Noch Mitte November war die Sorge vor der "Höllenhund"-Variante des Coronavirus groß. Sollte sich die Omikron-Variante BQ.1.1 durchsetzen, sei noch einmal mit einem schwierigen Winter zu rechnen, hatte auch Virologe Christian Drosten gemahnt. Diese Befürchtung jedoch ist - zumindest bislang - nicht eingetreten. Deutschland hat einen vergleichsweise milden Herbst hinter sich, was das Coronavirus betrifft. Und auch der Winter verläuft bisher entspannter als in den Vorjahren.
"Nach fast drei Jahren sind wir jetzt in einer Situation, in der wir optimistischer in die Zukunft blicken können", sagt die Tübinger Ärztin Lisa Federle dem SWR. Es zeichne sich langsam ab, dass der ursprüngliche Covid Wildtyp mittlerweile zu einem endemischen, weniger gefährlichen Virus mutiert sei.
Krankenhausgesellschaft: Corona-Impfung zeigt Wirkung
Die Baden-Württembergische Krankenhausgesellschaft (BWKG) bestätigt diese Beobachtung. Aktuell werden rund 125 Patientinnen und Patienten wegen einer Corona-Infektion auf den Intensivstationen im Land behandelt. Im vergangenen Jahr seien es rund 600 gewesen, so eine BWKG-Sprecherin. Die Zahl der Corona-Kranken auf den Normalstationen ist dagegen vergleichbar: Mit aktuell rund 1.450 Patientinnen und Patienten sei das Niveau etwa auf dem gleichen wie im gleichen Zeitraum 2021. Das zeige, dass die Omikron-Variante deutlich weniger schwere Krankheitsverläufe hervorrufe und die Corona-Impfungen ihre Wirkung zeigten.
Keine werktäglichen Corona-Berichte mehr
Die Zeichen stehen also auf Entspannung. Politisch hat sich das bereits niedergeschlagen. Viele Corona-Einschränkungen in Baden-Württemberg, die mehr als zwei Jahre lang zum Alltag der Menschen gehörten, sind weggefallen. Gültig sind noch Basismaßnahmen wie die Maskenpflicht in Bussen und Bahnen. Isolationspflicht, Quarantänebestimmungen, Testpflichten dagegen - weitgehend aufgehoben. Hinzu kommt: Von diesem Freitag an wird das Landesgesundheitsamt keine werktäglichen Corona-Berichte mehr veröffentlichen, sondern nur noch jeden Donnerstag einen Wochenbericht. Der Grund: Die täglichen Fallzahlen hätten "für die Öffentlichkeit nicht mehr dieselbe Bedeutung wie zuvor".
Coronaviren spielen eine geringere Rolle
Nachvollziehbar, meint David Beck von der SWR Redaktion Wissen. Die Zahlen von aktuell mit dem Coronavirus-Infizierten seien ohnehin zunehmend unzuverlässig. Da Betroffene einen PCR-Test grundsätzlich nicht bräuchten, dürfte die Dunkelziffer bei den erfassten Zahlen sehr hoch sein. "Vor dem Hintergrund ist es schon sinnvoll, die Corona-Berichterstattung dem Robert Koch-Institut zu überlassen", schlussfolgert Beck. Zudem: Coronaviren seien zwar noch im Umlauf - und können vor allem für bestimmte Gruppen auch noch gefährlich werden. "Aber sie spielen bei der aktuellen Infektionswelle von Atemwegserkrankungen nur eine geringe Rolle."
Grippe- und RS-Viren sind stärker verbreitet
Stärker verbreitetet sind derzeit andere akute Atemwegserkrankungen, wie der aktuelle Wochenbericht des RKI zeigt. Bei bundesweit rund 270 stichprobenartig untersuchten Patientenproben aus Arztpraxen handelt es sich überwiegend um die Grippe, das RS-Virus und nur zu einem geringen Anteil um SARS-CoV-2. "Die Fälle von Grippe- und RSV-Infektionen sind zurzeit unverhältnismäßig hoch", bestätigt SWR-Wissensredakteur Beck.
Beck mahnt zu Vorsicht. Auch Grippe- und RS-Viren könnten gefährlich werden, vor allem für Kinder und ältere Menschen - gerade zur Zeit. Denn die Zahl der Atemwegserkrankungen in der vergangenen Woche ist zwar leicht zurückgegangen. Das Niveau bleibt insgesamt aber deutlich über dem Höhepunkt der starken Grippewelle 2017/18, so das RKI. Das Ansteckungsrisiko ist also hoch.
Experten mahnen zur Vorsicht an Weihnachtstagen
Und gerade bei der anstehenden Weihnachtszeit kann die Situation noch einmal eine neue Dynamik entwickeln. Weil viele Menschen ihre Familien besuchten, könnte das die Grippe- und RS-Virus-Welle vorantreiben, so Beck.
Weil auch das Coronavirus für bestimmte Risikogruppen immer noch gefährlich ist, rät Lisa Federle weiterhin zu Masken und Tests - oder auch dem Familienfest fernzubleiben. An den Weihnachtsfeiertagen könne dieses Jahr auf "eigenverantwortliche" Schutzmaßnahmen gesetzt werden. Vorgeschriebenen Corona-Beschränkungen wie in den zwei Jahren gibt es dieses Mal an Weihnachten nicht. "Wir sind deutlich besser vorbereitet, wir haben eine hohe Immunität und haben es gelernt, mit dem Virus umzugehen", sagt Federle.
SWR-Experte: Coronavirus trotzdem im Blick behalten
Die Tübinger Ärztin erinnert jedoch daran, dass die Situation weiterhin eine "gewisse Dynamik" habe. Auch Beck betont, das Coronavirus in Zukunft weiter zu beobachten. "Es besteht immer noch die Möglichkeit, dass eine neue Variante entsteht, die auch wieder gefährlicher werden könnte." Aber selbst dann würde eine Impfung noch sehr wahrscheinlich vor einem schweren Verlauf schützen, so Beck.