Aufenthaltsrecht: Paragrafen passen nicht zu Bedürfnissen

Ukrainischen Servicekräften in Hinterzarten droht Abschiebung

Stand
Autor/in
Paula Kersten & Damian Correa
Onlinefassung
Ulrike Liszkowski

In einem Hotel in Hinterzarten arbeiten seit Juli zwei Ukrainerinnen. Ihr Arbeitgeber lobt sie in den höchsten Tönen. Aber die Ausländerbehörde verlangt, dass sie wieder ausreisen.

Die beiden 20-jährigen ukrainischen Frauen lieben ihre Arbeit im Hotel Bergfried in Hinterzarten. Yelyzaveta Komyshanska, kurz Liza, und Daria Tkachenko eilen geschäftig durch den Frühstücksraum, sammeln Geschirr ein, richten zwischendurch ein freundliches Wort an die Gäste. Sie stammen aus der Ostukraine, Liza aus Charkiw, nahe der russischen Grenze, wo der Krieg besonders schlimm ist; Daria kommt aus Krementschuk in der Zentralukraine.

"Ich bin ständig nervös. Meine Familie ist noch in der Ukraine. Ich bin hier in Sicherheit. Aber meine Familie nicht."

Die jungen Frauen aus der Ukraine sind dankbar, dass sie in Hinterzarten gute Arbeit und gute Arbeitgeber gefunden haben, Menschen, die sie unterstützen. Aber auch die Geschäftsführerin des Hotels, Myriam Erfurth, ist froh, diese beiden engagierten Mitarbeiterinnen gefunden zu haben, gerade auch angesichts der großen Personalnot in der Gastronomie und Hotellerie. Doch sie muss dafür kämpfen, dass ihre ukrainischen Servicekräfte bleiben dürfen.

Bei Kriegsbeginn vorübergehend zum Studium in der Slowakei

Denn die Ausländerbehörde im Landkreis Breisgau-Hochschwarzwald will den beiden Ukrainerinnen keine Aufenthaltserlaubnis erteilen und droht sogar mit Abschiebung in die Slowakei. Denn dort waren Daria und Liza zum Studium, als der Krieg in der Ukraine ausbrach.

"Wir beabsichtigen, ihren Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis abzulehnen, sie zur Ausreise aufzufordern und ihnen gleichzeitig die Abschiebung in die Slowakei anzudrohen, falls Sie nicht bereit sind, das Bundesgebiet freiwillig zu verlassen."

Die beiden Freundinnen haben in der Slowakei Wirtschaft und Tourismusmanagement studiert. In Hinterzarten wollten sie erste Erfahrungen in der Hotelbranche sammeln. Das steht jetzt auf dem Spiel.

Arbeit und Anschluss in Hinterzarten - keine Stelle in der Slowakei

Die beiden Ukrainerinnen sind zunehmend verzweifelt. Ihr Aufenthaltstitel in der Slowakei ist Ende August abgelaufen. Sie hätten dort zwar die Möglichkeit, eine neue Aufenthaltsgenehmigung zu bekommen, aber dort stünden sie vor dem Nichts. Sie möchten daher unbedingt in Hinterzarten bleiben, wo sie Arbeit, Unterkunft und Unterstützung haben.

"Ich bin sehr beunruhigt. Wir müssen hier bleiben. Ich mag diesen Job. Und das Wichtigste, die Menschen um uns herum, mit denen wir arbeiten, gefallen mir."

Wie eindeutig ist die Rechtslage zum Aufenthaltsrecht in der EU?

Klar ist: In die Ukraine, ins Kriegsgebiet, dürfen die beiden nicht abgeschoben werden. Und klar ist auch: Alle, die wegen des Kriegs aus der Ukraine geflüchtet sind, sollen in der EU Schutz finden.

Das Landratsamt Breisgau-Hochschwarzwald argumentiert, dass die beiden Ukrainerinnen bei Kriegsausbruch im Februar schon eine Aufenthaltserlaubnis in einem anderen EU-Land hatten, nämlich in der Slowakei, die damit für sie zuständig sei. Einen Ermessensspielraum habe das Landratsamt da nicht.

Doch es gibt auch Anwälte, die den Rechtsrahmen weiter auslegen. Wer vorübergehend im Ausland ist - zu Besuch oder zum Studium, argumentieren sie, hat seinen Wohnsitz im Heimatland damit nicht unbedingt aufgegeben.

"Manche Anwälte sagen: Es könnte ausreichen, wenn die Geflüchteten zum fraglichen Zeitpunkt noch in der Ukraine gemeldet waren. Dazu müsste man aber erstmal genau feststellen, wie die Situation im konkreten Fall überhaupt war. Und im Zweifel, falls die Behörden das anders sehen, schauen, was die Gerichte dazu sagen."

In Hinterzarten hoffen sie auf eine gute Lösung für alle

Noch haben Liza Komyshanska und Daria Tkachenko Hoffnung. Und die will auch ihre Arbeitgeberin Myriam Erfurth nicht aufgeben. Sie hat Politiker angeschrieben und Widerspruch beim Landratsamt eingelegt - das Widerspruchverfahren läuft noch. Gleichzeitig steht sie in engem Kontakt mit Lizas Mutter im umkämpften Charkiw:

"Das treibt einem wirklich auch die Tränen in die Augen, es macht einem eine Gänsehaut. Das ist unvorstellbar. Die sitzen dort und haben Angst um ihre Kinder, dass sie hier nicht bleiben dürfen, und wir können sie brauchen, und es geht uns so gut hier, das ist schlimm."

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