Carola W. aus Waldstetten im Kreis Günzburg pflegt seit Jahren ihre demente Mutter Trudi. Manchmal schreit die 89-Jährige und ihre Tochter weiß dann nicht immer, warum. Hat die Mutter Schmerzen? Was tut ihr weh? Der Körper oder die Seele? Aber Carola W. hat einen Weg gefunden, ihrer Mutter zu helfen. Was sie dabei erlebt, veröffentlicht sie in einem Blog bei Facebook.
Vor zehn Jahren wurde die Mutter von Carola W. langsam dement. Mittlerweile liegt sie fast nur noch im Bett - daheim bei ihrer Tochter in Waldstetten. Das Bett steht im Wohnzimmer, die Sonne bescheint sie. Es gibt Tage, an denen Trudi gar nicht aufwacht. Tochter Carola pflegt sie rund um die Uhr. In den Urlaub fährt sie nicht mehr, Freundinnen besucht sie nicht mehr. Wenn, dann kommen sie zu ihr.
Musik beruhigt die dementkranke Mutter
Trudi schaut aus ihrem Bett zufrieden auf einen Flachbildschirm. Dort wechseln zu sanfter Musik Bilder von üppigen Blumenwiesen, von Wellen, die an Klippen brechen, von Pferden auf der Koppel. Ihre Tochter Carola hat gelernt: Musik beruhigt ihre Mutter, auch in schwierigen Situationen. Die Tochter erzählt: "Das Umkleiden war immer so ein Knackpunkt, da hat es oft Konflikte gegeben. Dann habe ich angefangen, Musik dazu laufen zu lassen. Da war es schon 50 Prozent besser."
Demenz: Widerspenstigkeit auch als Ausdruck von Frust
Widerspenstigkeit, Aggressionen - viele Angehörige von dementen Menschen kennen das. Doch beide Verhaltensweisen seien Ausdruck von Frust, sagt Monika Weber vom Raphael Hospiz Verein Günzburg. Frust sei eine der vielen Arten von Schmerz eines Demenzkranken. Schon ein schlecht sitzendes Gebiss könne Auslöser sein.
Zum Beispiel kann es sein, dass sich Betroffene ausgegrenzt und unverstanden fühlen. Carola W. sagt, ihre Mutter habe dieser Schmerz am Anfang der Demenz "fast zerrissen". Aber die Tochter erinnert sich an andere Momente und lacht: "Als sie noch herumgelaufen ist, ist sie oft bei mir in der Küche gestanden und hat in der Schüssel gerührt. Eine halbe Minute - dann ist sie wieder davongetigert. Aber sie wollte mir halt immer helfen."
Ihre Haustür hat Carola W. inzwischen mit einem Vorhang verhängt. Ihre Mutter war zweimal davongelaufen. "Einmal ging sie mit dem Wäschekorb die Treppe runter. Sie wollte in die Waschküche; sie wollte mir helfen, Wäsche zu machen."
Die Tochter gab der Mutter ein Kartenspiel, das sie am Tisch hin und herschieben konnte, als eine Art Arbeit. Vielen Demenzkranken kommt irgendwann auch die Sprache abhanden. Sie können nicht mehr erklären, warum sie weinen. Bei Trudi war's genauso.
Monika Weber vom Hospiz in Günzburg empfiehlt allen Angehörigen, die im Internet frei verfügbaren Beobachtungsbögen der Deutschen Alzheimer Gesellschaft zu nutzen. Darin können Angehörige jeden Tag notieren, ob der Demenzkranke etwa eine Schonhaltung einnimmt, wie er oder sie isst, wie er oder sie atmet, wie die Bewegungen sind, ob der oder die Erkrankte sich trösten lässt.
Manchmal hilft Trudi bei Schmerzen Morphium, oft aber auch eine Puppe, um die sie sich kümmern kann. Carola W. ahnt, dass sich Trudi dann an ihre Geschwister erinnert. Sie war die Zweitälteste von 13 Kindern. Sie mussten aus dem Sudetenland fliehen - und Trudi musste sich mit um ihre kleinen Geschwister kümmern.
Monika Weber rät allen Angehörigen von Demenzkranken, möglichst die Anfangsphase der Demenz noch zu nutzen, für Fragen zur Biografie. Dies könne später Gold wert sein. Sie erzählt von einer Frau im Altersheim, die sich morgens immer ihre Semmeln eingepackt habe. Es stellte sich heraus: Die Frau hatte im Krieg mit ihrer Familie Hunger gelitten. "In einem Schrank sammelte sie die Semmeln für ihre Kinder. Damit sie etwas zu essen hatten. Das konnte man ihr nicht ausreden." Eine seelische Not. Um solche dahinter steckenden Bedürfnisse zu erkennen, müsse man manchmal detektivisch vorgehen, so Weber.