Es waren erschreckende Bilder, die die New York Times im Mai veröffentlicht hat. Darauf zu sehen: Ein Schiff der griechischen Küstenwache, finanziert von der europäischen Union; griechische Küstenschützer, die Geflüchtete in ein kleines Boot verfrachten und auf dem Meer aussetzen; unter den Geflüchteten auch eine Frau mit einem sechs Monate alten Baby. Die New York Times hat das Schicksal der ausgesetzten Geflüchteten verfolgt. Metadatenanalyse und digitale Ortung kamen zum Einsatz. Die Geflüchteten wurden ausfindig gemacht und von Reportern interviewt. Diese sammelten viele Beweise für eine illegale Rückführaktion. Und so ist es meistens: Illegale Pushbacks kommen nur ans Licht der Öffentlichkeit, wenn Journalisten aufwendig nachhaken. Beweise müssen mühsam recherchiert werden. Schauplätze der Pushbacks sind die hohe See oder auch dichte Wälder in verschiedenen Grenzgebieten Europas.
Dieser Pushback ist gut dokumentiert
Ganz anders in diesem Fall: Der Flug, der eine syrische Familie nicht nach Athen, sondern zurück in die Türkei brachte, lässt sich genau nachverfolgen. Anwältinnen haben auch herausgefunden, dass 42 Frontex-Beamte mit an Bord waren. Damals im Oktober 2016, als der syrische Bürgerkrieg tobte und tausende flohen, um ihr Leben zu retten.
Geflüchtete zurückweisen, obwohl sie Schutz in Europa suchen. Das widerspricht den Grundsätzen des europäischen Asylrechts. Der Europäische Gerichtshof hat erst im Juni in einem Urteil gegen Ungarn noch einmal bekräftigt: Jeder Geflüchtete, der an eine europäische Grenze kommt, hat das Recht, einen Asylantrag zu stellen. Und das Recht auf ein Asylverfahren. Und dieses Recht gilt auch, wenn der Geflüchtete sich illegal auf dem Hoheitsgebiet eines EU-Landes befindet. Dahinter steht der Grundgedanke: Geflüchtete dürfen nicht zurückgewiesen werden, wenn sie Schutz beantragen wollen. Das ist ein Menschenrecht.
Die EU verhält sich scheinheilig
Ein Menschenrecht, das immer öfter verletzt wird. Bei dem Bericht der New York Times hat die EU-Kommission Aufklärung von Griechenland gefordert. Das ist ziemlich scheinheilig. Denn seit Jahren gibt es Berichte, dass die Europäische Grenzschutzagentur Frontex über die Pushbacks genau Bescheid weiß, diese duldet oder sogar unterstützt. Und mit dem neuen Frontex-Urteil segnet die europäische Justiz ein System der organisierten Verantwortungslosigkeit ab: Frontext muss keinen Schadensersatz an Geflüchtete zahlen, denn hauptverantwortlich für rechtsverletzende Pushbacks seien die EU-Staaten, also vor allem Griechenland.
So stützen die europäischen Richter den Zynismus, der im „System Frontex“ steckt. Europa pocht offiziell und juristisch auf die Rechte von Geflüchteten. Gleichzeitig organisiert es ein Flüchtlingsabwehrsystem, das diese Rechte mit Füßen tritt. Hier einzuhaken wäre die eigentliche Aufgabe der europäischen Justiz: Schadensersatzansprüche gegen Frontex, das wäre ein gutes Instrument, um der EU auf die Finger zu schauen und die Scheinheiligkeit beim Flüchtlingsschutz zu bekämpfen.