Sowohl in Deutschland als auch in der gesamten Europäischen Union sterben immer mehr Menschen durch Drogenkonsum. In der Bundesrepublik kamen im vergangenen Jahr 1.990 Menschen durch den Missbrauch illegaler Drogen ums Leben, so die Bilanz des Drogenbeauftragten der Bundesregierung Burkhard Blienert (SPD). Das sind 164 Fälle und neun Prozent mehr als noch 2021. In Baden-Württemberg ist die Zahl der Drogentoten 2022 auf 179 Menschen gestiegen. Das sind 49 mehr als im Vorjahr, so die Landesstelle für Suchtfragen. Hauptursache waren demnach Überdosierungen oder unkontrollierter Mischkonsum. Die Dunkelziffer dürfte weit höher liegen. Viele Menschen sterben erst Jahre später an den Folgen. Legale Drogen wie Alkohol bleiben statistisch unerwähnt.
Besonders erschreckend ist die steigende Zahl der jungen Drogentoten unter 22 Jahren. Diese hat sich in den vergangenen sieben Jahren verdoppelt. Nur wenig älter war der Sohn von Heike und Raico Mohrmann. Er starb an einer Überdosis Heroin. An sein Schicksal und das der anderen Drogentoten weltweit erinnert jährlich der 26. Juni. Seit 1987 haben ihn die Vereinten Nationen zum Weltdrogentag ausgerufen.
Drogensucht ist für Angehörige eine unfassbare Belastung
Der Vater des Toten spricht mit dem SWR über den schweren Kampf, den Familienangehörige von Suchtkranken täglich ausfechten: "Man zerbricht ja fast selbst daran, weil man dem Kind nicht helfen kann. Und sieht, wie sich das Kind selbst zugrunde richtet. Das ist schwer hinzunehmen", so Rajco Mohrmann. Für die ganze Familie ist die psychische Belastung enorm: Sie müssen mitansehen, wie sich die Suchtkranken verändern, entfremden und ihnen entgleiten.
Kinder von Suchtkranken können nicht unbeschwert Kind sein
Auch die heute 18-jährige Jenny kennt das Leid, das Drogenkonsum im familiären Umfeld schafft. Jenny war acht Jahre alt, als ihre Mutter immer häufiger Alkohol konsumierte. Sie übernahm daraufhin Hausarbeiten, kochte, putzte und sorgte für ihre Mutter. "Sie hat nur noch auf der Couch gelegen und geschlafen und getrunken und geschlafen und getrunken", erinnert sich Jenny. Durch starke Entzugserscheinungen musste ihre Mutter immer wieder ins Krankenhaus. "Irgendwann gab es schon Krankenhäuser, die sie gar nicht mehr annehmen wollten", sagt Jenny. So wie ihr geht es vielen, denn aufgrund fehlender Anlaufstellen fühlen sich die Angehörigen von Suchtkranken oft allein gelassen.
Jedes fünfte Kind in Deutschland kommt aus einer psychisch und suchtbelasteten Familie. Diese traurige Statistik hebt Astrid Schmeel, Sozialarbeiterin bei "Pro Kids", einer Beratungsstelle der Caritas für Kinder und Jugendliche suchtkranker Eltern hervor. Viele dieser Kinder können nicht unbeschwert Kind sein, sagt sie. Sie müssten sich um Eltern und Geschwister kümmern. An Unterstützung mangelt es. Psychologen, Therapeutinnen und Sozialarbeiter sind oft nicht ausreichend verfügbar.
Heike Mohrmann ist Teil der Angehörigenhilfe geworden
Auch Heike Mohrmann, die Mutter des verstorbenen 22-Jährigen, wusste im ersten Moment nicht, an wen sie sich wenden sollte. Hoffnung gab ihr ein zufälliger Fund im Internet. "Ich habe wirklich nachts um halb zwei im Internet gesucht, auf dem Tablet", so Mohrmann. "Ich habe gedacht, ich brauche jetzt Hilfe, wo kann ich denn hin, wen kann ich denn fragen?" Die Elternselbsthilfe Waiblingen habe ihr dann Kraft gegeben. "Da habe ich hingeschrieben und die damalige Leiterin hat mir sofort geantwortet", so Mohrmann.
Seitdem ist sie selbst in der Angehörigenhilfe aktiv. Sie leitet eine Elterngruppe im Rems-Murr-Kreis und ist im Vorstand der baden-württembergischen Elternselbsthilfe. Die Arbeit dort sei "wahnsinnig" hilfreich. Entweder man gehe an der Situation kaputt oder werde aktiv, sagt sie.
Zusammen mit ihrem Mann hat sie sich für den zweiten Weg entschieden. Wichtig sei ihr, dass bekannt wird, dass es Hilfe gibt.
Sucht ist immer noch gesellschaftlich geächtet
Die Abhängigkeit von Drogen ist weiterhin ein Tabuthema: Familien fürchten das Gerede der Nachbarn, das Jugendamt oder die Polizei. Etwa 8.700 Selbsthilfegruppen für Suchtkranke und ihre Angehörigen gibt es aktuell in Deutschland, 715 in Baden-Württemberg. Blienert, der Drogenbeauftragte der Bundesregierung, fordert mehr professionelle Hilfe und niedrigschwellige Angebote.
Genau hier engagiert sich Heike Mohrmann. Neben ihren anderen Engagements in der Selbsthilfe leitet sie auch die "Trauer AG". In dieser können Eltern, die ihre Kinder an die Drogensucht verloren haben, Hilfe und Zuflucht finden. "Da sind wir so ziemlich die einzigen bundesweit", sagt Mohrmann.
Hilfsangebote für Kinder und Jugendliche suchtkranker Eltern sind in Deutschland und Baden-Württemberg nicht selbstverständlich. Um sie zu finden braucht es eine große Portion Glück. Dieses Glück hatte die 18-jährige Jenny. Bei "Pro Kids" fand sie eine der wenigen Anlaufstellen für ihre Situation - und auch ein zweites Zuhause.
Amphetamine, Ecstasy und Beruhigungsmittel Mein Weg aus der Drogensucht: Ein Tübinger erzählt
Er hat zehn Jahre lang Drogen konsumiert. Heute ist der 24-Jährige aus dem Raum Tübingen nicht mehr abhängig, sagt er. Dabei hatte er viele Rückschläge: Zwei Entzüge sind gescheitert.
Niederschwellige Hilfe für Betroffene gefordert
Der Paritätische Wohlfahrtsverband Baden-Württemberg fordert zur Verhinderung von Drogentodesfällen den Ausbau niederschwelliger Hilfen sowie die flächendeckende Einrichtung von Drogenkonsumräumen. Zur Sicherung der Grundversorgung müssten die Landesmittel für die Suchtberatung aufgestockt und verbindlich geregelt werden.
Um besonders junge Konsumentinnen und Konsumenten vor Schaden zu bewahren, sei die Aufklärung über die Wirkungen und Risiken von Substanzen enorm wichtig. "Um sie zu erreichen, muss in Bars und Clubs das sogenannte Drugchecking flächendeckend möglich sein. Hierbei werden Substanzen auf ihre Inhaltsstoffe untersucht. So können gefährliche Beimischungen vor der Einnahme erkannt und tödliche Auswirkungen verhindert werden", sagt Uta-Micaela Dürig, Vorständin Sozialpolitik beim Paritätischen Wohlfahrtsverband Baden-Württemberg. Wichtig sei auch der Ausbau von Drogenkonsumräumen, die die Einnahme von Substanzen unter hygienischen Bedingungen (Safer Use) ermöglichen und den Zugang zum Suchthilfesystem sicherstellen, so die Vorständin.