Mit eingeschaltetem Blaulicht fährt ein Rettungswagen auf einer Straße. Die Landesregierung in Baden-Württemberg muss die Hilfsfrist für Rettungsdienste neu regeln. Bisher sei das noch nicht passiert, meinen Richter.

Ärztliche Hilfe in Randzeiten

Praxen in Südbaden geschlossen: Notfallversorgung am Limit

Stand
Autor/in
Petra Jehle
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Die hausärztliche Versorgung am Wochenende und in den Randzeiten hat sich durch die Schließung der Notfallpraxen in Bad Säckingen und Schopfheim verschlechtert. Das hat Folgen.

Nach der Schließung der Notfallpraxen in Bad Säckingen (Kreis Waldshut) und Schopfheim (Kreis Lörrach) Ende Oktober geraten die Notaufnahmen der Krankenhäuser in beiden Landkreisen langsam an ihre Grenzen. Auch die Rettungsdienste spüren dies, sie haben mehr zu tun.

Wer also wegen starker Beschwerden am Wochenende oder am späten Abend einen Arzt oder eine Ärztin braucht, muss sich in den beiden Landkreisen auf lange Wartezeiten einstellen. 

Das Wort Katastrophe beschreibt nicht annähernd, was da auf uns zurollt.

Weil offenbar immer mehr Menschen an den verbliebenen Notfallpraxen vorbei den Notruf wählen oder in die Notaufnahme der Krankenhäuser gehen, geraten die jetzt immer weiter an ihre Kapazitätsgrenzen. Hans-Peter Schlaudt, der Geschäftsführer des Hochrheinklinikums in Waldshut-Tiengen, kann nur schlecht prognostizieren, wie sich die Situation entwickeln wird. Das Wort Katastrophe beschreibe aber nicht mal annähernd das, was da auf das Klinikum zukomme.

Die Patientenzahlen seien auf Rekordniveau, sagt Samuel Hemmerling, Lörracher Notarzt und Chefarzt der Klinik für Akut- und Notfallmedizin im Krankenhaus Lörrach. Das Hochrheinklinikum im Nachbarlandkreis Waldshut registriert seit der Schließung der hausärztlichen Notfallpraxis in Bad Säckingen eine Zunahme der Patientenzahlen um elf Prozent. Dort schätzt man, dass jeder vierte Patient davon eigentlich ein Fall für die Notfallpraxis, also den Hausarzt gewesen wäre.

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Zu wenig Ärzte und schlechte Erreichbarkeit?

Das Problem: immer mehr Menschen wählen offenbar die 112 oder gehen direkt in die Notaufnahme, wenn sie Beschwerden haben, statt wie vorgesehen die Nummer des Patientenservice 116 117 zu wählen oder direkt die nächste Notfallpraxis aufzusuchen. Die Gründe sind unterschiedlich: Notarzt Samuel Hemmerling erlebt, dass viele Menschen keine Termine bei einem Hausarzt oder Facharzt bekommen und deshalb in die Notaufnahme kommen. Peter Hofmeister, der im Landkreis Waldshut als Leiter des Bereichsausschusses den Rettungsdienst organisiert, beobachtet, dass sich die Erreichbarkeit der Notarztpraxen in den letzten Jahren immer weiter verschlechtert hat. Seit die 116 117 über ein zentrales Callcenter laufe, sei die Erreichbarkeit deutlich gesunken.

Diese Entwicklung bringt auch das Rettungssystem an seine Kapazitätsgrenzen: wenn die Sanitäter und Sanitäterinnen mit dem Rettungswagen an die überfüllten Notaufnahmen fahren, dauere es immer länger, bis sie die Patienten dort übergeben könnten und der Rettungswagen wieder für den nächsten Einsatz frei werde. Früher habe man mit etwa 20 Minuten für eine Übergabe rechnen müssen, sagt Peter Hofmeister. Jetzt würde das öfters mal eine Stunde oder eineinhalb dauern. Erst dann stünde der Rettungswagen wieder zur Verfügung.

Wird die Verantwortung abgeschoben?

Bei der Kassenärztlichen Vereinigung Baden-Württemberg, KVBW, wird diese Kritik zurückgewiesen. Die Schließung von landesweit acht von über 100 Notfallpraxen habe bislang nicht zu einer Überlastung der Notaufnahmen geführt, sagt KVBW-Sprecher Kai Sonntag im Interview mit dem SWR. Dafür habe die KVBW keine Hinweise und dies sei auch nicht plausibel, denn die Notfallpraxen würden auf gleichem Niveau weiterarbeiten und die Patientenzahl sei nicht gesunken. Die Standorte, die nun geschlossen worden seien, seien diejenigen mit dem geringsten Patientenaufkommen gewesen, argumentiert er.

Unterschiedliche Reaktionen bei den Hausärzten

Hausärzte in Südbaden bewerten die Schließung der Notfallpraxen in Schopfheim und Bad Säckingen unterschiedlich. Die Notfallpraxen wurden von der Kassenärztlichen Vereinigung im Jahr 2014 eingerichtet. Sie sind zentrale Anlaufstelle für die Versorgung von Patientinnen und Patienten außerhalb der Sprechzeiten. Die Kassenärzte sind gesetzlich verpflichtet, die Versorgung auch außerhalb der Dienstzeiten sicherzustellen. Die Notfallpraxen werden über Mitgliedsbeiträge von den Kassenärzten finanziert.

Allgemeinmediziner Karlheinz Bayer aus St. Peterstal-Griesbach (Ortenaukreis) hält das System der Notfallpraxen für zu teuer, überflüssig und nicht bedarfsgerecht. Seine Kollegin Barbara Bohl aus Grafenhausen (Kreis Waldshut) befürwortet das zentrale Modell. Vor allem weil es auf dem Land immer weniger Ärztinnen und Ärzte gibt, die die Wochenendbereitschaften übernehmen müssten. Dies bedeute oftmals im Sommer durchgehend Bereitschaft zu haben. Das schrecke viele ab.

Vier bis sechs Wochen Bereitschaft am Stück im Sommer. Das ist auch abschreckend.

Neues Konzept für die Notfallpraxen

Die Kassenärztliche Vereinigung Baden-Württemberg will möglichst schnell ein neues Konzept für Notfallpraxen aufstellen. Es soll im ersten Halbjahr 2024 Schritt für Schritt umgesetzt werden. Details dazu werden noch nicht genannt. Dass die acht geschlossenen Notfallpraxen wieder geöffnet werden könnten, gilt als äußerst unwahrscheinlich. Vielmehr muss damit gerechnet werden, dass sich die KVBW auf die wichtigsten Standorte konzentrieren wird. Im Raum stehen mehrere Vorschläge: Dazu gehört die Forderung, dass die Patientenströme an den Kliniken besser gelenkt werden, um die Notaufnahmen zu entlasten. Auch eine stärkere, vorhergehende telefonische Beratung und der Einsatz telemedizinischer Behandlung sollen Entlastung bringen.

Gebäude des Hochrheinklinikums in Waldshut
Die Ärztinnen und Ärzte am Hochrheinklinikum sollen einen Teil der ambulanten Versorgung übernehmen.

Kreise fordern grundlegenden Systemwechsel

Die Lörracher Landrätin Marion Dammann (parteilos) und der Waldshuter Landrat Martin Kistler (parteilos) fordern einen grundlegenden Systemwechsel in der Patientenversorgung im Ländlichen Raum. Durch sogenannte "Institutsermächtigungen" für die Fachabteilungen ihrer Krankenhäuser könnte aus ihrer Sicht die Versorgung verbessert und die Notaufnahmen entlastet werden. Die bisherige Trennung in Kliniken, die ausschließlich für die stationäre und Kassenärzte, die nur für die ambulante Versorgung zuständig sind, passe angesichts der Mangellage nicht mehr in die Realität. Sie schlagen vor, dass die Ärzte in den Kliniken künftig auch ambulant tätig sein dürfen, beispielsweise in medizinischen Versorgungszentren oder Praxen.

Hohe Anspruchshaltung der Patienten

Hausärzte, Rettungsdienste und Notärzte sprechen allerdings auch von einer überhöhten Anspruchshaltung einiger Patienten. Nicht jede Erkältung sei lebensbedrohlich und müsse deshalb dringend noch sofort in der Nacht oder am Wochenende behandelt werden, sind sie sich einig.

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