Die Bahn will nach SWR-Recherchen aus der Digitalisierung von Bahnstrecken vorerst aussteigen. (Symbolbild) Auf dem Bild zu sehen ist Bahnwerbung mit dem Schriftzug "Digitale Schiene".

Das sagen Politik und Bahn zu SWR-Recherchen

Digitalisierung erst in ferner Zukunft? Bahnpläne in der Kritik

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Frieder Kümmerer
Frieder Kümmerer
Verena Neuhausen
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Nach SWR-Recherchen stoppt die Bahn vorerst die geplante Digitalisierung von Stellwerken und Zugstrecken in Deutschland. Verkehrspolitiker kritisieren das - die Bahn widerspricht.

In einem internen Papier hat die Bahn einen Strategiewechsel bei der Digitalisierung angekündigt. Das haben SWR-Recherchen offen gelegt. Demnach will die Bahn nur Digitalisierungsprojekte fortsetzen, bei denen sie vertraglich dazu verpflichtet ist. Vor allem der S21-Bahnknoten Stuttgart soll mit dem neuen digitalen Zugleitsystem ETCS ausgestattet werden. Doch auf Haupttrassen in Deutschland - wie etwa den Verbindungen zwischen Köln und Frankfurt sowie zwischen Hamburg und München - soll die Digitalisierung nach SWR-Informationen vorerst gestoppt werden. Das halten Verkehrspolitiker verschiedener Parteien für falsch. Die Bahn dementiert den Strategiewechsel bei der Digitalisierung.

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CDU-Politiker Donth: "Nix Halbes und nix Ganzes"

Wie aus den internen Papieren der Bahn hervorgeht, möchte die Bahn ihr marodes Streckennetz mit Technik aus den 90er Jahren sanieren. Der Reutlinger Bundestagsabgeordnete Michael Donth (CDU) sagte dem SWR, dieser Strategiewechsel der Bahn habe zur Folge, dass der Zugverkehr in Zukunft sowohl analog als auch digital ausgerüstet werden müsse. "Das ist, ich sage es mal schwäbisch, nichts Halbes und nichts Ganzes", so Donth. Weiter führte Donth aus: Um zukünftig durch Stuttgart zu fahren, benötige man das digitale Zugleitsystem ETCS. Wenn die Züge aber jenseits von Stuttgart fahren würden, dann ginge das nur mit der herkömmlichen Technik aus den 90er Jahren.

BW-Verkehrsminister Hermann alarmiert: "Bahn muss ins 21. Jahrhundert"

Der baden-württembergische Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) hat die SWR-Recherchen zum Ausstieg der Bahn aus großen Digitalisisierungsprojekten bestätigt. Er kritisiert die Pläne der Bahn. Man müsse die Bahn flott machen für das 21. Jahrhundert. Mit Technik der 90er Jahre geht das in den Augen Hermanns nicht.

Die herkömmliche Technik lasse sich nicht "aufhübschen und als digital verkaufen", so Hermann. Die alte Technik leiste nicht das, was für den Bahnverkehr der Zukunft erwartet werde. Man könne nicht Milliarden in den Digitalen Bahnknoten Stuttgart investieren und die restlichen Strecken nicht digitalisieren, führte er aus.

Grünen-Verkehrsexperte Gastel: "Digitalisierung macht Bahn weniger störanfällig"

Auch der Bundestagsabgeordnete Matthias Gastel aus Nürtingen (Grüne) kritisiert die internen Bahn-Pläne. Er fordert stattdessen, jetzt schneller in die Digitalisierung der Bahn zu investieren. Digitale Signale seien weniger anfällig für Störungen, so Gastel, der auch Mitglied im Aufsichtsrat der DB Netz AG ist. Außerdem brauche man für digitale Stellwerke weniger Personal. Es bereite zunehmend Schwierigkeiten, qualifiziertes Personal für die herkömmliche Technik zu finden, sagte Gastel. Deshalb drängt er darauf, dass der Bund jetzt schnell mit zusätzlichem Geld die Digitalisierung der Bahn sicherstellt.

Stellungnahme der Bahn widerspricht SWR-Recherchen

Mit einer erneuten Stellungnahme hat die Deutsche Bahn am Freitag auf die SWR-Recherchen reagiert. Ein Bahnsprecher teilte schriftlich mit, man wolle in den nächsten zehn Jahren bei Streckenmodernisierungen Stellwerke mit zwei Technologien ausrüsten: der herkömmlichen analogen Technik (DSTW) und der neuen digitalen (ESTW). Das habe man immer so geplant.

Das widerspricht einem Bahn-internen Strategiepapier des "Arbeitskreis Bahnpolitik", wonach die Bahn vorerst den Ausbau digitaler Stellwerkstechnik unter anderem aus Kostengründen stoppen will. Verkehrsminister von Schleswig-Holstein und Baden-Württemberg hatten das dem SWR vorliegende interne Strategiepapier bestätigt. Auf Nachfrage erklärte der Bahnsprecher: "Der Grund für den parallelen Einsatz der Technologien: Die DSTW-Technologie ist aktuell in Entwicklung und wird in Schritten zum neuen Standard. Noch ist die DSTW-Technik als Standard nicht zugelassen."

Bahn: "ETCS wird weiter eingebaut"

Ob die neue digitale Zugleittechnik ETCS tatsächlich in den nächsten Jahren flächendeckend in ganz Deutschland verbaut werde, ließ der Bahnsprecher am Freitag offen. Er bestätigte damit nicht die SWR-Recherchen, wonach die digitale Technik vorerst nur auf Strecken verbaut wird, bei denen man bereits vertraglich dazu verpflichtet ist, während beim Großteil der Trassen der ETCS-Ausbau vorerst stoppe. Der Bahnsprecher teilte lediglich mit: "ETCS wird weiter eingebaut, wie beispielsweise zwischen Karlsruhe und Basel. Aber auch im Zusammenhang mit den Generalsanierungen wie zum Beispiel auf der Riedbahn zwischen Frankfurt und Mannheim und auf Strecke zwischen Berlin und Hamburg setzen wir auf ETCS, ebenso wie im Knoten Stuttgart."

Damit erwähnte er nur den Teil der Bahnstrecken, bei denen es bereits eine vertragliche Verpflichtung zum Ausbau mit digitaler Zugleittechnik gibt. Nachfragen zu konkreten Haupttrassen wie der Strecke zwischen Köln und Frankfurt oder der Verbindung zwischen Skandinavien bis nach Süddeutschland ließ der Bahnsprecher am Freitag unbeantwortet.

Bahn-Experte: "Kein richtiges Dementi der Bahn"

Der Bahn-Experte Hans Leister hält die Erklärung der Bahn für "einen schwachen Versuch, die eigentlichen Vorhaben der Bahn zu verschleiern". Leister, der für die Zukunftswerkstatt Schienenverkehr Berlin spricht, sagte dem SWR: "Natürlich wird weiter gebaut, was schon im Bau ist. Die Kritik ist ja, dass man bei weiteren Projekten wieder zurückfällt auf Alt-Technik und den Weg des schnellen Rollouts von wirklich moderner Technik aufgibt. Das wird letztlich mit dem Dementi bestätigt, sonst hätte man ein klareres Dementi gemacht."

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