Die Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung (ADHS) war lange Zeit als Kinderkrankheit bekannt. Doch mittlerweile weiß man, dass auch Erwachsene diese Krankheit haben können. Bei Frauen wird sie oft sogar erst im Erwachsenenalter festgestellt - und nicht schon im Kindesalter, wie es meist bei Jungen der Fall ist. So wie bei Luise Lehnard aus Freiburg.
Der komplette Fernsehbeitrag zum Nachschauen:
ADHS-Symptome als Charakterzüge abgetan
Sich auf mehrere Dinge gleichzeitig zu konzentrieren fällt Luise Lehnard schwer. Sich nur auf eine Sache zu konzentrieren aber auch. Die Freiburger Studentin hat ADHS. "Man kann sich das vorstellen wie wenn man in einer Straßenbahn sitzt und alle laut durcheinander reden. Nur, dass es im eigenen Kopf ist und dass es die eigenen Gedanken sind", sagt die 23-Jährige.
Die Diagnose ADHS hat sie erst mit 21 Jahren bekommen. Und auch nur, weil sie aus eigenem Antrieb zum Arzt gegangen ist. Ihr Umfeld signalisierte ihr immer, dass sie nichts habe, dass das halt ihr Charakter sei. Doch Luise Lehnard merkte, dass sie irgendwie anders ist. Sie ist sehr verträumt und oft unkonzentriert. Außerdem hatte sie schon unzählige Hobbys und immer wieder abgebrochen. Hyperfokus nennt sich das ADHS-Symptom. Sich urplötzlich für eine Thematik interessieren, alles darüber lernen und dann genauso schnell das Interesse daran wieder verlieren.
Späte Diagnose kann belastend sein
Vor der Diagnose hat sie sich benachteiligt gefühlt. Sie wusste nicht, was mit ihr los ist. Dachte oft, dass die anderen sie für dumm halten. Seit klar ist, was sie hat, ist sie erleichtert. Die Symptome sind nicht Teil ihres Charakters, sondern Teil der Krankheit. Und sie kann nun Medikamente nehmen, durch die sie sich besser konzentrieren kann.
Sie ist aber auch etwas verärgert: Mit einer früheren Diagnose hätte für sie vieles einfacher sein können. "Gerade meine Schulzeit hätte anders verlaufen können, hätte man einfach früher gemerkt, dass ich ADHS habe", sagt Luise Lehnard.
Der Fall durchs Raster: Frauen seltener mit ADHS diagnostiziert
Swantje Matthies ist Oberärztin für Psychiatrie und Psychotherapie an der Uniklinik in Freiburg. Sie erklärt, dass ADHS lange Zeit als Kinderkrankheit abgestempelt wurde, die vor allem Jungs betreffe. Seit etwa 30 Jahren werde die Krankheit auch bei Erwachsenen erforscht. Und erst seit zehn Jahren beschäftige sich die Forschung mit an ADHS erkrankten Frauen.
Wieso die Krankheit bei Mädchen später als bei Jungen erkannt wird? Weil ADHS durch den lauten und aufgedrehten Jungen verkörpert ist, den Zappelphilipp, der den Unterricht stört. Mädchen haben aber andere Symptome - und die werden von der Gesellschaft oft nicht als solche wahrgenommen. Mädchen seien eher Tagträumerinnen und hätten mehr Symptome aus dem Bereich der Unaufmerksamkeit, sagt Swantje Matthies. "Mädchen neigen möglicherweise dazu, die Symptomatik zu kontrollieren, weil ADHS-typisches Verhalten, wie stören oder laut sein, in der Regel bei Mädchen negativer bewertet werden als bei Jungs", so Matthies.
Wenn ADHS unerkannt bleibt
Die Symptome lassen sich zwar behandeln, doch heilbar ist ADHS nicht. Bleibt die Krankheit unerkannt, wie das bei einigen Frauen der Fall ist, kann das fatale Folgen haben. Das tägliche Leben zu bewältigen kann zur unlösbaren Aufgabe werden. Das könne zu Depressionen oder anderen Folgeerkrankungen führen, sagt Oberärztin Swantje Matthies.
ADHS kann auch Vorteile haben
Neben all den Nachteilen und Einschränkungen habe die Krankheit aber auch ein paar Vorteile, wie Matthies betont. Und das gilt für alle Geschlechter. Auch Luise Lehnard erzählt von ihrem großen Einfühlungsvermögen und vor allem dem Hyperfokus. Sie könne sich zehn Stunden lang mit nur einem Thema befassen, beispielsweise einer Hausarbeit - sofern sie das Thema wirklich interessiert. "Ob das gesund ist, ist wieder ein anderes Thema", sagt sie lachend.