jede Fraktion einen Stellvertreter haben können." Nun stellen alle im Stadtrat vertretenen Fraktionen außer der AfD einen stellvertretenden Bürgermeister.
Grünen-Stadträtin: Vertreter der Stadt müssen "fest auf dem Boden des Grundgesetzes stehen"
Dorothee Granderath und andere Ratsmitglieder zweifeln bis heute, dass die AfD in Lahr das Rüstzeug mitbringt, das Stadtoberhaupt bei repräsentativen Anlässen zu vertreten. Jeder, der eine Stadt ehrenamtlich vertrete, müsse fest auf dem Boden des Grundgesetzes stehen, sagt die Grünen-Stadträtin. Bei Mitgliedern einer Partei, die in Teilen als rechtsextrem eingestuft und vom Verfassungsschutz beobachtet werde, sei dies nicht der Fall. "Wer als Stellvertreter des Oberbürgermeisters tätig ist, sollte allen Menschen in einer bunten Stadt wie Lahr gerecht werden und einer Partei angehören, die keine Menschen ausgrenzt", sagt Granderath. Das stellt sie bei der AfD in Frage.
Granderath, die selbst ehrenamtliche stellvertretende Bürgermeisterin ist, hatte bereits in der vergangenen Wahlperiode Erfahrungen mit AfD-Stadträten im Gemeinderat gemacht. Einige seien eher durch Nichtstun aufgefallen, einer habe lange, oft querulatorisch und selbstgefällig wirkende Reden gehalten, sagt sie. Außerdem habe der scheinbar harmlose Auftritt mancher AfD-Stadträte im Gemeinderat nicht zusammengepasst mit der Art und Weise, wie sie sich mit einschlägigen Einträgen in den Sozialen Medien präsentierten.
AfD-Stadträtin über gescheiterte Wahl: "Auch das ist Demokratie"
Dass sie den Posten der stellvertretenden Bürgermeisterin nicht bekommen hat, wertet AfD-Stadträtin Christine Amann-Vogt als persönliche Niederlage. "Mir hat nur eine Stimme gefehlt", sagt Amann-Vogt. Mit der CDU und den Freien Wählern komme sie gut aus, aber Grüne und SPD seien dagegen gewesen. "Auch das ist Demokratie. Wenn sie halt nicht möchten, dass jemand von der AfD dabei ist, dann muss ich das akzeptieren, ob es weh tut oder nicht."
Der Fall Lahr ist nicht exemplarisch, sondern nur ein Beispiel, wie sich ein Gemeindeparlament entscheiden kann. In Tuttlingen haben die Mitglieder des Gemeinderats zum Beispiel einen stellvertretenden Bürgermeister von der AfD ermöglicht.
Politologe plädiert: AfD formal gleichbehandeln
Der Politologe an der Universität Halle, Volker Best, fordert, dass überlegt werden müsse, wo man die AfD in parlamentarischen und demokratischen Ämtern integriere und wo das Risiko einfach zu hoch sei. "Wir sollten die AfD formal gleichbehandeln, soweit es keine allzu negativen Konsequenzen nach sich zieht oder diese einfach korrigiert werden können", sagt Best. Wenn eine Abwahl von AfD-Politikern aus gewissen Positionen möglich sei und nichts gegen den einzelnen Kandidaten spreche, sollte er eine Aufgabe übernehmen dürfen. Best warnt allerdings auch: "Sind größere Risiken mit einem Amt verbunden, wie zum Beispiel bei den Verfassungsgerichten, aber auch beim Landtagsvizeposten oder auch beim Kuratorium der Landeszentrale für politische Bildung, dann sollte man es lassen."
Einfallstore für Extremisten? Verfassungsorgane in BW: Was wäre bei einem Wahlerfolg der AfD?
Die Umfrage-Erfolge der AfD beschäftigen auch Verfassungsrechtler. Im Zentrum ihrer Überlegungen steht die Frage: Wie kann die Politik demokratische Institutionen stärken?
Best sieht in jedem Fall auch eine Chance darin, dass der Druck der AfD vielerorts das parteipolitische Posten-Geschacher aus der Vergangenheit stoppen kann. Es sei nicht mehr zeitgemäß, Posten wie zum Beispiel den des Parlamentspräsidenten automatisch an Vertreter der stärksten Fraktion zu geben. Es brauche Besetzungen nicht über die Fraktionszugehörigkeit, sondern über Eignung und Anerkennung, sagt Best. Hier müssten sich die Abstimmungen öffnen: "Im Prinzip müsste man sagen, jede Fraktion darf zwei Leute vorschlagen und dann wird ein Präsidium gewählt und man kann zum Beispiel beliebig viele Ja-Stimmen abgeben und derjenige der die meisten Stimmen erhält, wird der Präsident."
In den 60er und 70er Jahren sei es kein Problem gewesen zu sagen, hier gehe es um nette Posten für verdiente Parteimitglieder oder jemanden, der gerade weggelobt werden solle, meint Best. Heute brauche es andere Mechanismen. "Die Zeiten sind andere", sagt Best. Allerdings räumt der Politologe auch ein, dass die Parteien noch nicht soweit seien, die Dinge vom System her zu denken und nicht von der Partei. Bests Fazit: "Das können wir uns nicht mehr leisten, da ist das Vertrauen in die Parteien doch sehr runtergerockt."