Weg vom reinen Einkaufserlebnis

Wie sich Innenstädte nach Signa-Pleite und Galeria-Insolvenz entwickeln können

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Kerstin Rudat
Kerstin Rudat

Mit der Signa-Pleite und dem Aus für viele Kaufhof-Filialen verändern sich die Innenstädte, etwa in Esslingen und Stuttgart. Aber was kann kommen, wenn Einkaufen nicht mehr im Vordergrund steht?

Im Januar haben die Filialen von Galeria Karstadt Kaufhof in Esslingen und Stuttgart in der Eberhardstraße endgültig geschlossen. Die beiden Warenhäuser gehören zu den bundesweit 52 Standorten, deren Schließung im März 2023 beschlossen worden war. Was passiert jetzt mit den großen Gebäuden? Und wie gehen Kommunen mit der Herausforderung um, ihre Innenstädte umzugestalten, wenn das Konzept Kaufhaus ausgedient hat und das Einkaufserlebnis nicht mehr über die Attraktivität einer Stadt entscheidet?

Vorkaufsrecht für Kaufhof Eberhardstraße rechtzeitig ausgeübt

In Stuttgart gehört das ehemalige Kaufhof-Gebäude in der Eberhardstraße seit dem 1. Februar wieder der Stadt. Die Stadt Stuttgart hatte bereits 2020 ihr Vorkaufsrecht für das Warenhaus samt Parkhaus ausgeübt - noch bevor das endgültige Aus für die Filiale klar war und damit auch lange vor der Insolvenz der Signa-Gruppe von René Benko. Die Signa als Eigentümerin hatte dagegen geklagt, es folgten lange Verhandlungen. Im März vergangenen Jahres hatte die Signa dann ihre Pläne mit dem Gebäude verworfen und den Weg für die Stadt freigemacht.

Darüber herrscht jetzt Erleichterung. Es zeige sich, dass es richtig war, dass sich der ehemalige Oberbürgermeister Fritz Kuhn (Grüne) dafür eingesetzt hat, das Vorkaufsrecht auszuüben, sagen die beiden Fraktionsvorsitzenden der Grünen im Gemeinderat, Petra Rühle und Björn Peterhoff. "Im Nachhinein sehen wir auch, dass OB Frank Nopper und die Mehrheit im Rat Benko und Signa beinahe auf den Leim gegangen wären", so Rühle. "Zum Glück nahm es ein gutes Ende für Stuttgart."

Zwischennutzung für zwei oder drei Jahre

Zum ehemaligen Kaufhof Eberhardstraße gehört auch das Parkhaus an der Steinstraße. Insofern geht es um die Zukunft von zwei Standorten. Jetzt soll im Gemeinderat möglichst schnell über Konzepte entschieden werden, erst einmal für eine möglichst vielfältige Zwischennutzung von zwei Jahren, dann für die Zeit danach. Wahrscheinlich ist, dass das Parkhaus abgerissen wird. Bis zum Abriss hat die Grünen-Fraktion im Gemeinderat schon eine Idee, was man machen könnte und einen entsprechenden Antrag gestellt: Begrünung. Auch die CDU-Fraktion ist Fan dieser Idee.

Im Januar schloss Kaufhof Galeria Karstadt in der Eberhardstraße für immer. (Archivbild)
Im Januar schloss Kaufhof Galeria Karstadt in der Eberhardstraße für immer. (Archivbild)

Stuttgarts Oberbürgermeister Frank Nopper (CDU) sieht sogar eine Zwischennutzungszeit von drei Jahren. "In Frage kommen etwa ein Science-Center als Ort, der Begeisterung für Technik und MINT-Berufe schafft. Und Start-ups - gerade auch aus dem Bereich Einzelhandel", so Nopper. Art, Umfang und Vergabe der Nutzung sollen in den nächsten Wochen in den zuständigen gemeinderätlichen Gremien erörtert werden.

Endlich ein "Haus der Kulturen" für alle?

Für die dauerhafte Nutzung kristallisiert sich jetzt auch deutlich eine Idee heraus, und zwar eine, von der die Stadtgesellschaft möglichst breit profitieren soll: Nach jahrelangen Diskussionen um ein "Haus der Kulturen" in Stuttgart inklusive Bürgerbeteiligung wünschen sich fast alle Fraktionen im Gemeinderat diese Institution im ehemaligen Kaufhof-Gebäude. Fraktionsübergreifend liegt hier bereits ein Antrag von Grünen, Fraktionsgemeinschaft PULS und Die FrAKTION LINKE SÖS PIRATEN Tierschutzpartei vor. Auch die SPD will, dass jetzt schnell weitergeplant wird und hat einen Antrag im Gemeinderat gestellt. Die Fraktion mahnt, dass im Zuge des Gesamtprojekts dringend bezahlbarer Wohnraum in der Innenstadt entstehen muss.

Innenstadt-Erlebnis jenseits von Einkaufen wird wichtiger

Klar werde das alles ziemlich teuer, so CDU-Fraktionschef Alexander Kotz. "Aber damit investiert die Stadt Stuttgart in die Zukunft und in ein eigenes Gebäude." Jenseits der großen Warenhäuser müssten die Kommunen jetzt zunehmend umdenken. "Wir müssen wegkommen vom reinen Einkaufen und nur Einzelhandelsflächen", sagt Kotz. Dass Kommunen einspringen und Gebäude zurückkaufen, das werde wohl in Zukunft öfter vorkommen, und das sei auch gut so, meint auch Grünen-Stadtrat Peterhoff: "Die Kommunen werden künftig aktiv mitgestalten müssen, um die Innenstädte weiter attraktiv zu halten. Hierbei geht es auch um eine Transformation hin zu mehr Kultur, Gastro und weiteren Nutzungen neben dem bewährten Einzelhandel, der sich auch weiterentwickeln und verändern wird."

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Und auch Zwischennutzungen, um die Belebung für Übergangszeiträume zu ermöglichen, müssten künftig aktiv von Stuttgart angegangen werden, so Peterhoff. Voraussetzungen wurden geschaffen: Der Gemeinderat hat im Rahmen der Haushaltsberatungen im Dezember unter anderem auch Budgets für Zwischennutzungen und zusätzliche Personalressourcen beschlossen. Für den Standort Eberhardstraße zeichne sich allerdings gerade ab, "dass das Kaufhof-Gebäude in einem schlechten Zustand ist und eine Zwischennutzung vermutlich nur in den Erdgeschosszonen möglich sein wird".

Esslingen: Aktuell 35 Prozent Leerstand

Denn neben der Frage, wie wichtig das Einkaufserlebnis überhaupt noch ist, kommt für Innenstädte in der Region noch ein weiteres hinzu: hoher Leerstand. In Esslingen liegt er aktuell bei 35 Prozent. Auch nicht gerade attraktiv für den Einzelhandel. "Esslingen ist am Boden. Da findest du nur noch Handy-Läden und Friseure, sonst nichts mehr", sagt ein Passant in der Fußgängerzone. "Ich finde es schade, wenn die Innenstadt nachher überall so aussieht wie hier", ergänzt ein anderer.

Die Mieten müssen günstiger werden, damit der Druck auf den Handel nicht so groß ist.

Zugpferd dieser Negativ-Entwicklung ist die Schließung der Karstadt-Filiale. Jetzt bräuchte es für ein gescheites Leerstands-Management "Freiheit, um ganz viele Dinge gestalten zu können", sagt Esslingens Oberbürgermeister Matthias Klopfer (SPD). Bauen müsse günstiger, das Baurecht vereinfacht werden. "Die Mieten müssen günstiger werden, damit der Druck auf den Handel nicht so groß ist", ist Klopfer überzeugt.

Weg vom "Stückles-Werk", hin zur strategischen Zukunftsvision

In Sachen Innenstadt-Entwicklung seien aber die Kommunen in der Pflicht, langfristige und nachhaltige Konzepte zu entwickeln und umzusetzen, sagt Susanne Herre, Hauptgeschäftsführerin der Industrie- und Handelskammer Region Stuttgart. In vielen Städten sei zu beobachten, dass auf die Situation reagiert werde, "aber die Zukunftsvision, die strategische Entwicklung nicht energisch betrieben wird", so Herre. "Dadurch entsteht dann 'Stückles-Werk', ein Leerstand wird durch eine Neunutzung punktuell geflickt, die dann wieder schnell in einen Leerstand führt."

Eine strategische Entwicklung wird oft nicht energisch betrieben.

Markus Vogl forscht an der Universität Stuttgart zu Stadtentwicklung und sieht es sogar noch düsterer: Der Einzelhandel habe keine Zukunft, und die Kommunen hätten zu lange auf den Handel allein gesetzt. "Die Städte müssen wieder abwechslungsreicher gestaltet werden", sagt Vogl. Es gehe um eine Nutzung, die einen Mehrwert für die Bürgerinnen und Bürger bieten kann.

Insofern sei Stuttgart mit Teil-Planungen schon auf einem guten Weg. Stadtentwicklung ist seit längerem Teil der Wirtschaftsförderung. In Bezug auf Leerstand gibt es den "Start-up- und Networking-Space" BRYCKE, die Leerstands-Plattform "Roomstr" der Wirtschaftsförderung und das Netzwerkformat "City Innovation Lab", mit dem Orte geschaffen werden sollen, an denen die Zukunft der Innenstadt diskutiert und vorangebracht wird. Derzeit wird - nach Meinung vieler Stadträte und -rätinnen recht erfolgreich - ein Zwischennutzungskonzept in der Schwaben Bräu-Passage in Bad Cannstatt erprobt.

Nach der Signa-Pleite: Was wird auf der Königstraße?

Bleiben nach der Signa-Pleite noch zwei Problem-Standorte mitten in der Stuttgarter Innenstadt. In der Königstraße auf Höhe der Schulstraße klafft seit Monaten eine riesige Baulücke, nachdem die ehemalige Sportarena abgerissen wurde. Hier hatte die Signa-Gruppe als Investor ein Vorzeige-Projekt geplant: ein nachhaltiges Bürogebäude aus Holz und Beton, das "Zwei hoch Fünf". Dass die Signa es noch realisiert, ist wohl unwahrscheinlich. Die Büros am Charlottenplatz sind geräumt, Anfragen des SWR ließen auch andere Mitarbeitende der zuständigen Signa-Holding unbeantwortet. Die seitherige Pressesprecherin, die sich von München aus noch im November um den Standort Stuttgart gekümmert hatte, hat Anfang Februar das Unternehmen verlassen.

In der Königstraße, Ecke Schulstraße, klafft eine riesige Baulücke. Nach der Signa-Pleite muss hier wohl ein neuer Investor übernehmen. (Archivbild)
In der Königstraße, Ecke Schulstraße, klafft eine riesige Baulücke.

Man kann also gespannt sein, wann Signa das Projekt veräußern will. Die Kommunalpolitikerinnen und -politiker machen sich alle jedoch wenig Sorgen, hier einen neuen Investor für dieses "Filetstück der Stuttgarter Innenstadt" zu finden. Auch Oberbürgermeister Nopper ist nach wie vor zuversichtlich, dass "ein neuer Investor an diesem Standort aktiv wird und an die Stelle der Signa tritt". Mischkalkulation sei das Stichwort. Alle finden gut, dass auch für diesen Standort nicht mehr allein auf Handel gesetzt wurde.

Auch für den Standort der Galeria Karstadt Kaufhof-Filiale an der oberen Königstraße werden weitestgehend keine Probleme gesehen. Sicherlich lasse sich das Warenhaus hier weiterführen. Nur Jasmin Meergans, Fraktionschefin der SPD, ist skeptisch: "Wenn wir in den letzten Jahren eins gelernt haben, dann, dass wir uns bei einem Investorenkonstrukt wie der Signa-Gruppe im Zweifel bei nichts sicher sein können und Zusagen dann eben doch nicht von Dauer sind. Das gilt meines Erachtens leider auch für den Kaufhof auf der Königstraße und die damit zusammenhängenden Arbeitsplätze. Die Zukunft halte ich für ungewiss."

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