Vorwürfe schwerer Landfriedensbruch und Angriff auf Beamte

Zweiter Prozess zu Eritrea-Ausschreitungen: Polizisten schildern Szenen "wie im Krieg"

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Diana Hörger
Diana Hörger
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Kerstin Rudat
Kerstin Rudat

Seit Dienstag steht ein weiterer Mann wegen der Ausschreitungen in Stuttgart vor Gericht. Er bestreitet die Vorwürfe. Als Zeugen geladene Polizisten schildern ihren Einsatz.

In einem zweiten Verfahren zu den Ausschreitungen rund um eine Eritrea-Veranstaltung am Stuttgarter Römerkastell im September 2023 geht es um den Verdacht des besonders schweren Landfriedensbruchs und des tätlichen Angriffs auf Vollstreckungsbeamte. Die Verhandlung findet - wie der erste Prozess - im Hochsicherheitssaal in Stuttgart-Stammheim statt.

Angeklagter soll Polizei schon früh beleidigt und bedroht haben

Der Angeklagte wirkt im Prozess ruhig und bedrückt. Die Staatsanwaltschaft legt ihm zur Last, zu der Veranstaltung am Römerkastell am 16. September 2023 mit dem Ziel angereist zu sein, diese gewaltsam zu stören. Schon bei der Anreise seien Teilnehmende der Eritrea-Veranstaltung angegriffen worden. Der 26-Jährige sei von Anfang an anwesend gewesen und unter anderem durch Drohgebärden in Richtung Polizei aufgefallen. Außerdem habe er laut Anklage zusammen mit anderen schon am frühen Nachmittag Teilnehmende verbal beleidigt.

Danach soll er mit 20 bis 30 weiteren Menschen versucht haben, eine Polizeikette zu überwinden. Außerdem soll er später zwei Mal mindestens faustgroße Steine in Richtung der Polizei geworfen haben. Der Angeklagte habe damit billigend in Kauf genommen, so die Staatsanwaltschaft, dass Polizistinnen und Polizisten verletzt werden. Wie auch der Verurteilte des ersten Prozesses soll der Angeklagte außerdem Bereitschaft und Beteiligung anderer gefördert haben. Anschließend flüchtete der 26-Jährige, konnte aber am frühen Abend des 16. September mit dem Großteil der Angreifer festgenommen werden.

Verteidigung: Hass und Wut haben sich nicht gegen Polizei gerichtet

Die Verteidigerin des Angeklagten erläutert, dass Hass und Wut sich gegen die Anhängerinnen und Anhänger der eritreischen Diktatur gerichtet hätten. Viele Eritreer seien selbst sehr traumatisiert, wären auf der Flucht fast gestorben - und müssten jetzt sehen und erleben, dass sich in Deutschland Diktatur-Anhänger treffen und fröhlich feiern wollen. Sie plädiert für ein faires Verfahren. Die Staatsanwaltschaft habe auch eine zur Entlastung des Angeklagten dienende Ermittlung zu leisten.

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Verteidigerin hätte sich eine andere ermittelnde Behörde gewünscht

Gleich zu Anfang stellt die Verteidigung die Frage, wie es sein kann, dass die Polizei Stuttgart ermittelte, wenn doch in den eigenen Reihen Polizeibeamtinnen und -beamte verletzt worden sind. Die Verteidigerin hätte sich eine andere ermittelnde Polizeibehörde gewünscht sowie unbeteiligte Dolmetscher. Auch seien während der Ermittlungen keine Zeuginnen und Zeugen gehört worden, sondern nur Polizisten, und hier seien es die dienstlichen Stellungnahmen gewesen, die nun in diesem Verfahren zugrundegelegt werden. Möglicherweise seien Aussagen auch falsch übersetzt worden, man sollte sie neu übersetzen.

Angeklagter: "Habe keine Steine auf Polizisten geworfen"

Der Angeklagte lässt über seine Verteidigerin aussagen. Ja, es träfe zu, dass er von Beginn an bei der Veranstaltung anwesend gewesen und dass er drohend aufgetreten sei. Ja, er habe auch eine Fahnenstange mit sich herumgetragen. Und ja, er habe Anhänger der Diktatur in seinem Heimatland als "alter Sack" bezeichnet. Aber er habe zu keinem Zeitpunkt Steine auf Polizistinnen und Polizisten geworfen.

Dann beginnt die Beweisaufnahme, und anders als im ersten Prozess zeigt sich schnell: Der jetzige 26-jährige Angeklagte ist nicht so eindeutig zu identifizieren wie der Angeklagte vergangene Woche. Videos von einer Drohne und von den Überwachungskameras am Römerkastell werden gezeigt, später Aufnahmen von Bodycams der Beamten und aus dem Hubschrauber. Menschen wie Ameisen fast, aus großer Entfernung, von oben. Menschengruppen, die durcheinanderwuseln. Es ist zu erkennen, wie sich einzelne Angreifer gezielt gegen die Polizei richten. Stühle fliegen, Holzlatten werden geschwungen, es wird viel geschrien. Zum Teil sind die Angreifer vermummt. Einzelne Menschen werden an die Häuserwand gedrängt und verprügelt. Die Polizei versucht verzweifelt, die Gruppen zurückzudrängen.

Kann so eindeutig bewiesen werden, dass der 26-Jährige Steine geworfen und andere zu mehr Gewalt angestachelt hat? Gestützt wird dieses Bild einer doch eher chaotischen Lage am 16. September vergangenen Jahres durch die Schilderungen eines jungen Polizeibeamten, der als erster Zeuge aussagt. Mit zehn Mann habe man eine Polizeikette vor dem Eingang gebildet - und sich dann schnell rund 200 Personen gegenüber gesehen. Diese seien jedoch zunächst friedlich geblieben und hätten nach einer Aufforderung freiwillig ihre Stöcke abgelegt.

Polizisten konnten kaum Schutzausrüstung anlegen

Aber dann sei es plötzlich sehr laut geworden und Männer mit Latten mit Nägeln und Pfosten von Absperrzäunen seien auf die Beamten zugekommen. Da sei es nicht anders gegangen, "wir mussten uns zurückziehen". Mit Pfefferspray und Schlagstöcken vor den Köpfen habe man dann versucht, den Eingangsbereich weiter abzuschirmen gegen die Angreifer. Dass er Hämatome am Arm hatte, "habe ich erst die Tage darauf gemerkt", sagt der junge Polizist.

Als es nicht gelang, eine Gruppe von etwa 30 Leuten zu umschließen, habe die Einheit beschlossen, zum Auto zu rennen und Schutzkleidung anzulegen. Erst als mehr Streifen kamen und Bundespolizei, habe man die Lage einigermaßen unter Kontrolle bekommen und von der Friedhofsmauer bis zum Römerkastell eine Kette gebildet.

So haben wir im September von den Ausschreitungen am Römerkastell aktuell berichtet:

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"Immer wieder haben wir versucht, die Störer wegzudrängen. Das hat nur teilweise funktioniert", so der Polizeibeamte. Und weil die Angreifer immer wieder so nah kamen, konnte er sich einen gut einprägen. Dieser Mann mit enger Hose, einem weißen T-Shirt mit auffälliger Schrift, kurzen Rastalocken und einem dünnen Stirnband habe einen Stein auf die Polizeikette geworfen. Und derjenige sei ihm später beim Aufnehmen der Personalien wieder aufgefallen. Der junge Polizist erkennt in ihm den Angeklagten, auch, wenn dieser inzwischen eine andere Frisur habe.

Junger Polizist: "Habe mich gefühlt, als wäre ich im Krieg"

Wegen des Adrenalins habe er die Schmerzen nicht gespürt und das volle Ausmaß seiner Verletzungen erst zu Hause gesehen. Das sei auch nicht so schlimm gewesen. "Aber zu wissen, dass manche Kollegen Todesangst hatten und zusammengebrochen sind - das betrifft mich schon sehr", sagt der junge Mann. "Das war alles andere als normal. Ich habe mich gefühlt, als wäre ich im Krieg."

Er attestiert den Angreifern eine hohe Gewaltbereitschaft, die sich klar gegen die Polizei richtete, denn zu diesem Zeitpunkt an dieser Stelle seien gar keine Seminar-Teilnehmer da gewesen. Auch ein weiterer Zeuge, ein 28 Jahre alter Polizeibeamter, unterstützt dies. Ein Freund und Kollege von ihm habe mit Panik in den Augen gesagt, das sei lebensgefährlich hier. Und eine Kollegin frisch von der Polizeischule habe Tränen in den Augen gehabt. "Kollegen hatten Angst um ihr Leben!", so der 28-Jährige. Viele von ihnen könnten nicht mehr gut schlafen.

"Da war ja niemand außer uns", erzählt er. Also habe sich die Gewalt erschreckenderweise gegen die Polizei gerichtet. "Wenn wir bei Demos sind, stehen wir dazwischen, und da merkt man, dass es um die andere Partei geht. Aber wenn man merkt, dass der Hass gegen die Polizei gerichtet ist... Das war etwas Neues. Das habe ich noch nie erlebt." Auch er identifiziert den Angeklagten als den Mann mit den kurzen Rastalocken und dem auffälligen T-Shirt. Er habe von der Friedhofsmauer zwei Steine auf die Polizisten geworfen. Gott sei Dank sind die in ihrer Wucht über sie hinweg geflogen.

Prozess wird in der kommenden Woche fortgesetzt

Der Prozess wird kommende Woche fortgesetzt. Es bleibt abzuwarten, wie sich die weitere Beweisaufnahme gestaltet und ob das Amtsgericht auch hier wie beim ersten Prozess bis fast ans Limit des Strafmaßes gehen wird. Bei dem ersten Prozess in der vergangenen Woche wurde der 29-jährige Angeklagte zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten verurteilt.

39 Beamtinnen und Beamten waren bei den Ausschreitungen im September 2023 teils schwer verletzt worden, die Polizei hatte danach gegen mehr als 200 Personen ermittelt. Der Vorfall hatte bundesweit für Aufsehen gesorgt.

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