Es war für viele Menschen in Baden-Württemberg ein Schock: ein Krieg mitten in Europa hatte am 24. Februar 2022 begonnen - in einem Land, das nur etwas mehr als 1.000 Kilometer entfernt von uns liegt. In vielen Städten und Gemeinden bundesweit und auch in Baden-Württemberg entstanden spontane Hilfsaktionen, wie zum Beispiel in Hirschberg (Rhein-Neckar-Kreis), Uhldingen-Mühlhofen (Bodenseekreis) und Sindelfingen (Kreis Böblingen).
"Wir wurden geradezu überrannt damals," erzählt Jens Musleh, der in Sindelfingen eine Hilfsaktion mitorganisiert hat. In einer früheren Veranstaltungshalle der Stadt wurde kurzerhand Sachspenden für "Helfen statt Hamstern" gesammelt. Wer etwas abliefern wollte, musste teilweise eine halbe Stunde warten: Stoßstange an Stoßstange standen die Autos vor dem Parkplatz der Halle, um Kisten zum Beispiel mit Konservendosen, Hygieneartikeln oder Winterkleidung abzugeben.
Vor knapp einem Jahr startete "Helfen statt Hamstern" mit Sachspenden für die Ukraine:
Die Sindelfinger Hilfsaktion hatte schon nach wenigen Tag mehr als 600 Helferinnen und Helfer. Speditionen und Unternehmen aus dem Raum Stuttgart, wie die Firma Keysight aus Böblingen oder Daimler Truck aus Leinfelden-Echterdingen, stellten Lkw oder zum Teil sogar Personal kostenfrei für einige Zeit zur Verfügung. Hilfsgüter wurden vor allem in die polnische Partnerstadt Sindelfingens nach Chelm, nahe der polnisch-ukrainischen Grenze gebracht. Von dort wurden sie weiter an Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine verteilt. "Die Solidarität damals war riesengroß," erzählt der 49-Jährige. Nach Angaben von "Helfen statt Hamstern" waren es bis Ende 2022 72 Sattelzüge, 56.600 Karton und 2.760 Paletten. Die letzte Sammelaktion fand im November statt. "Da kamen 60 Paletten Kleiderspenden zusammen, also zwei Laster voll," sagt Musleh. Die seien dann vom polnischen Roten Kreuz weiter in den Osten der Ukraine verteilt worden.
Internet für Krankenhäuser in der Ostukraine ermöglichen
Der Hilfsverein aus Sindelfingen schickt jetzt allerdings keine Lkw mit Hilfsgütern mehr in die Ukraine oder nach Polen. Mittlerweile liefert der Verein vor allem Gerät für die Infrastruktur in den Nordosten der Ukraine. "Dort sind viele Regionen von der Infrastruktur abgeschnitten, haben zum Beispiel kein Internet. Da wollen wir jetzt vor allem helfen", sagt Musleh.
Wichtig sind Geldspenden
Die Sindelfinger Helferinnen und Helfer schicken deshalb Starlink-Hardware in Regionen des Kriegsgebiets, wo es kein Internet gibt. "Tausend Euro kostet Starlink für ein halbes Jahr - 400 Euro die Hardware, die Gebühr für ein halbes Jahr beträgt 600 Euro. Deshalb benötigen wir derzeit keine Sachspenden mehr, sondern Geldspenden", so Musleh. Später sollen noch Stromgeneratoren geliefert werden.
Die Reutlinger Organisation "3 Musketiere Reutlingen e.V." ist nach eigenen Angaben seit dem vierten Kriegstag regelmäßig in der Ukraine. Erst Ende Januar kamen Helferinnen und Helfer des Vereins aus der Ostukraine zurück. Markus Brandstetter, einer der Mitgründer der Organisation, war seit Kriegsbeginn insgesamt sieben Monate in der Ukraine. Jeden Monat bringe "3 Musketiere Reutlingen e.V." 40 Tonnen Hilfsgüter in die Stadt Charkiw, so Brandstetter. Von dort würden sie mit kleineren Fahrzeugen in andere Orte bis circa vierzig Kilometer an die Front weitertransportiert, zum Beispiel nach Lyman, Sloviansk, Kramatorsk. "Unser Schwerpunkt liegt auf der Unterstützung der Menschen im Osten der Ukraine. Hier unterstützen wir nahe der Front mit Lebensmitteln, warmen Decken, Schlafsäcken und aktuell Stromgeneratoren."
"Aufgrund der Frontnähe hören wir beinahe ohne Pause die Explosionen der Artillerie und sind auch selbst einem gewissen Risiko ausgesetzt unter Beschuss zu geraten. Den zurückgebliebenen Menschen fehlt es eigentlich an allem", erzählt Brandstetter. Am schlimmsten sei es aber dann, wenn über mehrere Tage die Infrastruktur zusammenbricht.
Spenden weiter dringend notwendig
Viele der Organisationen und Hilfsvereine in Baden-Württemberg stellten zu Beginn des Krieges eine enorme Spendenbereitschaft in der Bevölkerung fest. "Diese Bereitschaft hat mit Sicherheit nachgelassen und ist längst nicht mehr auf dem sehr hohen, beinahe schon extremen Niveau wie zu Beginn des Krieges," sagt Markus Brandstetter von dem kleinen Reutlinger Hilfsverein. Er macht sich auch deshalb Sorgen, wie lange sein kleiner Hilfsverein weitermachen kann, wenn nicht genug Spenden eingehen. Im Moment reicht das Budget noch für einige Monate, so Brandstetter. Er will sich dennoch nicht unterkriegen lassen. "Ich sage immer, wenn unser Budget zu Ende ist, dann machen wir trotzdem weiter. Dann gehen wir dort hin und schmieren Butterbrote."
Bereitschaft zu helfen, weiter sehr hoch
Auch am Bodensee in Uhldingen-Mühlhofen gibt es nach wie vor noch viele Ehrenamtliche, die sich beim Hilfsverein Umum.e.V. für die Menschen in den Kriegsgebieten in der Ukraine engagieren. "Erst im Dezember und Januar gab es eine Sammelaktion für die Ukraine bei uns", berichtet Susanne Hofmaier, die Integrationsbeauftrage der Gemeinde. "Es kamen unglaublich viele Sachspenden an - mehr noch als bei der Sammelaktion im letzten Sommer."
Es gebe derzeit einen Helferpool von rund 15 Leuten. Ukrainerinnen und Ukrainer, die in der Region Zuflucht gefunden hätten, würden auch mit anpacken. Immer wichtiger werden laut Hofmaier aber auch Geldspenden: "Zuletzt kamen 3.000 Euro rein. Damit haben wir Stromgeneratoren und Medikamente besorgt." Der Hilfsverein Umum e.V. verschickt die Güter und Sachspenden, wie Schlafsäcke, Kerzen und Werkzeug an die Front sowie an Krankenhäuser in der Ukraine.