Von Calw mit dem Zug durch den Schwarzwald zur Arbeit oder in die nächstgrößere Stadt fahren- und das ganz ohne Staus auf den Bundesstraßen, die sich aus dem nördlichen Schwarzwald in die Landeshauptstadt schlängeln. So war es früher einmal, als die Württembergische Schwarzwaldbahn noch durch den Landkreis fuhr.
Schon zu Beginn seiner ersten Amtszeit wollte der Calwer Landrat Helmut Riegger (CDU) die Strecke als Hermann-Hesse-Bahn so schnell wie möglich reaktivieren. Gut für die Calwer. Gut für das Klima. Gut für die Wirtschaft. Da sind sich Landrat, Naturschutzbund und Verkehrsministerium einig. Nur ein geflügeltes Problem gibt es da. Oder besser mehrere tausend davon.
Waldweide statt Schienen: Das ist die neuste Ausgleichsmaßnahme im Kreis Calw
Noch lieber als den Beweidungsbeginn einer Waldweide im Gechinger Wald würde Riegger den Start der Hermann-Hesse-Bahn feiern. Sie ist eine von vielen Ausgleichsmaßnahmen, die für die Reaktivierung der Hermann-Hesse-Bahn geleistet werden müssen. Denn in den Tunneln zwischen Calw und Weil der Stadt, durch die bis 1983 noch Züge rollten, tummeln sich heute Fledermäuse. Und die stehen unter Naturschutz. Der Landrat Helmut Riegger habe "die Sache mit dem Artenschutz" unterschätzt, gibt er selbst zu.
Die Bürokratie ist inzwischen so groß, dass wir sehr viele Hürden überspringen müssen. Und dass dieser Hürdenlauf in einen Marathon ausartet, das hätte ich nicht gedacht.

Hermann-Hesse-Bahn hätte viel früher kommen können
Die Bürokratie hätte viele Arbeitsschritte lange blockiert, findet Riegger. Es hätte viel schneller gehen können, denkt aber auch der NABU-Vorsitzende Johannes Enssle. Er nennt für die Verzögerungen jedoch andere Gründe.
Schon als die ersten Pläne zur Reaktivierung der ehemaligen Württembergischen Schwarzwaldbahn vorlagen, habe der Naturschutzbund auf die Fledermäuse hingewiesen. Wären Zweckverband und Landrat den Artenschutz gleich angegangen, wäre eine so lange Verzögerung womöglich vermeidbar gewesen, meint Enssle. Das Phänomen beobachte er bei Bauprojekten recht oft.
Ich weiß nicht, ob das eine Ignoranz oder eine gewisse Arroganz von Planerinnen und Planern ist. Das Problem ist, wenn man das lange aufschiebt und sagt 'Das mit dem Artenschutz, das machen wir nebenher', dann geht es häufig schief.
Inbetriebnahme war für 2018 geplant
Als Helmut Riegger sich zum ersten Mal mit der Hermann-Hesse-Bahn befasste, sah das Vorhaben für ihn einfach aus. Die Strecke existierte bereits. Wenige Grundstücke entlang der geplanten Strecke gehörten jemandem, es gab keine Streitereien mit Gutachterinnen und Gutachtern, um die naturfreundlichste Strecke zu finden. 2018 sollte die Hermann-Hesse-Bahn bereits in Betrieb genommen werden. Sechs Jahre später baut Landrat Helmut Riegger keine Schienen, sondern Fledermaus-Quartiere und hämmert Fledermauskästen an Bäume.

Der Artenschutz macht ein Drittel der Gesamtkosten aus
Rund 53 Millionen Euro kosten die Maßnahmen insgesamt. Mittlerweile scheinen sich Landratsamt und Naturschutzbund ausgesöhnt zu haben. Die Stimmung im Gechinger Wald ist harmonisch. Jeder lobt die gute Zusammenarbeit und doch lässt Riegger den Aufwand nicht unkommentiert. "Ob es wirklich so viele Maßnahmen hätte sein müssen, sei mal dahingestellt", stichelt er kurz. Alle stellen sich die Frage nach der Verhältnismäßigkeit - auch Johannes Enssle. Er sieht den entscheidenden Punkt aber woanders.
Wäre es verhältnismäßig, wegen einer untergeordneten Regionalbahn zwei Fledermaus-Quartiere von bundesweiter Bedeutung platt zu machen, wo Arten überwintern, die teilweise vom Aussterben bedroht sind?

Wird die Hermann-Hesse-Bahn Ende 2025 in Betrieb gehen?
Riegger rechnet damit, dass die Hermann-Hesse-Bahn Ende 2025 Fahrgäste von Calw nach Stuttgart und zurück bewegen könnte. Die beiden Tunnel sollen sich die Züge dabei mit den Fledermäusen teilen. Auf einen Tunnel im Tunnel hat man sich geeinigt.
Ein "Tunnel im Tunnel" soll die Fledermäuse schützen
Durch eine Trennwand soll eine Hälfte der Röhren allein den Fledermäusen gehören, durch die andere rollt dann ab Herbst 2025 vielleicht die Hermann-Hesse-Bahn. Realistisch ist das aber nur, wenn letzte Tests zur Vergrämung in den nächsten Wochen erfolgreich sind. Wenn also keine Fledermaus mehr in die falsche Tunnelkammer fliegt. Sonst kommt womöglich die nächste Zwangspause.

Der Winterschlaf könnte die Reaktivierung der Hermann-Hesse-Bahn weiter verzögern
Bevor die provisorische Holzkonstruktion durch einen Bau aus Stahlbeton ersetzt wird, müssen die Ultraschall- und Lichtschranken an den Tunneleingängen noch wirksamer werden. Sie sollen die Fledermäuse davon abhalten, in den falschen Tunnel zu fliegen.
Zwei Fledermausarten springen auf diese Vergrämungsmaßnahme noch nicht an. Sollte dieses Problem nicht gelöst sein, bis die Fledermäuse Mitte Oktober ihren Winterschlaf beginnen, können die Tests erst wieder Ende März 2025 aufgenommen werden. Die Inbetriebnahme würde sich um ein weiteres Jahr verschieben.
Hätte der NABU nicht eingelenkt und wäre er nicht bereit gewesen, sich auf Lösungsvorschläge und Kompromisse einzulassen, dann würde die Bahn wahrscheinlich gar nicht fahren.
Trotz aller Meinungsverschiedenheiten und Sticheleien, sind sich die Akteure immerhin im Ziel einig: Die Hermann-Hesse-Bahn wird irgendwann einmal fahren.