Wirtschafts- und Kommunalverbände in Baden-Württemberg sprechen sich für ein klares Bekenntnis zum Flächenbedarf aus. Unter dem Motto "Zukunft braucht Fläche" haben elf Verbände am Donnerstag ein gemeinsames Positionspapier vorgestellt. Ende Oktober endet die Anhörungsfrist zum neuen Landesentwicklungsplan.
Es gehe um die Zukunftsfähigkeit des Industriestandorts Baden-Württemberg und seiner Arbeitsplätze, heißt es in dem Papier. Ausreichend verfügbare und zusätzliche Flächen seien erforderlich, um beispielsweise Investitionen von Unternehmen zu sichern oder dringend benötigten Wohnraum zu schaffen. Davon hänge die Wettbewerbsfähigkeit Baden-Württembergs ab, sagte am Donnerstag der Hauptgeschäftsführer der Industrie- und Handelskammer BW (IHK) Thilo Rentschler.
Gemeindetags-Präsident Steffen Jäger betonte, pauschale Flächen-Begrenzungsvorgaben seien nicht das Mittel der Wahl. "Es geht darum, dass man vor Ort versucht, Lösungen für das Allgemeinwohl zu finden. Und da gehört eben zur Erkenntnis dazu, dass die vielen Tausenden Windräder, die vielen Hektar Photovoltaikanlagen, die Hunderttausenden Wohnungen, die neuen Stromleitungen und die innovativen Firmengebäude für die Transformation der Wirtschaft sich eben nicht in die Luft hängen lassen", so Jäger.
Baden-Württemberg hat aktuell die rote Laterne in Sachen Wirtschaftswachstum, die Kurve zeigt nach unten: Die Wirtschaftskraft ist zuletzt um minus 1,3 Prozent geschrumpft.
Wirtschaftsbündnis: "Brauchen 86.000 Hektar mehr Baufläche"
Das Bündnis aus Wirtschafts- und Kommunalverbänden rund um die IHK, den Landkreistag, das Handwerk und Unternehmen hat am Donnerstag vorgerechnet, dass es ihrer Analyse nach in den nächsten Jahren mindestens 86.000 Hektar neue Baufläche brauche. Das entspricht demnach plus 2,4 Prozent der Gesamtfläche Baden-Württembergs.
Widerspruch zu Naturschutzverbänden
Diese Forderung steht im Widerspruch zum Bündnis "Ländle Leben lassen" von Naturschutz- und Landwirtschaftsverbänden. Sie wollen eine Obergrenze für den Flächenverbrauch, waren mit einem Volksantrag im Landtag aber gescheitert.
Die baden-württembergische Landesvorsitzende des Bundes für Umwelt- und Naturschutz (BUND) Sylvia Pilarsky-Grosch zeigte sich am Donnerstag von den Forderungen des Wirtschaftsbündnisses nicht überzeugt. Sie sagte, die bisher bebaute Fläche werde nicht effektiv genug genutzt. Maßnahmen gegen den Flächenverbrauch seien überhaupt nicht angesprochen worden. Firmen sollten ihrer Ansicht nach zum Beispiel zuerst einmal ihre Parkplätze bebauen oder zweistöckige Gebäude errichten.
"Die Zahlen, die genannt wurden und die Argumente sind ja nur teilweise richtig" so Pilarsky-Grosch. "Es gab vor zwei Jahren eine umfangreiche Volkszählung und da wurde ermittelt, wie viele Leerstände es zum Beispiel gibt, grade in den kleinen Gemeinden. Oder wie alt die Menschen sind, die in den Einfamilienhausgebieten wohnen. Man sieht, sie werden älter, es werden Häuser frei. All diese Sachen werden natürlich ein bisschen außen vor gelassen."
Flächenverbrauch: Worum geht es?
In der Deutschen Nachhaltigkeitsstrategie hat sich die Bundesregierung zum Ziel gesetzt, den täglichen Zuwachs an Siedlungs- und Verkehrsfläche in Deutschland von heute rund 52 Hektar pro Tag bis zum Jahr 2030 auf unter 30 Hektar pro Tag zu reduzieren, um bis zum Jahr 2050 einen Flächenverbrauch von "netto Null" zu erreichen. Das bedeutet, dass sich Versiegelung und Entsiegelung von Flächen in etwa die Waage halten. Die Landesregierung Baden-Württemberg hat sich das Ziel gesetzt, diese "netto Null" noch früher, bis zum Jahr 2035, zu erreichen.
Wie viel Fläche in Baden-Württemberg bebaut oder versiegelt wird, hat sich in den letzten Jahren leicht verändert.
Fläche von fast sieben Fußballfeldern werden täglich in BW versiegelt
Derzeit werden pro Jahr mehr als 1.600 Hektar bebaut. Diese Zahl ist leicht rückläufig, bedeutet aber trotzdem, dass allein in Baden-Württemberg eine Fläche von fast sieben Fußballfeldern unter Beton oder Asphalt verschwindet, und zwar an jedem einzelnen Tag.