Ricarda Lang ist seit einem Jahr Chefin bei den Grünen - seitdem ist gefühlt keine Woche vergangen, ohne dass sie in den Schlagzeilen gelandet ist. Ihre Basis hat sie in Baden-Württemberg: Sie ist in Filderstadt (Kreis Esslingen) geboren und vertritt im Bundestag den Wahlkreis Backnang/Schwäbisch Gmünd.
SWR Aktuell: Frau Lang, sind Sie mit Vorsätzen in das Jahr 2023 gestartet?
Ricarda Lang: Wir haben im letzten Jahr unglaublich viel Krisenbewältigung gemacht, vor allem wegen dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine. Das war wichtig und das war richtig. Jetzt geht es aber darum, die strukturelleren Fragen anzugehen. Während letztes Jahr das Jahr der Krise war, muss für mich 2023 vor allem das Jahr des Klimaschutzes und der Zukunftsaufgaben werden.
SWR Aktuell: Gab es auch private Vorsätze?
Lang: Dass ich mir etwas mehr Zeit für meine Familie und private Beziehungen nehme und mich dafür im Kalender etwas besser abschotte.
SWR Aktuell: Das klingt gut. Wären Ihnen gute Vorsätze für die Herren Wissing und Lindner vielleicht lieber?
Lang: Das entscheiden die schon selbst für sich. Aber wenn wir über Klimaschutz sprechen, dann sehen wir, dass Deutschland seine Klimaziele nicht einhält, insbesondere im Verkehrsbereich. Wenn wir es aber ernst meinen mit dem Erhalt unserer natürlichen Lebensgrundlagen, dann muss jeder Bereich liefern. Und das gilt auch für den Verkehrsbereich. Was nicht geht, ist immer nur 'Nein' zu sagen. Ich finde, der Vorsatz des Verkehrsministeriums muss sein, jetzt einen Plan vorzulegen, wie es die Klimaziele einhält.
SWR Aktuell: Sie müssen doch jeden Abend schlecht einschlafen, weil Sie nicht im Ansatz die Politik machen können, die Sie eigentlich als Grüne machen wollen.
Lang: Ich schlafe gut, weil ich weiß, dass wir unser Bestes geben für dieses Land und für die Menschen in diesem Land. Und weil ich weiß, dass es zur Politik dazu gehört, das nicht nur im Wolkenkuckucksheim zu machen. Nicht nur zu sagen: Wir machen Politik für die Realität, die wir uns gewünscht haben, sondern für die Realität, die da ist. Und die ändert sich manchmal, dann muss sich auch Politik ändern.
SWR Aktuell: Wer Kommentare über grüne Politik des letzten Jahres liest, der stellt fest, dass Sie sich in der Koalition derart verbiegen müssen, Sie müssen doch schon alle fast ein Yoga-Diplom haben?
Lang: Ach, ich glaube, verbogen habe ich mich persönlich nicht und hat sich auch meine Partei nicht. Ich will mal ein Beispiel dafür nennen: Wir haben uns immer als Friedenspartei bezeichnet - das sind wir aus meiner Sicht auch. Wir haben in unserem Wahlprogramm damals geschrieben: keine Waffenlieferungen in Kriegs- und Krisengebiete - mit voller Überzeugung. Dann haben wir diesen Krieg in der Ukraine erlebt. Wir haben die Bilder aus Butscha gesehen. Wir haben gesehen, wie Menschen abgeschlachtet wurden, wie Frauen und Kinder vergewaltigt wurden. Und im dem Moment standen wir vor der Frage: Bedeutet Friedenspartei in so einer Situation wegzuschauen? Oder bedeutet es nicht, diejenigen, die sich gegen einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg verteidigen, zu unterstützen? Und wir haben gesagt: Friedenspartei heißt auch, diejenigen zu unterstützen, die das internationale Recht in dieser Situation verteidigen. Und deshalb fühle ich mich nicht so, als hätten wir uns da verbogen. Diese Forderung nach Waffenlieferungen entspricht aus meiner Sicht unseren Grundüberzeugungen und unseren Grundwerten.
SWR Aktuell: Wenn wir auf nationale Politik oder Klimapolitik schauen - wäre da Grün-Schwarz nicht viel einfacher als dreifarbig? In Baden-Württemberg klappt es doch nicht schlecht.
Lang: Das stimmt. Ich glaube, in Baden Württemberg haben wir es gerade bei den letzten Wahlen, natürlich auch beim dritten Wahlsieg von Winfried Kretschmann, hinbekommen, dass es ein gewisses Umdenken bei der Union gab. Jetzt ist wirklich viel umsetzbar, mit dem Klimaschutzgesetz, mit der Solarpanelpflicht. Das liegt aber auch daran, dass die Regierung von den Grünen und von Winfried Kretschmann angeführt wird.
SWR Aktuell: Ist es für Ihren Wahlkreis Backnang/Schwäbisch Gmünd eigentlich gut oder schlecht, dass sie Chefin der Grünen sind?
Lang: Das ist gut für den Wahlkreis, weil es einen direkten Draht in die Bundesregierung und in die Regierungspartei gibt. Das wird von Landräten, von Oberbürgermeistern, aber auch von Bürgerinnen und Bürgern, sowie von Unternehmen auch genutzt.
SWR Aktuell: Aber Pressemitteilungen von Ihnen für die Region gibt es jetzt nicht so viele.
Lang: Ich glaube, es ist klar, dass natürlich bei mir als Bundesvorsitzende bei der Pressearbeit der Fokus sehr stark auf den bundesweiten Themen liegt. Aber ich nehme mir vor allem Zeit, im Wahlkreis vor Ort zu sein. Darum geht es ja vor allem: Hat man ein offenes Ohr für die Belange vor Ort? Ist man erreichbar für die Menschen vor Ort? Das ist ganz klar mein Vorsatz und ich glaube, den halten wir auch ein.
SWR Aktuell: Kaum eine Politikerin wird im Netz so angefeindet wie Sie. Prallt das gänzlich an Ihnen ab?
Lang: Mittlerweile beschäftige mich damit ehrlich gesagt kaum noch. Am Anfang hat mich das sehr umgetrieben, weil niemand nur Maschine oder Roboter in der Politik ist. Wir sind alle auch Menschen - und als Menschen macht das natürlich etwas mit einem, wenn man teilweise beschämende Beleidigungen oder Gewalt bis hin zu Mordandrohungen bekommt. Irgendwann habe ich mich dazu entschieden, mich damit kaum noch zu beschäftigen, denn ich will eigentlich denjenigen, die Morddrohungen schreiben, die Vergewaltigungsdrohungen schreiben, nicht meine Zeit schenken.
SWR Aktuell: Viele haben das Gefühl, dass sie die grüne Politik bevormundet. Auch der Bundestag repräsentiert die Bevölkerung gar nicht mehr, weil da zum Beispiel ganz viele Juristen sitzen und kaum Handwerker oder Menschen, die in der Pflege arbeiten. Ist denn unsere Demokratie in der Form, wie sie gerade besteht, aus Ihrer Sicht noch zeitgemäß und vor allem auch zukunftsfähig?
Lang: Ich finde unsere Demokratie nicht nur zeitgemäß, ich finde, sie ist ein riesengroßer Schatz. Wir sehen gerade die Menschen in der Ukraine: Wofür kämpfen die? Für die Demokratie. Die Frauen im Iran: Wofür gehen die auf die Straße? Für Freiheit und Demokratie. Aber das stellt uns auch vor die Aufgabe und vor die Verpflichtung, diesen Schatz zu pflegen und ihn auch immer wieder besser zu machen. Und dabei haben wir tatsächlich Lücken - Sie haben gerade eine angesprochen. Im Bundestag sitzen so gut wie keine Handwerker, wenig Menschen, die eine Ausbildung gemacht haben. Dabei sind das doch gerade die Menschen, die wir brauchen, wenn wir über Fachkräftemangel sprechen und ökologische Transformation, Ausbau der erneuerbaren Energien. Und diese Leute sollten auch mitreden, wenn Entscheidungen getroffen werden.