Der Bundestag hat am Donnerstag einen gemeinsamen Antrag von SPD, Grünen, FDP und CDU/CSU einstimmig angenommen, der die Verbrechen der Terrororganisation Islamischer Staat (IS) an den Jesidinnen und Jesiden als Völkermord anerkannt. Mehr als 5.000 Jesidinnen und Jesiden seien vor allem im Jahr 2014 vom IS im Nordirak gequält und brutal ermordet worden. Frauen wurden als (Sex-)Sklavinnen verkauft und misshandelt, zudem wurde kulturelles Kulturgut zerstört.
Baden-Württemberg kümmert sich um jesidische Frauen und Kinder
"Wir verneigen uns vor den Opfern des Islamischen Staates." Mit diesen Worten beginnt der Antrag von SPD, Grünen, FDP und Union. Die Bundesregierung wird darin aufgefordert, die Möglichkeit zu einer internationalen politischen Konferenz zur Sicherheit und zum Wiederaufbau der noch großteils zerstörten jesidischen Heimatorte am nordirakischen Sindschar-Gebirge zu prüfen. In Asylverfahren soll die andauernde Verfolgung von Jesiden anerkannt werden.
Kretschmann: "Anerkennung ist herausragendes Signal der Gerechtigkeit"
Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) sagte nach der Bundestagsentscheidung, die offizielle Anerkennung des Völkermords an den Jesiden sei für die Betroffenen ein herausragendes Signal der Gerechtigkeit. Baden-Württemberg hatte bereits 2015 rund 1.000 jesidischen Frauen und Kindern aufgenommen. Sie wurden über ein Sonderkontingent ins Land geholt. Sie wurden unter anderem psychologisch und medizinisch begleitet. Kretschmann sprach am Donnerstag von einem gemeinsamen Kraftakt, den man damals unternommen habe. Es sei gelungen 1.000 besonders schutzbedürftige Personen aufzunehmen. Unter ihnen war zum Beispiel Nadia Murad, die 2018 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet wurde.
Kretschmann zeigte sich überzeugt, dass eine humanitäre, kontrollierte Hilfe und Aufnahme für die am schwersten betroffenen Menschen in Kriegs- und Krisengebieten möglich sei. Er rief dazu auf, nicht damit nachzulassen, diesen Menschen zu helfen.
Angst und Albträume auch acht Jahre danach
Heute leben viele jesidische Frauen und Kinder nach wie vor in Baden-Württemberg. Viele von ihnen sind weiter traumatisiert, haben Angst. Wenn sie über ihre Vergangenheit sprechen, wollen sie oft anonym bleiben. Eine 43-jährige Frau aus Stuttgart sagte jetzt, viele Jahre nach ihrer Aufnahme in Baden-Württemberg, dem SWR, das Leid, dass wir erlebt haben, werden wir nie vergessen können.
In Stuttgart macht die Jesidin eine Therapie und lernt Deutsch. Ihr einziger Antrieb sind ihre drei Kinder. Sie lebe für die Zukunft ihrer Kinder. Nur dafür stehe sie jeden Morgen auf, so die Frau.
Ungewissheit über das Schicksal von Familienmitgliedern bis heute
Jihan Alomar war zehn Jahre alt, als sie und ihre gesamte Familie vom IS im Nordirak gefangen genommen wurden - zehn Monate lang. Sie weis bis heute nicht, ob ihr Vater und ihr großer Bruder noch leben. Albträume und der Schmerz über das Erlebte sind ihr täglicher Begleiter.
Der Start in Baden-Württemberg war nicht leicht. Sie hatte keine Freunde, konnte die Sprache nicht so gut. Und sie erlebte Rassismus. Sie solle zurück in ihr Land gehen, bekam sie zu hören.
Heute lebt die mittlerweile 18-Jährige in Tübingen und blickt optimistisch in die Zukunft. Sie hat bereits Deutsch gelernt, macht ihren Realschulabschluss und will später Lehrerin werden. Und will über das Schicksal der Jesidinnen und Jesiden aufklären: als Buchautorin. Ein Buch hat sie bereits geschrieben, ein zweites soll folgen.