Interview mit Mannheimer Politikwissenschaftler

Massen-Demos gegen Rechtsextremismus: Mannheimer Experte erklärt, warum so viele auf die Straße gehen

Stand
Interview
Wolfgang Kessel

Hunderttausende sind am Wochenende gegen Rechtsextremismus auf die Straße gegangen. Ein Mannheimer Politik-Experte war zunächst von der schieren Teilnehmer-Zahl überrascht.

An den Demonstrationen gegen Rechtsextremismus haben sich am vergangenen Wochenende (20. und 21. Januar) in Deutschland nach Polizeiangaben mehr als 900.000 Menschen beteiligt. In manchen Städten, wie zum Beispiel in München, mussten Demos wegen zu großen Andrangs abgesagt werden.

Der Mannheimer Politikwissenschaftler und Senior-Professor Rüdiger Schmitt-Beck analysiert das Massen-Demo-Phänomen im SWR-Interview.

SWR Aktuell: Überrascht sie diese Wucht der Demos, was die Zahl der Menschen angeht? Allein in Heidelberg waren es ja am Samstag (20. Januar) fast 20.000 Menschen...

Rüdiger Schmitt-Beck: Ja, die Zahl der Menschen hat mich anfänglich überrascht. Inzwischen aber weniger, nachdem das Phänomen sich ja schon eine Woche lang entfaltet hat. Was wir hier sehen können, ist eine Art "spiralenförmiger" Prozess. Die Proteste breiten sich aus, immer mehr Leute kommen dazu und das stimuliert immer mehr Menschen, sich auch zu beteiligen. Menschen, die unter anderen Umständen möglicherweise sonst nicht zu einer Demo gegangen wären.

Ursprünglicher Anlass für die Demos war natürlich die Meldung (des Medienhauses "CORRECTIV") über empörende Gedankenspiele in AfD- und AfD-nahen Kreisen über etwas, was man in der Vergangenheit in anderen Ländern als "ethnische Säuberungen" bezeichnet hat. Da stehen schwerste Menschenrechtsverletzungen als Möglichkeit im Raum. Und das hat die Öffentlichkeit alarmiert. Jetzt beobachten wir also einen "Spiralen-"Prozess, der irgendwann in absehbarer Zeit sicher einen Sättigungs-Punkt erreichen wird, aber sich im Moment noch hochschaukelt.

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SWR Aktuell: Wer läuft da alles mit bei diesen Demonstrationen? Das scheinen ja mit Blick auf die Bilder fast alle zu sein: Opa, Oma, Eltern, Kinder...

Schmitt-Beck: Ja, wir haben einen sehr großen Anteil in der Gesellschaft, der die AfD sehr stark ablehnt - bereits von vornherein. Jetzt ist die Maske (der AfD) so ein kleines bisschen gelüftet worden. Man kriegt jetzt "Anschauungsmaterial", was da tatsächlich in parteinahen Kreisen verhandelt wird, wenn die Tür zu und die Fensterläden dicht sind. Das alarmiert sehr weite Teile der Bevölkerung, was auch ein sehr gutes Zeichen ist. Denn hier geht es um die Essenz unserer Demokratie, ihren eigentlichen Kern: Die Würde des Menschen. Artikel eins im Grundgesetz. Dass so viele Menschen dafür einstehen, ist ein sehr sehr gutes Signal. Auch, dass die Bevölkerungsgruppen so vielfältig sind, die jetzt auf die Straße gehen.

Experte: Viele AfD-Anhänger werden wohl auf ihren Positionen beharren

SWR Aktuell: Was bewirken solche Demonstrationen bei AfD-Wählerinnen und Wählern?

Schmitt-Beck: Einige wenige werden vielleicht nachdenken, weil das nicht die Pläne sind, die die Partei für sie interessant und attraktiv machen. Ein erheblicher Teil der Wählerschaft ist auch einfach entfremdet von der etablierten Politik, und zwar von allen Parteien. Einschließlich der Union, die eigentlich momentan die Aufgabe der Opposition besorgen müsste, da aber offenbar nicht sehr viel Vertrauen genießt. Also: Menschen, die nicht die ideologische Agenda der AfD teilen - und die gibt es sicher auch in deren Wählerschaft - werden möglicherweise nachdenken und sich fragen, ob sie eine solche politische Orientierung wirklich unterstützen möchten.

Wahrscheinlicher ist aber: Die meisten AfD-Anhänger werden sich, quasi als Gegenmobilisierung, eher "eingraben" in Positionen, die sie eh schon haben. Denn niemand, der angegriffen wird, wird dem Angreifer direkt sagen, dass er Recht hat oder wird ihm zustimmen. Sondern: Das Beharren auf der eigenen Position wird wohl eher noch verstärkt. Was dabei also am Ende rauskommen kann, ist eine verstärkte Polarisierung der Gesellschaft.

Ein weiterer erwähnenswerter Punkt: In der AfD und im AfD-nahen Milieu beansprucht man ja gern, für "eine schweigende Mehrheit der Gesellschaft" zu sprechen. Und momentan sehen wir auf der Straße, wo die bis dahin schweigende Mehrheit der Gesellschaft tatsächlich steht - nämlich ganz woanders, als in der Nähe der AfD und ihrer Programmatik.

Menschen demonstrieren gegen Rechts vor dem Roten Rathaus. Anlass ist die Recherche des Correctivs zum Treffen von AfD und CDU-Politikern mit Rechtsextremisten in Potsdam.
In Berlin demonstrierten am 17. Januar tausende Menschen gegen rechts.

SWR Aktuell: Wie nachhaltig sind diese Massen-Demos gegen rechts gerade?

Schmitt-Beck: Das ist bei Protest-Phänomenen immer so: Irgendwann läuft sich das tot. Protest richtet sich in erster Linie an die Öffentlichkeit und an die Massenmedien. Protest ist sinnlos, wenn die Medien nicht darüber berichten. Denn dadurch wird der Protest sichtbar für die gesamte Gesellschaft, übrigens auch fürs Ausland. Das sollte man nicht unterschätzen in seiner Bedeutung.

Aber Protest kann sich nicht ständig fortführen, irgendwann wird er "langweilig". Und die Medien werden dann nicht mehr hinschauen, weil da irgendwann nichts Neues oder Interessantes mehr dran ist. Es ist dann einfach "business as usual". Wir werden jetzt eine sich noch aufschaukelnde (Protest-) Welle beobachten können, die aber schon relativ bald wieder abebbt - ich würde mal sagen in zwei, drei Wochen. Aber wir werden dann eine große Welle hinter uns haben, die sich von den Zahlen her wirklich messen lassen kann mit den ganz großen Protest-Ereignissen in der Geschichte Deutschlands. Und das wird dann das öffentliche Klima in diesem Land auch verändert haben.

Wie kommen eigentlich die Zahlen bei Demos zustande? In unserem Beitrag auf Instagram beleuchten wir die Lage ausführlich:

Politologe: Auch deutsche Industrie hat Gefahr erkannt

SWR Aktuell: Reichen die Proteste auf den Straßen aus, um rechte Parteien in die Schranken zu weisen? Was sollte außerdem noch passieren?

Schmitt-Beck: Nein, das wird sicher nicht ausreichen. Es muss im Grunde der argumentative Kampf mit dieser Partei offensiv aufgenommen werden. Ihre Anhänger müssen im Prinzip im Gespräch einzeln überzeugt werden, dass das, was sie plagt und drückt und was sie sich mutmaßlich von dieser Partei erhoffen, nicht eintreten wird. Beispiel: Wer wirtschaftliche Sorgen hat und zur AfD tendiert, dem wird diese Partei mit Sicherheit nicht helfen. Im Gegenteil.

Selbst die Industrie hat das Thema erkannt: Sie braucht auch international rekrutierte Fachkräfte. Und die werden sich dreimal überlegen, in ein Land wie Deutschland zu gehen, in dem eine solche Partei großen Zulauf genießt. In Industriekreisen hat man also erkannt, wie gefährlich diese Partei für die deutsche Wirtschaft ist. Dinge, die AfD-Anhänger im Zweifel eher nicht sehen. Was nötig ist, so anstrengend und mühsam das auch ist: Das ist das kleinteilige Gespräch mit einzelnen Anhängern. Der Versuch, zu verstehen, warum sie diese Partei gut finden. Dann muss man sie da abholen und versuchen zu überzeugen, dass ihnen diese Partei bei ihren Sorgen und Problemen nicht helfen wird.

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