In Stuttgart gibt es mindestens drei Automaten, die "legales LSD" anbieten. Es ist verpackt in bunten Tütchen. 20 Euro kostet ein Trip ins Ungewisse. "Bei mir führt das 'legale LSD' zu Euphorie. Mein kleiner Bruder ist in der Hölle gelandet", sagt ein Käufer in der SWR-Sendung "Zur Sache! Baden-Württemberg". Sein Bruder habe nur ein Tütchen aus dem Automaten gekauft. Das habe ausgereicht, um dessen Leben komplett aus der Bahn zu schmeißen. "Er ist gerade in der Klapse", ergänzt der junge Mann.
Aber warum gibt es an den Automaten überhaupt "legales LSD"? Die Hersteller haben eine Molekülgruppe an das Original-LSD angehängt. Das so entstandene LSD-Derivat nennen sie 1D-LSD. Es ist nicht verboten - jedenfalls noch nicht. Denn zwischen Herstellern und Politik gibt es ein Katz-und-Maus-Spiel. Die Hersteller erfinden immer weitere LSD-Derivate. Die Politik verbietet eines nach dem anderen.
Toxikologe zu LSD-Derivat: "Kein Unterschied in der Wirkung"
Im Körper wird 1D-LSD laut Volker Auwärter zu LSD umgewandelt. Auwärter forscht als Laborleiter der Forensischen Toxikologie am Universitätsklinikum Freiburg auch zu LSD-Derivaten. "In der Wirkung gibt es im Grunde keinen Unterschied zwischen LSD und seinen Varianten, zu denen auch 1D-LSD gehört", sagt er. Es finde lediglich eine kurze Verzögerung bei der Freisetzung statt.
Onlineshops bieten 1D-LSD schon länger an. Die Automaten gibt es in Baden-Württemberg laut Szenekennern erst seit ein paar Monaten. Käuferinnen und Käufer brauchen einen Ausweis. Sie müssen 18 Jahre oder älter sein. Viele Jugendliche versuchten aber die Altersbeschränkung zu umgehen, erzählt Nadja Kalaitzi, die in Stuttgart in der Nähe eines Automaten arbeitet. "Wenn ich hier abends vorbeigehe, sprechen mich 14- oder 15-Jährige an, ob ich ihnen was holen kann, weil sie nicht alt genug sind." Für Kalaitzi ein absolutes Unding.
Zwei Automaten mit 1D-LSD in Mannheim abgebaut
Auch in Mannheim gab es bis vor kurzem zwei Automaten, in denen 1D-LSD angeboten wurde. Der SWR recherchierte hierzu. Der Betreiber musste die Automaten nach nur wenigen Wochen wieder abbauen. Die Pressestelle des Tankstellenkonzerns schreibt auf SWR-Anfrage: "Von der Aufstellung der Automaten dieses Inhalts hatten wir keine Kenntnis."
Aber wer steckt hinter den Automaten? Die Stuttgarter Automaten betreibt offenbar ein Geschäftsmann aus Bensheim in Hessen. Er hat auch einen Onlineshop und mehrere Geschäfte, in denen er 1D-LSD verkauft. SWR-Reporter kontaktieren ihn zuerst schriftlich, fahren dann nach Bensheim. Der Mann beantwortet aber keine der ihm gestellten Fragen.
Niederländische Chemiefirma als Hersteller angegeben
Als Hersteller auf manchen der 1D-LSD-Verpackungen ist eine Chemiefirma in Maastricht in den Niederlanden angegeben. Auch sie reagiert nicht auf die schriftlichen Fragen der SWR-Reporter. Vor Ort treffen sie niemanden an. Der Firmensitz der Chemiefirma befindet sich in einem Industriegebiet. Das Gelände wirkt verlassen.
Im Internet gibt sich die Firma als normaler Chemieproduzent aus. Doch im November 2022 haben die US-Behörden eine Webseite des Unternehmens beschlagnahmt. Sie hatten die Firma mit Fentanyl-Derivaten in Verbindung gebracht, die auf dem US-Schwarzmarkt aufgetaucht waren. Fentanyl ist ein synthetisches Opioid, das medizinisch zur Linderung starker Schmerzen eingesetzt wird, aber auch als Droge missbraucht wird. Die niederländische Polizei durchsuchte den Firmensitz des Chemieproduzenten. Weitere Details hat sie auf SWR-Anfrage nicht mitgeteilt. Die Produkte der Firma sind weiter auf dem Markt erhältlich.
Arzt: Automaten vermitteln "völlig falschen Eindruck"
Chefarzt Markus Göttle vom Klinikum Nordschwarzwald hält die LSD-Automaten für ein Problem. "Dieses offene Präsentieren suggeriert natürlich, dass es sich hier um völlig harmlose Substanzen handelt - so als ob ich jetzt zum Beispiel Schokolade oder Erdnüsse kaufe", sagt er bei "Zur Sache! Baden-Württemberg". So entstehe ein völlig falscher Eindruck, der gefährlich sein könne.
LSD macht laut Göttle nicht abhängig. Aber Konsumentinnen und Konsumenten könnten vorher unmöglich wissen, wie das LSD wirke. "Derselbe Mensch kann beim ersten Konsum eine positive Erfahrung machen mit Glücksgefühlen und schönen Wahrnehmungen, kann aber schon beim zweiten Konsum einen schweren Horrortrip erleiden", sagt der Suchtmediziner. Bei manchen Menschen höre die verzerrte Wahrnehmung nicht mehr auf. Außerdem wird laut Göttle unter Ärztinnen und Ärzten diskutiert, ob LSD bei Menschen mit einer Prädisposition - also einer ausgeprägten Anfälligkeit für bestimmte Krankheiten - Schizophrenie auslösen kann.
Ehemaliger Konsument: "Hatte einen psychischen Schaden"
Ein ehemaliger Konsument von 1D-LSD und LSD berichtet bei "Zur Sache! Baden-Württemberg" von einem seiner Horrortrips: "An Silvester hab' ich gedacht, ich kann mit einem Fingerschnipsen durch die Galaxie springen und meine Kleider wechseln." Er habe keine Kontrolle mehr gehabt und die ganze Zeit gekotzt. Monate danach habe er noch Stimmen gehört. "Ich hatte einen schweren psychischen Schaden", sagt der junge Mann.
Verbot von 1D-LSD wird vorbereitet
Das Bundesgesundheitsministerium will 1D-LSD nun verbieten. Seit Anfang Februar gibt es dazu einen Referentenentwurf. Auf SWR-Anfrage teilt das Ministerium mit, "dass im Kontext des Referentenentwurfs (…) noch Prüfungen anhängig sind." Zum weiteren zeitlichen Verlauf könne es noch keine näheren Angaben machen. Ein mögliches Verbot müsste dann noch durch den Bundesrat, in dem auch das Land Baden-Württemberg vertreten ist. "Wenn das Bundesgesundheitsministerium die Anpassung vornimmt und uns den Gesetzentwurf vorlegt, werden wir das in jedem Fall unterstützen", teilt eine Sprecherin des Landesgesundheitsministeriums auf SWR-Anfrage hierzu mit.
Naht damit das Ende des Katz-und-Maus-Spiels? Expertinnen und Experten glauben, es geht nur in eine neue Runde. "Der Grund dafür ist, dass der Gesetzgeber nur Stoffe verbieten kann, die er kennt", teilt der Fachanwalt für Strafrecht, Konstantin Grubwinkler, mit. Erst das Verbot der aktuellen Substanzen führe aber dazu, dass neue Substanzen entwickelt beziehungsweise bekannt würden.
"Bisher hat eigentlich niemand die schlagende Idee entwickelt, wie das Katz-und-Maus-Spiel tatsächlich wirksam beendet werden könnte", sagt auch Volker Auwärter vom Universitätsklinikum Freiburg. "Das Phänomen gibt es jetzt seit über 15 Jahren und es geht im Grunde munter weiter." Auwärter rechnet damit, dass es die Politik und Gesellschaft auch die nächsten Jahre bis Jahrzehnte begleiten werde.