Zu geringe Schutzmaßnahmen?

Moderner Bankraub: Das Sprengen von Geldautomaten wird in BW zu einem Dauerproblem

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Autor/in
Oliver Linsenmaier
Bild von Oliver Linsenmaier

Fast schon wöchentlich werden in Baden-Württemberg Geldautomaten gesprengt. Innenminister Strobl will, dass sich die Banken besser schützen. Machen sie es den Tätern zu einfach?

Rottenburg, Pforzheim-Eutingen, Pforzheim-Haidach, Bretzfeld-Schwabbach - die Liste von einschlägigen Tatorten ließe sich beliebig erweitern. Schließlich handelt es sich dabei nur um die Orte aufgesprengter Geldautomaten in den vergangenen drei Wochen. Im zurückliegenden Jahr 2022 waren es insgesamt 34, wie das Landeskriminalamt (LKA) auf SWR-Anfrage mitteilt. Knapp 1,9 Millionen Euro konnten die Täter so erbeuten. Längst hat die Sprengung von Geldautomaten den "klassischen Bankraub" abgelöst, wie das Innenministerium schreibt. Umso drängender stellt sich die Frage, ob die Sicherheitsvorkehrungen in Baden-Württemberg ausreichen. Dabei gehen die Meinungen weit auseinander.

Für Innenminister Thomas Strobl (CDU) ist die Situation klar. Die Polizei setze bereits alles daran, die Täter "dingfest zu machen". Daher nimmt er die Hersteller und Banken in die Pflicht. Sie müssten nachjustieren, beispielsweise mit Hilfe von Einbruchmeldeanlagen, Videotechnik, dem Anschluss an eine zertifizierte Notruf- und Serviceleitstelle oder noch sicherere Geldautomaten. "Unsere Nachbarländer verwenden erfolgreich Einfärbe- und Klebesysteme, um im Fall einer Sprengung Bargeld unbrauchbar zu machen. Geldautomatenbetreiber und -hersteller müssen hier nachziehen, auch bei uns in Deutschland für mehr Sicherheit sorgen - etwa durch den Einsatz von Vernebelungstechnik oder Einfärbe- und Klebesystemen", sagt er dem SWR.

Sparkassenverband widerspricht Strobl

Dem erwidert der Sparkassenverband Baden-Württemberg, dass man bereits einiges getan habe. Man würde "schon lange in standortindividuelle Sicherungsmaßnahmen" investieren, "die nicht nur darauf abzielen, den Erfolg der Tat zu erschweren, sondern die Tat schon im Vorfeld zu verhindern", sagt Sprecher Stephan Schorn.

Wie das genau aussieht, führt er nicht aus. Allerdings würden die Sicherungskonzepte "bauliche, mechanische, elektronische und organisatorische Maßnahmen" umfassen. Dazu gehört neben der nächtlichen Schließung von Gebäuden auch die Einfärbung des Geldes im Falle einer Explosion, die an manchen Automaten bereits eingesetzt werde, erklärt Schorn. Im Fokus stehen vor allem Standorte, die als besonders gefährdet gelten, weil sie beispielsweise in der Nähe einer Autobahn liegen und die Täter somit schnell fliehen können. Auch die Nähe zu Landesgrenzen ist laut Innenministerium ein Faktor.

"Viele Sparkassen haben ihre Geldautomaten an gefährdeten Standorten bereits umgerüstet und dafür zum Teil sehr viel Geld investiert."

Laut Schorn sollen alle Geldautomaten an besonders gefährdeten Standorten bereits umgerüstet oder ausgetauscht worden sein. Eine genaue Zahl kann er nicht nennen, da die 50 Sparkassen in Baden-Württemberg nicht verpflichtet seien, die Umrüstungen zu melden. Aber klar ist auch: Die Um- und Aufrüstung allein der insgesamt 2.000 Sparkassen-Geldautomaten im Land würde sehr viel Geld kosten - rund 60 Millionen Euro.

Geldautomaten in BW werden auch abgebaut

Daher schaut die Sparkasse auch ganz genau, welche Sicherungsmaßnahmen sich für welchen Standort eignen. Gibt es keinen passenden "Maßnahmen-Mix", werden und wurden auch schon Geldautomaten in Baden-Württemberg geschlossen. Wie viele genau das sind, sagt Schorn nicht.

Unterdessen werden weiterhin Geldautomaten gesprengt. Elf waren es bei der Sparkasse im ersten Halbjahr 2022. Die Zahlen für das zweite Halbjahr liegen noch nicht vor. Allerdings geht Schorn davon aus, dass die Zahl aus dem Jahr 2021 mit insgesamt 25 wohl wieder erreicht werden dürfte.

55.000 Geldautomaten gibt es in ganz Deutschland

Dass es derzeit so viele gesprengte Geldautomaten gibt, liegt auch daran, dass sich der Bargeldverkehr in den Banken vom Schalter weg zu den Geldautomaten verlagert hat. Damit sind diese für die Täter deutlich lukrativer - und rund um die Uhr zugänglich. Außerdem ist Deutschland mit seinen derzeit mehr als 55.000 Geldautomaten besonders attraktiv für diese Form des Bankraubs, zumal sich in den Automaten meist auch noch sehr viel Geld befindet.

Als ob das noch nicht reichte, sorgen auch die deutlich höheren Sicherheitsstandards der Banken in anderen Ländern laut Bundeskriminalamt (BKA) für einen Verdrängungseffekt in Richtung Deutschland. Gerade den Niederlanden fällt in diesem Zusammenhang eine besondere Rolle zu. So hat die Hälfte der Tatverdächtigen, die in Deutschland einen Geldautomaten sprengen, einen niederländischen Pass. Nur ein Viertel besitzt einen deutschen Pass.

Besondere Rolle der Niederlande

Ein "verstärkter Strafverfolgungsdruck durch die niederländischen Strafverfolgungsbehörden und vor allem verstärkte Präventionsmaßnahmen seitens niederländischer Finanzinstitute" habe laut BKA zu diesem Verdrängungseffekt geführt. Deswegen liegt die Zahl der gesprengten Geldautomaten in Bundesländern wie Nordrhein-Westfalen (NRW), die näher an den Niederlanden liegen, noch deutlich höher. Allein in NRW gab es laut dortigem Landeskriminalamt mehr als 180 Sprengungen von Geldautomaten.

Dennoch möchte das LKA in Baden-Württemberg nicht davon sprechen, dass die Sprengung von Geldautomaten in Deutschland einfacher sei. Nur für "einzelne Tätergruppierungen mag dies eine Überlegung sein", heißt es.

Täter werden immer erfolgreicher

Tatsache ist aber, dass die Täter in Baden-Württemberg immer erfolgreicher werden. Zwar lag die reine Anzahl der Sprengungen im Jahr 2022 mit 34 auf dem Niveau von 2019 (33). Doch hat sich das Verhältnis zwischen Versuchen und "Vollendungen", wie das LKA die erfolgreichen Versuche bezeichnet, verschoben.

Waren die Täter 2019 bei 33 Fällen gerade einmal 13 Mal erfolgreich (2020: 41-16), so ist seit 2021 eine klare Tendenz zu erkennen. Von 24 Fällen im Jahr 2021 waren 17 erfolgreich. Im vergangenen Jahr hatten die Täter bei 23 von 34 Versuchen Erfolg. Das erklärt auch den Anstieg des in Baden-Württemberg erbeuteten Geldes von 1,44 Millionen Euro (2019) über 1,7 Millionen (2020) bis hin zu 2,1 und 1,9 Millionen Euro in den Jahren 2021 und 2022.

Vereinzelte Fahndungserfolge: Mehrere Tatverdächtige festgenommen

Zwar verzeichnet die Polizei immer wieder auch Fahndungserfolge, wie in Rosenberg oder Lorch-Waldhausen (jeweils Ostalbkreis) oder Göppingen. Eine konkrete Aussage über die Aufklärungsquote will das LKA jedoch nicht treffen. Die Ermittlungen seien sehr personal- und zeitaufwendig, erklärt die Behörde: "Wir stehen auf Bundes- und europäischer Ebene in engem Informationsaustausch mit den Strafverfolgungsbehörden. Dennoch ist die Bekämpfung dieses Phänomens eine große Herausforderung für die Polizei."

Strobl kann sich Gesetzesänderung vorstellen

Umso stärker drängt Innenminister Strobl darauf, dass Hersteller und Betreiber nachjustieren. Eine rechtliche Verpflichtung, entsprechende Sicherungsmaßnahmen zu treffen, gibt es in Baden-Württemberg aktuell noch nicht. Doch kann sich Strobl das durchaus vorstellen. "Sollte das auf freiwilliger Basis nicht geschehen, wird eine gesetzliche Pflicht der Hersteller und Betreiber der Geldautomaten zur Umsetzung geeigneter Schutzmaßnahmen notwendig", sagt er. "Wir setzen derzeit darauf, dass die Wirtschaft das zu ihrem eigenen Schutz und Nutzen ohne staatlichen Zwang umsetzt."

Davon hält der Sparkassenverband nur wenig. Schließlich seien alle Banken und Sparkassen ohnehin bestrebt, die Geldautomaten möglichst gut zu sichern. "Das ist schon heute, ganz ohne gesetzliche Vorgabe, so", sagt Sprecher Schorn. Zudem gebe es nicht die eine Maßnahme, durch die eine Sprengung garantiert vermieden werden könne.

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