Wehrpflicht, Militärstützpunkte und Verteidigungsfähigkeit. All das hat viele Jahre kaum eine Rolle in der Bundesrepublik gespielt. Doch mit dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine hat sich das Bewusstsein verschoben. Wie steht es aktuell um die Truppen in Baden-Württemberg? Und was denken Jugendliche über eine mögliche Rückkehr zur Wehrpflicht? Eine Annäherung.
Ein Panzer nach dem anderen rollt ganz langsam auf Flachwagen im Güterbahnhof in Kehl (Ortenaukreis). Helfer wie Oberfeldwebel Simon L. weisen die Fahrer ein. Es ist nicht ganz einfach, die großen Panzer auf die Schiene zu kriegen. Mit schweren Sicherheitsketten werden sie befestigt. "Wir bewegen hier 33 Tonnen. Wir haben einen Spielraum von einem Zentimeter. Nach links und nach rechts", erklärt Simon L. vom Jägerbataillon 292 aus Donaueschingen. Sie üben für den Ernstfall.
Die ganze Sendung "Zur Sache Baden-Württemberg" vom 25. Januar 2024 gibt es hier:
Trainieren für den Ernstfall
Der Verteidigungsfall von Deutschland oder eines NATO-Partners, in dem dann alles schnell und eingespielt klappen müsste: Dafür wird jetzt trainiert, in der Oberlausitz auf einem Truppenübungsplatz, erklärt Oberstleutnant Sascha W.. Er leitet die Logistik der Truppe aus Donaueschingen (Schwarzwald-Baar-Kreis).
Vier Wochen lang sollen sie Angriff und Verteidigung üben. "Durch das geänderte sicherheitspolitische Umfeld ist es jetzt so, dass das Verladen auf einen Zug jetzt doch des Öfteren vorkommt und wir diese Tätigkeit wieder verstärkt üben", sagt Sascha W.. Die Bündnis- und Landesverteidigung rücke nun in den Fokus.
Kommando koordiniert die Truppen Großmanöver der NATO: Ulm spielt wichtige Rolle
Die NATO hat ihr größtes Manöver seit dem Kalten Krieg gestartet. Von Ulm aus werden die Truppen koordiniert, sagt der dortige Generalleutnant. Er plädiert außerdem für eine Wehrpflicht.
Derzeit 16 Militärstützpunkte in Baden-Württemberg
Gefechtsübungen, dazu NATO-Missionen und Bündnisverpflichtungen. Die Truppe, an der Jahrzehnte lang gespart wurde, ist plötzlich besonders gefordert. Militärstützpunkte wie zum Beispiel Donaueschingen sind in den vergangenen Jahren abgebaut worden. Aktuell gibt es noch 16 in Baden-Württemberg. Einst waren es fast doppelt so viele.
Ob und wie sich Deutschland verteidigen kann, hatte nach Ende des Kalten Krieges an Bedeutung verloren. Nun entwickelt Deutschland erstmals seit Jahrzehnten wieder einen umfassenden Verteidigungsplan. Das teilte ein Sprecher des Territorialen Führungskommandos am Donnerstag mit. Mit dem sogenannten "Operationsplan Deutschland" (OPLAN) sollen Zivilschutz, Militär, Industrie und Katastrophenschutz sich besser vernetzen und austauschen. Neue Probleme und Herausforderungen wie Fake News, Cyberattacken und -krieg sollen dabei berücksichtigt werden.
CDU fordert mehr Bevölkerungs- und Katastrophenschutz
Thorsten Frei, parlamentarischer Geschäftsführer der CDU im Bundestag, forderte in der SWR-Sendung "Zur Sache Baden-Württemberg", mehr in den Bevölkerungs- und Katastrophenschutz zu investieren: "Ich glaube schon, dass wir uns auf schwierige Situationen vorbereiten müssen. Wir tun in Deutschland viel zu wenig." Frei verwies auf Schutzräume für die Bevölkerung. In anderen Ländern gäbe es in großen Städten, wie beispielsweise im finnischen Helsinki, Schutzräume für mehrere hunderttausend Menschen.
Zurück zur Wehrpflicht?
Im Zuge der neuen Bedrohungslage gibt es aber auch eine Diskussion darüber, wer Deutschland im Ernstfall verteidigt. Und ob man junge Menschen wieder dazu verpflichten sollte. Bisher ist aber noch unklar, wie ein reformierter Pflichtdienst aussehen könnte. Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) hatte im Dezember 2023 das sogenannte schwedische Modell vorgeschlagen. Es setzt auf eine Mischung aus Freiwilligkeit und Verpflichtung. Alle Volljährigen eines Jahrgangs werden dabei schriftlich angefragt.
Doch was denken Jugendliche darüber, nach der Schule nicht zu studieren, eine Ausbildung zu machen oder ins Ausland zu gehen, sondern Dienst an der Waffe zu leisten? Einen Eindruck bekommt man am Parler-Gymnasium in Schwäbisch Gmünd (Ostalbkreis). Die Schule spielt seit Jahren eine große Rolle beim bundesweiten Debattierprojekt "Jugend debattiert".
Rund 25 Schülerinnen und Schüler zwischen 15 und 18 Jahren treffen sich hier wöchentlich, um über Politik zu sprechen. "Im vergangenen Jahr wollte ich mit ihnen über die Dienstpflicht reden. Und von sich aus haben die Jugendlichen dann angefangen über die Rolle der Bundeswehr und möglichen sozialen Einsätzen zu sprechen. Heute wollen wir das nochmal aufgreifen", erklärt Lehrerin Anja Wagner.
Entscheidungsfreiheit für Jugendliche wichtig
Lara-Maria Gehrung ist 17 Jahre alt und sitzt für die Grüne Jugend im Jugendgemeinderat von Schwäbisch Gmünd. Sie wünscht sich, dass die Bundeswehr vor allem an ihrem Image arbeitet. "Ich glaube, die Bundeswehr hat durchaus Möglichkeiten, sich attraktiver zu gestalten. Ich finde, junge Frauen müssten vielmehr auch angesprochen werden und kommuniziert werden, was das auch bedeutet, wenn ich als junge Frau in die Bundeswehr gehe. Es muss aufgeklärt werden, was das bedeutet, was ich davon mitnehmen kann, wie die Gesellschaft profitiert."
Die meisten anderen in ihrer AG sehen es ähnlich. Vor allem das Thema Entscheidungsfreiheit steht für die jungen Menschen im Vordergrund. Prinzipiell lehnt hier niemand die Bundeswehr an sich ab. Keine andere Wahl zu haben, als dorthin zu gehen, kann sich aber kaum jemand vorstellen.