Sie rufen zum Gottesdienst, schlagen die Stunde oder bringen Volkslieder zum Erklingen, wie das Glockengeläut im Turm des Stuttgarter Rathauses oder der neun Meter hohe Glockenturm in der Fußgängerzone von Bitburg. Seit Ende März sind Glocken in Deutschland offiziell etwas ganz Besonderes. Sie gehören nun in Deutschland zum immateriellen Kulturerbe. "Als immaterielles Kulturerbe vereinen die Glockenmusik und der Glockenguss handwerkliches Wissen, musikalische Fertigkeiten und tief verwurzelte Traditionen", so die UNESCO.
Für die beiden großen Kirchen ein Grund, Freudenglocken zu läuten. Schließlich sind laut Deutscher Bischofskonferenz 85 Prozent aller Glocken in Deutschland Kirchenglocken. Die Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, Kirsten Fehrs, meint: "Der Klang der Kirchenglocken ist uns so vertraut wie das Geräusch des eigenen Atems."Kein Wunder, denn nach Angaben der Kirchen läuten in den Kirchentürmen bundesweit regelmäßig mehr als 90.000 Kirchenglocken. In der badischen Landeskirche etwa gibt es etwa 700 Geläute mit gut 2.500 Glocken. Im Bistum Mainz gibt es über 1.400 Glocken auf den Kirchtürmen.
Wie gut kennen Sie sich mit Glocken in Deutschland aus?
Glockenklang – eine jahrtausendealte Tradition
"Glocken gibt es schon seit 5000 Jahren", erklärt Jakob Johannes Koch, Glockenexperte bei der Deutschen Bischofskonferenz, in SWR1 Sonntagmorgen. Die allerersten Glocken läuteten aber nicht in Europa, sondern in China, zum Beispiel bei Begräbnissen. Sie entwickelten sich aus Klangschalen, sahen also auch zunächst ganz anders aus als die Kirchenglocken, die wir heute kennen. Im Mittelalter entdeckten dann die Menschen in Europa die Mehrstimmigkeit: "Da entdeckten die Leute, das klingt toll, wenn sie mehrere Glocken in einen harmonischen Zusammenhang bringen". So konnten die Glocken mal freudig festlich klingen, mal traurig.
Die Tradition, Glocken aus Bronze zu gießen, stammt ursprünglich aus Indien, erklärt Koch. Dieser Bronzeguss, so Koch, sorgt für den besonderen, vollen Klang und Nachhall von Glocken. Heutzutage gibt es aber in Deutschland kaum noch Gießereien, die Kirchenglocken nach dem traditionellen und sehr aufwändigen Lehmformverfahren gießen, ihre Zahl ist in den letzten Jahren auf drei geschrumpft. "Das wird immer weniger, weil leider auch die Zahl der Gläubigen sinkt und Kirchen geschlossen werden müssen. Das heißt, wir brauchen keine zusätzlichen Glocken mehr." Neue Glocken würden dann noch gegossen, wenn eine vorhandene Glocke einen Riss bekommt und ausgetauscht werden muss.
Es ist auch ein sehr teures Verfahren. 30.000 Euro müsse man mindestens für eine Kirchenglocke bezahlen. "Aber da ist nach oben alles offen, weil das eben pure Handarbeit ist", so Koch und meint augenzwinkernd: "Also da müssen Sie schon einen Bausparvertrag auflösen, wenn Sie sich privat eine Glocke kaufen wollen."
Was passiert mit Glocken, wenn eine Kirche geschlossen wird?
Aus katholischer Sicht sei eine Glocke ein geweihter Gegenstand, der nur für Gottesdienst und Liturgie bestimmt sei, erklärt Koch. Deshalb sollte man sie auch nicht einfach irgendwo abstellen, wenn eine Kirche geschlossen wird, ist dem Glockenexperten der Deutschen Bischofskonferenz wichtig. Aber es gibt eine Lösung: Die Glocken werden dann anderen Gemeinden in Europa angeboten. "Und das passiert zum Glück immer wieder, dass sich Kirchengemeinden zum Beispiel aus Polen melden und sagen: Wunderbar, wir nehmen die Glocken!" Wenn eine Glocke dann den Ort wechsele und in einem anderen Glockenturm zu Gebetszeiten läuten dürfe, sei das etwas sehr Bewegendes.

Glockenläuten – heute für viele ein Störfaktor?
Doch immer wieder kommt die Frage auf, ob das Geläut der Kirchenglocken noch zeitgemäß ist. Im Freiburger Stadtteil Hochdorf sorgte das Sechs-Uhr-Läuten für Streit. Auch in Pfullingen sind die Kirchenglocken der Martinskirche manchen gerade in der Nacht zu laut. Nach einer Unterschriftenaktion von Anwohnern bleiben die Glocken nachts nun stumm. Ein Gutachten hat ergeben: Die Glocken sind tatsächlich lauter geworden, wie SWR-Reporterin Judith Hüwelmeier in Pfullingen erfahren hat.
Es gab auch schon Klagen gegen Glockenläuten, weil sich Menschen davon gestört fühlten. Doch Glockenexperte Koch beobachtet, dass der Trend inzwischen in die Gegenrichtung geht. "Die Sympathien für die Glocken wächst wieder", sagt er. Das läge u.a. auch daran, dass es durch Internet und Apps Möglichkeiten gäbe, sich den Klang von Glocken anzuhören. Ein Beispiel dafür ist die App #createsoundscape. Bei diesem Projekt sammeln Jugendgruppen in ganz Deutschland Glockenklänge.
Die digitalen Aufnahmen können sie dann mit weiteren Infos zu den Glocken an die Datenbank des Projekts schicken wie zum Beispiel auch in Waldshut . "Die Identifikation mit der Glocke wird wieder größer", freut sich Jakob Johannes Koch.