Schon auf dem Weg in die Umkleidekabine öffnet Simon ein kleines Päckchen Gummibärchen. Nach ein paar Minuten der erste Blick auf die digitale Armbanduhr: Der Blutzuckerwert ist schon etwas gestiegen, der optimale Wert zum Sportmachen aber noch nicht erreicht. Bevor es zu den anderen auf den Fußballplatz des SVK Beiertheim geht, isst der 13-Jährige noch ein paar Gummibärchen mehr.
Wichtig: Zuckerwerte vor dem Sport checken
Diese Vorbereitungen sind für den 13-Jährigen mittlerweile Routine. Das Checken und Korrigieren seiner Werte mit Zucker oder Insulin ist nicht nur vor dem Fußballtraining notwendig, sondern eine Lebensaufgabe.
Denn Simons Körper reguliert seine Zuckerwerte nicht von allein. Der Grund dafür ist die Autoimmunerkrankung Diabetes Typ 1, bei der die Zellen in der Bauchspeicheldrüse das nötige Hormon Insulin nicht mehr produzieren können. Das bedeutet, dass Simons Körper unbehandelt dauerhaft überzuckert wäre.
Wegen Corona-Lockdown Diabetes Typ 1 bei Kindern bleibt oft unentdeckt
Durch die Corona-Pandemie hat sich die Zahl der Kinder mit einer lebensbedrohlichen Stoffwechselentgleisung aufgrund eines unerkannten Diabetes verdoppelt.
Simon Angerhofer: "Fußball geht auch mit Diabetes"
Beim Training selbst ist die Krankheit für Simon nicht präsent. Wenn er mit den anderen Jugendlichen der C-Jugendmannschaft auf dem Platz steht, fühlt er sich nicht eingeschränkt und ist laut Trainer Leonardo Bianco immer motiviert und mit Freude dabei. Trotzdem ist es für ihn wichtig, seine Blutzuckerwerte ständig im Blick zu halten. Vor allem wenn Anstrengung im Spiel ist. Deshalb habe Leonardo Bianco immer wieder ein Auge auf Simon und weiß, was zu tun ist, wenn sich sein Zustand verschlechtert. Er erkundigt sich immer wieder mal nach dem Spieler, auch wenn Simon ganz selbstständig bemerkt, wenn seine Werte sinken.
Leben mit ständigem Risiko
Bei Menschen ohne Diabeteserkrankung reguliert sich der Blutzuckerwert selbst. Sie bewegen sich zwischen 70 und 150 mg/dl. Bei Simon schwanken sie zwischen 40 und 500. Ein zu niedriger Blutzucker zeigt sich direkt in bestimmten Symptomen, während ein hoher sich akut eher durch Unkonzentriertheit äußert und eher langfristig gesehen problematische Folgen hat.
Was passiert bei Unterzucker?
Im Unterzucker fühlt sich Simon schlapp und seine Hände fangen an zu zittern. Unruhe und verstärktes Schwitzen sind ebenfalls Anzeichen dafür, dass er eine Pause braucht. Dann muss er kurz raus und wieder etwas essen, damit der Zuckeranteil im Blut steigt. Die Werte werden von einem kleinen Messpflaster am Oberarm an eine App gesendet, damit Simon die Werte am Handy oder seiner digitalen Armbanduhr überprüfen kann. Nach zehn Minuten Ausruhen kann er wieder weitermachen.
Zum Glück gab es bisher beim Fußball noch keinen Vorfall, auch wenn Simon und sein Trainer für den Notfall vorbereitet sind. Wenn der Diabetiker aufgrund von Unterzucker in Ohnmacht fallen sollte, bekommt er seine Notmedikamente, die er immer bei sich hat. Vor so einer Situation hat Vater Jürgen Angerhofer Angst. Generell sei er als Elternteil eines Kindes mit dem autoimmunen Typ 1 Diabetes immer im Sorgenmodus. Schließlich ist ein zu niedriger Blutzuckerwert lebensgefährlich und kann schlimmstenfalls zum Tod führen.
Schwankungen erschweren Regulation
Eine Faustregel für den idealen Ausgangswert gibt es leider nicht, was die Regulation zusätzlich erschwert. Die Wirkung von Insulin und Zucker hängt nämlich von verschiedenen Faktoren ab. Hormone oder Krankheiten haben beispielsweise einen Einfluss darauf, welche Blutzuckerwerte gerade gut für Simon sind. Teilweise hat er seine Standardwerte für den Alltag oder Sport gut im Griff und von einem auf den anderen Tag braucht er plötzlich die doppelte Dosis an Insulin, erklärt sein Vater Jürgen Angerhofer.
Für diesen Fall muss die Regulation der Insulinpumpe angepasst werden. Sie kommt zum Einsatz, wenn die Werte zu hoch sind, also der Körper überzuckert ist. "Zu hoch" bedeutet in dem Fall Blutzuckerwerte ab circa 300 mg/dl.
Alltagsbegleiter Diabetes
Ständig darauf achten, ob die Werte zu hoch oder zu niedrig sind, ob er etwas essen darf oder muss, ob er sich bewegen darf oder nicht – das ist im Alltag schon teilweise nervig für den 13-Jährigen. Mittlerweile hat er sich an seine Erkrankung gewöhnt, aber zu Beginn war das schon eine große Umstellung, vor allem im Sport.
Familienmitglied Diabetes
Im Alltag fordert die Krankheit seines Sohnes eine hohe Betreuungsleistung, die für die Familie teilweise eine Belastung ist. Jürgen Angerhofer spricht vom Diabetes Typ F. F steht für Familie, da durch Simons Erkrankung die ganze Familie betroffen sei. Das ständige Risiko, das Beobachten und Regulieren der Werte und der Hochzucker, der sich besonders nachts bemerkbar macht, seien auf Dauer anstrengend. Seinen Sohn nicht unbeschwert aufwachsen zu sehen, beschäftigt den Vater.
Für Außenstehende wirkt das Thema Diabetes aufgrund der guten Umgangsmöglichkeiten mit der Krankheit oft banal, findet Angerhofer. Dass die Realität besonders mit Blick auf Folgeerkrankungen anders aussieht, merkt der Vater alltäglich. Immer wenn es um alltägliche Dinge wie Essen oder sportliche Betätigung geht, sei die Krankheit Thema.
Sport zum Spaß - und für die Gesundheit
Dass Simon viel Begeisterung am Sport zeigt, ist ein Vorteil für sein Leben mit Diabetes. Je mehr sich der Sportbegeisterte nämlich bewegt, desto weniger ist er auf Insulin angewiesen. Deshalb hat der Fußball nicht nur als Freizeitgestaltung einen hohen Stellenwert für den Jugendlichen, sondern auch aus gesundheitlicher Sicht.
Beim Fußball spielt Diabetes für Simon eigentlich keine Rolle und er kann unbeschwert mit seiner Mannschaft kicken. Neben dem SVK Beiertheim ist er sogar in einem zweiten Verein aktiv, der eine Besonderheit mit sich bringt: Im FC Diabetes spielen nur Kinder, die auch mit Diabetes Typ 1 leben. Sie haben die Möglichkeit, sich mit Betroffenen aus Deutschland ihrer Altersklasse auszutauschen und teilen neben Diabetes vor allem die Leidenschaft am Fußballspielen.
Im kommenden März geht es für die Spieler zu einer Meisterschaft nach Polen, bei der einige Diabetesvereine aus ganz Europa gegeneinander antreten werden.