Scherben bringen Glück
"Scherben bringen Glück" - wer hätte vermutet, dass sich dieses Sprichwort auch auf eine Schallplattenkarriere anwenden lässt? So geschehen im Jahr 1956, als ein Rundfunkmoderator seinen Unmut über eine neu erschienene Aufnahme äußerte und die Schallplatte vor dem offenen Mikrofon zerbrach. Diese öffentliche Missbilligung wurde dem damals noch jungen Nachwuchssänger Freddy Quinn zuteil, der erst kurz zuvor einen Ausbildungsvertrag bei der Polydor unterschrieben hatte. Die Tat sollte weitreichende Folgen haben.
"Heimweh" auf der B-Seite
Die Vorzeichen für einen erfolgreichen Start des Schallplattendebüts von Freddy Quinn waren dem Grunde nach nicht schlecht. Mit "Sie hieß Mary-Ann", der deutschen Fassung des amerikanischen Hits "Sixteen Tons", konnte nach Auffassung der Verantwortlichen nichts daneben gehen. In aller Eile wählte man als B-Seite die Eindeutschung des Dean Martin-Hits "Memories are made of this" aus, zu dem Ernst Bader und Dieter Rasch den Text über "brennend heißen Wüstensand und das einstige Heimatland mit blühenden Blumen und grünenden Tälern" erdachten.
Statt René Carol kam Freddy Quinn
Ursprünglich war René Carol als Interpret für "Heimweh" vorgesehen. Doch die Zeit drängte, denn die Konkurrenz hatte bereits eine deutsche Cover-Version von "Sixteen Tons" mit Ralf Bendix am Start. Da Carol nicht erreichbar war, versuchte man es stattdessen mit dem Nachwuchstalent Freddy Quinn. Am 22. Februar 1956 durfte er die beiden Lieder in Hamburg einsingen und wurde dabei vom Joe Menke-Chor und den Tanz-Solisten von Horst Wende begleitet.
Wie schreibt man Quinn?
Jahre später erinnerte sich Freddy daran, dass er die Aufnahmen nach Fertigstellung nicht einmal Probehören durfte. Alles musste schnell gehen und das Band trat unverzüglich die Reise nach Hannover zur Fabrik an. Der Eile ist ebenso geschuldet, dass Freddy der erste Interpret war, der nur mit seinem Vornamen auf dem Schallplattenetikett genannt wurde. Dies hatte einen skurrilen Hintergrund: Der Fabrikchef in Hannover und Kurt Richter, der Produktionschef in Hamburg, waren sich nicht sicher, wie sich der Nachname schrieb. Da die Etiketten gedruckt werden mussten entschied der Ur-Berliner Richter angesichts der Zeitnot: "Na, denn schreib’ doch eenfach Freddy. So heißt er vorn und lass'n Rest weg. Ob dat Ding wat verkooft - da hab' ick ohnehin meine Zweifel."
"Heimweh" droht zu scheitern
Im Gegensatz hierzu war Günter Ilgner, der Vertriebschef der Plattenfirma, sich des Erfolges sicher und orderte gleich zu Beginn 20.000 Exemplare der Schellackplatte. Allerdings ging seine Rechnung nicht auf und die komplette Auflage lag wie Blei im Lager. In Anbetracht dieser Misere disponierte er um und nutzte seine Kontakte zum Rundfunk. Nachdem "Mary Ann" nicht in Fahrt kam, bat er die Redakteure, "Heimweh", die B-Seite der Platte, zu spielen.
Dieser Hilferuf schien jedoch zunächst ebenfalls nicht von Erfolg gekrönt zu sein, denn der beliebte Moderator Werner Götze vom Bayerischen Rundfunk drückte seine Abneigung zu diesem Titel in drastischer Weise aus und zerbrach die Schallplatte kurzerhand in seiner Sendung mit dem Kommentar "Schlimmer geht’s nimmer" vor den Ohren seiner Hörerschaft.
Im "Spiegel" stand zu lesen, dass "auch andere Radiostationen zunächst die deutsche Fassung des amerikanischen Schlagers 'Memories are made of this', die von dem wenig bekannten Barsänger Freddy Quinn vorgetragen wurde, ignorierten".
"Heimweh" trifft den Zeitgeist und wird zum Erfolg
Der scheinbar komplette Misserfolg kehrte sich jedoch ins Gegenteil um, denn die Radiohörer konnten sich mit dem Inhalt des Liedes voll und ganz identifizieren. Er spiegelte den Zeitgeist jener Tage trefflich wider. Viele hatten den Verlust der Heimat zu beklagen und mussten Kriegsgefangenschaft und Flucht erleiden. So traf der Text, in den man all dies hineininterpretieren konnte, ins Schwarze. Folglich war der Einzug in die Hitparaden nicht mehr aufzuhalten und der Ladenhüter plötzlich zum Verkaufsrenner geworden. Die Presswerke liefen auf Hochtouren, um der Nachfrage gerecht zu werden. Im zweiten Halbjahr 1956 war jede fünfte gefertigte Schallplatte eine "Heimweh"-Platte.
Bis zum Oktober 1956 gingen über eine Million Schallplatten davon über die Ladentische. Freddys Debüt geriet zum Superhit und sprengte alle bis dahin gültigen Maßstäbe. In den Folgejahren 1957 und 1958 kamen insgesamt nochmals zwei Millionen hinzu. Auswertungen jüngeren Datums beziffern den Gesamtumsatz mit acht Millionen verkaufter Tonträger.
Das Honorar war mager
Wer glaubt, dass sich dieser Erfolg damals auch auf dem Bankkonto des Interpreten segensreich niederschlug, irrt. Freddy Quinn bekam laut Vertrag pro Plattenseite ein Honorar von DM 250,- ausgezahlt. Allerdings wird berichtet, dass nicht nur mit einem Scheck in ungenannter Höhe, sondern auch mit einem VW-Käfer nachvergütet wurde. Die sich anschließende Weltkarriere ist ohnehin unbezahlbar und hat die zerbrochene Schallplatte längst wett gemacht…