Man schrieb den 22. März 1975, als Joy Fleming im schwedischen Stockholm beim Grand Prix d’Eurovision de la Chanson auf der Bühne stand. Unter der Startnummer vier sang sie den von Rainer Pietsch und Michael Holm komponierten Titel "Ein Lied kann eine Brücke sein". Schon vorab hatte es viel Rummel gegeben: Böse Zungen kritisierten ihre füllige Figur, das würde "keinen guten Eindruck im Namen Deutschlands" machen. Auf dem Stockholmer Flughafen empfingen sie Polizisten: eine Morddrohung gegen sie war eingegangen.
Ärger, Widrigkeiten, Häme – und am Ende doch ein Hit
Ärger gab es auch wegen des Bühnenoutfits: Weder mit der Frisur fühlte sie sich wohl, noch mit der Garderobe. Sie wollte im modischen Hosenanzug auftreten. Doch die Verantwortlichen bestanden auf einem grünen Kleid, das Joy Fleming später wütend zerschnitt. Bei der Show selbst dann technische Widrigkeiten: Sie klang akustisch nicht gut. Mehr noch: Im Nachgang stand in der Presse, sie sei wie eine "stampfende Brunhilde" aufgetreten. Was nicht stimmte. Vielmehr war es Orchesterleiter Rainer Pietsch, "der die Bühne durchgetrampelt hat", wie sich die Sängerin später erinnerte.
Am Ende reichte es nur für den absolut enttäuschenden Rang 17 – den drittletzten Platz. Und doch ist der Song aus der Geschichte des musikalischen Wettbewerbs nicht wegzudenken. "Laut Publikum hätte ich haushoch gewonnen", sagte Joy Fleming später. Das Lied wurde zum Kult-Hit.
Kindheit in Mannheim mit gewalttätigem Vater
Begonnen hat die Karriere von Joy Fleming, bürgerlich Erna Liebenow, in und um Mannheim: Ihr Name und die Stadt sind untrennbar miteinander verbunden. Dort ist Joy Fleming aufgewachsen und auch – im künstlerischen Sinne – groß geworden. "Wir hatten nicht viel", erinnerte sie sich in einem SWR-Interview. Zu den bescheidenen Verhältnissen kam ein gewalttätiger Vater: "Das war prägend für meine Lebenseinstellung und auch für meine Musik. Wenn ich Blues oder Balladen singe, gehe ich voll in mich rein. Da kommt das ganze Elend heraus. Ich habe sogar geheult beim Singen."
Die Musikalität hat sie von ihrer Mutter in die Wiege gelegt bekommen. Diese spielte Geige. Und: "Von ihr habe ich auch das Timbre", sagte Joy Fleming. Die Mutter war es auch, die das Talent ihrer Tochter bemerkte: "Eines Tages habe ich den Küchenboden mit Kernseife geschrubbt und dabei das Lied 'Blaue Nacht am Hafen' von Lale Andersen gesungen. Da kam meine Mutter herein und sagte: 'Mach das Radio lauter, die Frau singt so schön.'" Es lief jedoch kein Radio und so bemerkte sie, welch schöne Stimme ihre Tochter hatte.
Im Petticoat vor den amerikanischen Soldaten
"Schon damals gab es Castings", erzählte Joy Fleming. Zusammen mit ihrer Schwester trat sie bei solchen Wettbewerben auf und erreichte den ersten Platz. Dadurch wurden die Amerikaner auf sie aufmerksam, die zu dieser Zeit in Mannheim stationiert waren. Noch als Teenager trat sie im Petticoat zum ersten Mal in amerikanischen Clubs vor Soldaten auf, sang Blues und Jazz und erntete Beifallsstürme. "Da hab' ich alles gelernt – die Ansagen, die Sprache. Das alles ging damals schon ganz gut ab."
Mit dem Eintritt ins Berufsleben blieb die Musik weiterhin Dreh- und Angelpunkt. "Tagsüber habe ich in der Fabrik gearbeitet, zuerst in der Zündholz-Herstellung und später in der Gummifabrik." Es waren harte Zeiten, doch das Wochenende gehörte weiterhin Auftritten und dem Gesang. Sie schloss sich der Band "The Hit Kids" an, mit der sie durch die US-Clubs zog. Dort erhielt sie auch ihren neuen Namen: "Joy".
"Neckarbrücken-Blues" – Blues in Mundart
Im Jahr 1967 gab es "Joy & The Hit Kids" auch auf Platte. Das Debüt "Zweisamkeit" war die deutsche Version des Supremes-Hits "The happening". Ein Auftritt im legendären "SWF-Talentschuppen" machte sie bundesweit bekannt. "Fünf Boys tanzen nach der Pfeife eines Mädchens", schrieb die "Bravo" über die Formation, die sich 1969 in "Joy Unlimited" umbenannte. Außerdem stand Joy Fleming 1970 auf der Besetzungsliste des deutschen Pop-Musicals "Tut, was ihr wollt", das im Deutschen Nationaltheater in Mannheim zu sehen war.
Als "Joy Unlimited" entstanden zwei Langspielplatten, die zu Meilensteinen der deutschen Rock- und Soul-Geschichte wurden: "Overground" sowie eine progressive Ballettmusik unter dem Titel "Schmetterlinge". 1971 trennte sich die Sängerin von der Band und startete eine eigene Karriere als "Joy Fleming". Den Nachnamen hatte sich ihr Produzent ausgedacht. Mit dem "Neckarbrücken-Blues" gelang ihr im Folgejahr der erste Erfolg als Solistin. Blues in Mundart gesungen war etwas völlig Neues und brachte ihr auch überregionale Aufmerksamkeit und Anerkennung ein.
Internationale Stars begeistert von ihrer Stimme
Bewunderung erhielt sie auch von Weltstars wie Tom Jones. Er war zu einer Sendung eingeladen, bei der sie mit ihrer Band als Ersatz eingesprungen war. "Der ist fast ausgerastet", berichtete Joy Fleming. Ebenso Shirley Bassey – diese jedoch in einem anderen Sinn: Die Sängerin fürchtete, Joy hätte ihr die Schau gestohlen. Lob kam auch von Janis Joplin, bei deren einzigem Deutschlandkonzert Joy Fleming im Vorprogramm aufgetreten war: "Noch nie habe ich so eine schöne Stimme gehört wie Deine."
Auch zwei Auftritte in Frankreich blieben ihr in bester Erinnerung. Vor einem Konzert in Paris wurde sie nervös, da beim Aufbau alles chaotisch lief und sie sich inmitten eines Kabelsalats wiederfand. "Aber außer, dass ich dreimal über Kabel gestolpert bin, hat Punkt 20 Uhr alles geklappt." Viel berührender war ein Erlebnis in Cannes. Dort wurde sie von dem berühmten Musiker und Komponisten Michel Legrand begleitet. Mitten im Lied hörte er auf zu spielen, stand auf, nahm Joy Fleming in den Arm und sagte: "Was für eine wunderschöne Stimme."
Ein Franzose wird der Mann ihres Lebens
Noch ein Franzose hat ihr Leben in ganz anderer Art und Weise beeinflusst: Bruno Masselon, Musiker und Keyboarder, trat in ihr Leben. Aus der beruflichen Zusammenarbeit entwickelte sich mehr und bald waren Joy Fleming und er ein Paar. Es war die "späte Liebe mit 52" wie sie es nannte. Er ist es auch, der zusammen mit Joy Flemings Sohn Bernd das musikalische Erbe der Künstlerin lebendig hält.
Mit Leidenschaft und einem hohen Maß an Professionalität hat sie bis zuletzt ihren Beruf ausgeübt und war mit Leib und Seele Sängerin. Dabei blieb sie bodenständig, trug ihr Herz auf der Zunge und liebte klare Worte. Bereits 1990 hatte Joy Fleming ein eigenes Studio, eine Plattenfirma und einen Musikverlag gegründet. Dies alles fand Platz auf ihrem Bauernhof in Hilsbach bei Sinsheim, in dem die große Tierfreundin zusammen mit vielen Haustieren seit Mitte der 1970er Jahre gelebt hatte. Am 27. September 2017 starb Joy Fleming 72-jährig völlig überraschend in ihrem Zuhause.
Geboren am | 15. November 1944 in Rockenhausen als Erna Raad, später verheiratete „Strube“, dann „Liebenow“ |
Privat | zwei Ehen, drei Kinder (Heidi, Bernd und Rainer) Ihr zweiter Ehemann Bernd Liebenow war lange Zeit auch ihr Manager. |
Hits | „Neckarbrücken-Blues“ (1972) „Halbblut“ (1973) „Ich sing‘ für’s Finanzamt“ (1977) „Spür‘ die Winterzeit“ (1987) „Butzekrampel“ (1988, zusammen mit Joana) |
Grand Prix | „Ein Lied kann eine Brücke sein“ (1975, 17. Platz) „Miteinander“ (1984, Deutsche Vorentscheidung, 4. Platz) „Power of trust“ (2001, Deutsche Vorentscheidung, 2. Platz) „Joy to the world“ (2002, Deutsche Vorentscheidung, 2. Platz) |
Auszeichnungen (Auswahl) | Verdienstorden des Landes Baden-Württemberg (2012) „Joy-Fleming-Ring“, Straßenname in Mannheim (2019) „Ein Lied kann eine Brücke sein“, Musical (2023) |