Überbordende Bürokratie beklagen viele Unternehmen in Deutschland.

Neue EU-Verordnung für Medizinprodukte

Bürokratie in Unternehmen: Was KLS Martin in Freiburg belastet

Stand
Autor/in
Stephanie Geißler
Onlinefassung
Jutta Kaiser
Bild von Jutta Kaiser aus der SWR-Wirtschaftsredaktion.

Ein Medizingerätehersteller muss Produkte, die längst auf dem Markt sind, neu lizensieren lassen. Hintergrund ist eine geänderte EU-Verordnung.

Energiepreise, Fachkräftemangel, geopolitische Probleme - die Wirtschaft steht vor vielen Herausforderungen - aber ein großes Ärgernis ist eine überbordende Bürokratie: Das finden 93 Prozent der mittelständischen Firmen in Deutschland, wie aus einer Umfrage des Mittelstandsverbunds hervorgeht. Was das konkret bedeutet, lässt sich am Beispiel des Medizingeräteherstellers KLS Martin in Freiburg erklären.

Der Standort Freiburg des Medizingeräteherstellers KLS Martin.
Der Standort Freiburg des Medizingeräteherstellers KLS Martin.

Benedikt Hofmeier - 35 Jahre alt, sportlich, dynamisch - steht im Archiv vor zahlreichen Aktenordnern, sucht einen heraus und blättert ihn durch: Es handelt sich um eine alte Produkt-Akte - 500 Seiten Dokumentation für ein einziges medizinisches Lasergerät. In dem Ordner sind sämtliche Tests und Nachweise zu Sicherheit, Lebensdauer, klinische Daten und vieles mehr abgeheftet.

Mittlerweile sind solche Akten komplett digitalisiert - der Ordner zeigt aber, wie aufwändig die Dokumentation für jedes einzelne Produkt ist. Bürokratie hat es bei sensiblen Produkten schon immer gegeben, sagt Benedikt Hofmeier, der eigentlich brennt für sein Fachgebiet - und das ist alles, was mit Dokumentationen und Lizenzen zu tun hat. Doch die neue EU-Verordnung "Medical Device Regulation" sprenge den Rahmen.

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Unternehmen spricht von Überregulierung

Die neue EU-Verordnung für Medizinprodukte verlangt unter anderem, dass sämtliche Produkte, die schon seit Jahren auf dem Markt sind, erneut lizenziert werden - dass also die Tests und Nachweise aus dem 500 Seiten dicken Ordner neu erbracht werden müssen.

Anlass für die Neuregelung war der Skandal mit französischen Brustimplantaten vor einigen Jahren - die entpuppten sich fatalerweise als undicht und so wollte man in Brüssel mit schärferen Vorgaben für mehr Patientinnen-Sicherheit sorgen. Aus Sicht der Unternehmen: Thema verfehlt - denn unterm Strich bedeutet das vor allem mehr als doppelt so viel Verwaltungsaufwand - sagt auch der Geschäftsführende Direktor des Unternehmens, Michael Martin, der am Hauptstandort in Tuttlingen sitzt.

"Wir haben 16.000 verschiedene chirurgische Instrumente im Unternehmen. Da können Sie sich vorstellen, was das für ein Aufwand war."

Hoher Verwaltungsaufwand bedeutet auch hohe Kosten

Und teuer wird es noch dazu: Die Bürokratie aufgrund der EU-Verordnung hat das Unternehmen etwa fünf Prozent seines Jahresumsatzes gekostet - rund 40 Millionen Euro. Das Personal im entsprechenden Bereich wurde seit 2010 mehr als verdoppelt - 45 Mitarbeiter kümmern sich heute ausschließlich um Bürokratie und Lizenzen.

Das liegt auch daran, dass das Unternehmen gewachsen ist - und dennoch: Der Verwaltungsaufwand nehme seit Jahren exponentiell zu: Nachhaltigkeitsbericht, Lieferkettengesetz, Datenschutzgrundverordnung - ganz abgesehen von der Bürokratie rund um das Thema Bauen, das hierzulande schon immer zeitintensiv war.

Im April vergangenen Jahr hat die Firma einen Bauantrag für Tuttlingen und einen für Jacksonville in den USA eingereicht - in den USA habe man mittlerweile mit dem Bauen begonnen, in Tuttlingen liege noch nicht einmal die Baugenehmigung vor: In Deutschland sei eine Insektenzählung nötig, sagt Michael Martin. Insektenschutz habe selbstredend seine Berechtigung. Bei der neuen EU-Medizinprodukte-Verordnung drohten aber ernste Konsequenzen für den Standort Deutschland.

Wegen Bürokratie: KLS Martin hat 2.000 Produkte vom Markt genommen

Zum einen habe man - wegen der teuren Nachlizensierung - bereits 2.000 chirurgische Instrumente vom Markt genommen, weil sich der Aufwand wirtschaftlich einfach nicht mehr gelohnt habe. Und zum anderen komme hinzu, dass die Prüfstellen in Deutschland seit der neuen Verordnung nicht mehr mit den Genehmigungen hinterher kämen. Unternehmen wie KLS Martin müssten sich nach Alternativen umschauen.

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