Zuerst bekommen wohnungslose Menschen eine eigene Wohnung, erst danach die restlichen Hilfen. Das ist die Idee hinter "Housing First". Das Modellprojekt gibt es seit zwei Jahren in Stuttgart und feiert jetzt Halbzeit. Laut der Stadtverwaltung gibt es erste Erfolge.
Knapp 4.000 Menschen sind in Stuttgart obdach- oder wohnungslos. Eine von ihnen war Alexandra L.. Sie hat Anfang 2019 ein halbes Jahr auf der Straße gelebt. Ein Parkhaus in der Stuttgarter Innenstadt war für sie und ihre Partnerin der gemeinsame Schlafplatz.
Obdachlos in Stuttgart: Von ganz unten wieder hochgekämpft
Alexandra L. war lange heroinabhängig. Um die Droge zu bezahlen, nutzte die ehemalige Altenpflegerin ihr ganzes Geld. Irgendwann reichte es nicht mehr, um die Wohnungsmiete zu bezahlen und sie rutschte in eine Abwärtsspirale. Alexandra L. wollte etwas an ihrer Situation verändern und von der Droge loskommen. Sie begab sich in Therapie - erfolgreich. Heute substituiert die 42-Jährige, nimmt also Ersatzmittel. Trotzdem stand Alexandra L. nach der Therapie vor einem großen Problem: Sie hatte aufgrund der geräumten Wohnung kein Zuhause mehr. Sie wurde obdachlos.
Doch dann wurde sie auf das Angebot von "Housing First" aufmerksam. Heute wohnt sie in einer unbefristeten Zweizimmerwohnung in Stuttgart-Zuffenhausen. "Es ist ein Wunder, dass ich wieder meinen eigenen Mietvertrag habe", sagt sie.
"Housing First" mit außergewöhnlichem Ansatz
Die Ursprungsidee für "Housing First" stammt aus Amerika. In Stuttgart läuft das Projekt seit zwei Jahren und wird von einem Trägerverbund aus der Ambulanten Hilfe, der Evangelische Gesellschaft Stuttgart, der Sozialberatung Stuttgart und dem Caritasverband für Stuttgart umgesetzt. Die Stadt Stuttgart ist Hauptmittelgeber für die Finanzierung des Projekts. Das Besondere: "Housing First" dreht den herkömmlichen Ansatz der Wohnungsnotfallhilfe um.
Normalerweise müssen Betroffene zuerst ihre Probleme in den Griff kriegen, bevor sie die Chance auf eine eigene Wohnung haben. "Housing First" vermittelt wohnungslosen und obdachlosen Menschen ohne Vorbedingung eine eigene Wohnung. Dahinter steckt der Ansatz, dass ein eigenes Zuhause die Basis ist, damit die betroffenen Personen danach ihre Herausforderungen wie Jobsuche oder die Bekämpfung ihrer Drogensucht besser bewältigen können.
Wohnen in Stuttgart: Ein Dach über dem Kopf als Fundament
Auf der Warteliste für die Wohnungsvermittlung stehen aktuell 20 wohnungs- oder obdachlose Menschen. Um auf diese Warteliste zu kommen, müssen die Betroffenen keine Vorbedingungen erfüllen, lediglich leistungsberechtigt sein oder selbst einen Job haben. Das Geld für die Miete kommt also entweder von den Mietern selbst oder vom Jobcenter.
Die 490 Euro Kaltmiete für die knapp 50 Quadratmeter große Wohnung von Alexandra L. zahlt ebenfalls das Jobcenter - so lange, bis sie wieder eine feste Arbeit hat. Im nächsten Jahr möchte die 42-Jährige eine Umschulung beginnen und danach am liebsten Arbeitserzieherin werden. Bei dem Prozess hilft ihr ebenfalls "Housing First", denn das Angebot des Projekts beinhaltet nicht nur die Wohnungsvermittlung, sondern auch die freiwillige Unterstützung bei der Jobsuche oder dem Umgang mit Schulden und Abhängigkeiten.
Halbzeit für das Modellprojekt in Stuttgart
Vorerst ist "Housing First" in Stuttgart auf vier Jahre angelegt. Seit 2022 konnten bisher 25 Wohnungen vermittelt werden. 17 alleinstehende Personen, drei Paare und fünf Familien mit insgesamt acht Kindern konnten ein neues Zuhause finden, heißt es von den Verantwortlichen. Alexandra L. ist eine dieser Personen. Insgesamt sollen bis zum Ende des Projektzeitraums 50 Wohnungen vermittelt werden.
Die Wohnungen kommen größtenteils vom Wohnungsunternehmen Vonovia, mit dem "Housing First" eine Kooperation abgeschlossen hat, aber auch von Privatpersonen. "Wir merken, dass das Projekt erfolgreich ist und ich hoffe, dass es auch nach Ende des Modellzeitraums in Stuttgart weiterlaufen kann", sagt Sozialarbeiterin Katharina Rudel.