Too bad for them

Wie sich der EuGH und das Bundesverfassungsgericht immer noch zanken

Stand
Autor/in
Gigi Deppe

Wer hat das letzte Wort in Europa? Wenn es grundsätzlich wird, dann entscheiden nicht Regierungen oder Parlamente, sondern die Gerichte. Fragt sich nur, welches Gericht: der Europäische Gerichtshof oder die Verfassungsgerichte der einzelnen Länder?

Seit längerem schwelt der Streit zwischen dem EuGH, dem obersten Gericht der EU und dem Bundesverfassungsgericht. 2020 kam es zum Eklat. Zum ersten Mal in rund 70 Jahren verweigerte das oberste deutsche Gericht die Gefolgschaft und machte den Kollegen in Luxemburg heftige Vorwürfe. Die würden die Europäische Zentralbank nicht genügend kontrollieren; das sei „objektiv willkürlich“ und „methodisch nicht mehr vertretbar“. Harter Tobak für Juristen: Schlampige Arbeit und willkürliches Vorgehen ist der wahrscheinlich schlimmste Vorwurf, den sie einander machen können.

Lenaerts: "Accident de parcours"


Jetzt hat der Präsident des EuGH, Koen Lenaerts in einem Interview mit der ARD-Rechtsredaktion erkennen lassen, dass die Verletzungen noch tief sitzen. Der Vorwurf des Verfassungsgerichts sei schon "ziemlich komisch": dass man seine Befugnisse überschreitet, indem man nicht ausreichend kritisch gewesen ist. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts sei ein "accident de parcours", ein Missgeschick gewesen. Es habe seitenlange Überlegungen und Gutachten von Professoren und Wirtschaftsverbänden enthalten, die ausschließlich aus Deutschland gestammt hätten. Er verweist darauf, dass das Verhältnis zwischen EuGH und Bundesverfassungsgericht nur ein Verhältnis sei neben den Beziehungen zu 26 anderen Höchstgerichten. Alles sei nach der Kritik aus Karlsruhe weiter gelaufen gemäß dem Urteil aus Luxemburg. Eine gewisse Häme kann er sich nicht verkneifen: "Too bad for them".

Hubers Antwort

Zeitgleich erneuert Verfassungsrichter Peter Michael Huber seine Kritik am EuGH. Er war 2020 Berichterstatter in dem Verfahren, in dem es zwischen den Gerichten krachte, das sogar dazu führte, dass die EU-Kommission ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland einleitete – was aber später eingestellt wurde, nachdem die Bundesregierung eine Erklärung abgegeben hatte, dass sie sich aktiv dafür einsetzen würde, um zu vermeiden, dass dem EuGH nochmal „ultra vires“, eine Verletzung der europäischen Verträge vorgeworfen wird.



Huber, der in nächster Zeit aus dem Verfassungsgericht ausscheidet, gab dem SWR ein Exklusivinterview und kannte das Interview mit Lenaerts zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Auf den Konflikt angesprochen, scheut er aber keine klaren Worte: Mit der Entscheidung aus Luxemburg zur Europäischen Zentralbank hätten die deutschen Verfassungsrichter das Gefühl gehabt "abgemeiert" zu werden. Das sei ein krasses Versagen der Kollegen in Luxemburg gewesen. Es gebe eine große Unzufriedenheit in allen nationalen Verfassungs- und Höchstgerichten und in den Mitgliedsstaaten "mit einer etwas oberflächlich schludrigen Art und Weise, würde ich mal sagen, wie politisch heikle Fragen durch den Gerichtshof in Luxemburg bearbeitet werden."

Kritik am EuGH wächst

Seiner Ansicht nach würden aktuell viele Mitgliedsländer den EuGH kritisieren. Ein französischer Gerichtspräsident habe erst jüngst zum Präsidenten des EuGH gesagt: Wenn der EuGH den französischen Gerichten keine Luft zum Atmen ließe, würde das Ganze nicht mehr funktionieren. Andere, Schweden und Niederländer, hätten sich darüber beklagt, dass sie nicht ernst genommen würden. „We are fed up to be lectured“, sie wollten nicht belehrt werden, so hätte sich noch jemand aus dem Kreis der europäischen Verfassungsrichter geäußert.

Diplomatie als Lösung?

Beide bemühen sich allerdings in ihrem jeweiligen Interview auch um Diplomatie. Lenaerts verweist auf spätere Urteile des Bundesverfassungsgerichts, in denen der Vorrang des EU-Rechts durchaus anerkannt worden sei. Huber meint, am EuGH gäbe es durchaus verschiedene Meinungen. Eine ganze Reihe von Richtern hätten gemeint, dass das deutsche Verfassungsgericht Recht hatte mit seiner Kritik.

Er verweist darauf, dass die Europäische Union kein Bundesstaat sei, wo der Europäische Gerichtshof den Mitgliedsstaaten und den Verfassungsgerichten übergeordnet sei. "Da hat niemand das letzte Wort und niemand die Wahrheit gepachtet. Weder wir noch die Kollegen in Luxemburg."

Der frühere Verfassungsgerichtspräsident Andreas Voßkuhle hatte immer wieder davon gesprochen, dass die Europäischen Gerichte miteinander arbeiten sollten, wie in einem Mobile, das "wenn es gut hängt, sich in voller Pracht vor dem Auge des Betrachters entfaltet".

Aber das gedeihliche Miteinander ist nicht ganz einfach. Denn solange die EU nur ein Staatenverbund ist und kein Bundesstaat, bleiben die nationalen Verfassungen in Kraft. Sie können unter Umständen bremsen, auch wenn der EuGH versucht, im Sinne der Einheitlichkeit in der EU eine Linie vorzugeben. Es mag so scheinen, als ginge es hier um persönliche Eitelkeiten. Aber der Konflikt hat seine Ursachen in diesem strukturellen Widerspruch. Und der lässt sich nicht so einfach auflösen.

Die Justizreporter*innen gibt es in der ARD-Audiothek und auf allen gängigen Podcastplattformen.

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